# taz.de -- Cukor-Ehrung in Locarno: Der Löwinnenbändiger | |
> Beim Filmfestival von Locarno ehrt man in diesem Jahr George Cukor - | |
> unter dessen Regie glänzten seinerzeit Greta Garbo, und Katherine Hepurn. | |
Bild: Die Garbo und Robert Taylor in Cukors „Kameliendame“ nach Alexandre D… | |
Was für eine schöne, glamouröse, Gänsehaut erzeugende Vorstellung: eine | |
Zirkusmanege. Auf den runden Podesten stehen Joan Crawford, Ingrid Bergman, | |
Katherine Hepburn, Greta Garbo, Ava Gardner, Tallulah Bankhead und Audrey | |
Hepburn. In der Mitte befindet sich ein Mann mit unscheinbarem Anzug und | |
Brille, sein Blick ist wach und aufmerksam. | |
Willkommen im Universum des Löwinnenbändigers von Hollywood! So lautete der | |
Beiname von George Cukor schon zu Lebzeiten. Durch seine Vorspannlisten | |
wurden die großen Darstellerinnen jener Zeit erst zu dem, was sie waren. | |
Manche, etwa Judy Garland in „A Star is Born“ (1954), verdankten Cukor, dem | |
Sohn ungarisch-jüdischer Immigranten, ihren Durchbruch. Anderen verhalf er | |
wiederum zum Imagewechsel. Eine mutige Joan Crawford spielte in „Die Frau | |
mit der Narbe“ (1949) eine vom Schicksal innerlich verhärtete Frau, anstatt | |
weiter die movie queen im klassischen Sinn zu geben. | |
Vor Cukors Kamera durfte Katherine Hepburn während der zehnfachen | |
Zusammenarbeit beider (unter anderem „Die Schwester der Braut“, 1938) ihre | |
Burschikosität ausspielen, sich schon auf dem Plakat von „Die Nacht vor der | |
Hochzeit“ von Cary Grant und James Stewart gleichzeitig küssen lassen und | |
die gewagtesten Hutkombinationen der Kinogeschichte tragen. Wenn James | |
Stewart sie etwa, in einen Gedichtband versunken, in der Bücherei | |
vorfindet, trägt sie ein keckes Gartenzwergmützchen, dessen nicht enden | |
wollender Zipfel um ihre Schultern rankt. | |
Cukors beeindruckende Filmografie wirkt wie ein Testament von Hollywoods | |
goldenen Jahren – aus weiblicher Perspektive. Für ihn, der sich nie als | |
Filmautor verstand, war das Studiosystem ein Handwerksbetrieb. Und jedes | |
Handwerk besitzt seine Meister. Cukor beherrschte das Spiel mit Licht und | |
Schatten des Film noir, er experimentierte stets als einer der Ersten mit | |
neuen Techniken wie Cinemascope oder Technicolor. Er bediente alle Genres, | |
drehte Screwball-Komödien, Musicals, Psychothriller. Und auch bei seinem | |
Ausflug ins Westerngenre spielte eine schöne Frau die Heldin: Sophia Loren | |
schwang sich in „Die Dame und der Killer“ (1960) in den Sattel. | |
In seinem wohl berühmtesten und schon im Titel programmatischen Film „Die | |
Frauen“ (1939) nahm Cukor es mit über 30 Darstellerinnen auf. | |
Eifersüchteleien, Lästereien, Konkurrenzkämpfe, Intrigen, Seitensprünge, | |
weibliche Träume und Sehnsüchte – sieht man den Film heute, dann weiß man, | |
was die Frauenbilder von Serien wie „Desperate Housewives“, „Sex and the | |
City“ oder „Girls“ George Cukor zu verdanken haben. Schon damals drehte | |
sich alles um Liebe und Sex. Nur war die Anzüglichkeit subtiler. Wenn die | |
Parfümverkäuferin Joan Crawford in „Die Frauen“ mit ihrem verheirateten | |
Liebhaber telefoniert, wechselt sie unentwegt den Tonfall, mal ist sie das | |
schnurrende Kätzchen, das seinen Schutz sucht. Mal die fauchende Tigerin, | |
die ihre Krallen ausfährt. Dabei gleitet ihre Hand in einer wie unbewusst | |
obszönen, aber eben auch harmlos zu interpretierenden Bewegung entlang der | |
Telefonschnur mehrmals hoch und runter. | |
## L’amour, l’amour | |
Alles ist gesagt, ohne dass es ausgesprochen werden muss. Eine der im | |
wahrsten Sinne plastischsten Gestalten von „Die Frauen“ ist eine in die | |
Jahre gekommene Gräfin. Im Zug zur amerikanischen Scheidungsstadt Reno | |
gurrt sie zwischen Champagnerschlucken von „l’amour, l’amour“. Kaum in … | |
angekommen, angelt sie sich einen jungen Cowboy, der am Ende wiederum der | |
neue Liebhaber der Crawford wird. Dennoch ist dieser Cukor-Film, der sich | |
um die Männer dreht, ohne dass ein einziger Mann zu sehen ist, mehr als ein | |
frivoler Liebesreigen. Diese Komödie wird zur knallharten | |
Gesellschaftsstudie, in der sich Frauen hemmungslos und selbstbewusst den | |
sozialen Aufstieg erschlafen. | |
Was ist das für eine Alchimie zwischen Cukor und seinen Darstellerinnen? | |
Welche Geheimnisse, die anderen verborgen blieben, wusste er über das | |
andere Geschlecht? Und warum standen über drei Jahrzehnte hinweg | |
amerikanische Diven Schlange, um sich von diesem Regisseur inszenieren zu | |
lassen? | |
Bleibt man beim Bild des Löwinnenbändigers, so scheint Cukor im | |
übertragenen Sinne tatsächlich manchmal mit der Peitsche gearbeitet zu | |
haben. Viele seiner Filme handeln von Dressur, es geht um die Zähmung der | |
Widerspenstigen durch einen meist durch Wissen überlegenen Mann: um die | |
Intellektualisierung einer Sängerin („Die ist nicht von gestern“, 1950), um | |
die Erziehung eines naives Mädchens mit Schauspielerinnenambitionen („Die | |
unglaubliche Geschichte der Gladys Glover“, 1954), um die Domestizierung | |
einer Straßengöre („My Fair Lady“, 1964). „Ja, Mr Higgins“ – am End… | |
Musicals trägt Audrey Hepburn dem von Rex Harrison gespielten Professor die | |
Hausschuhe hinterher, was bei diesem zufriedene Grunzlaute hervorruft. | |
Endlich ist sie zu seinem Geschöpf geworden. Eine gemachte Frau! Und eben | |
doch nicht, denn Cukors Storys lassen sich nicht als simple | |
Pygmalion-Varianten abtun. Auch wenn hier die Herren der Schöpfung am Werk | |
sein mögen, bekommt man es mit Frauen zu tun, die sich nicht verbiegen | |
lassen, die sich treu bleiben, die entwaffnend komisch ihre Unbildung | |
ausleben und dabei anarchistisch rüberkommen. | |
Mit großer Spielfreude, kokettem Hüftschwung und hintersinniger | |
Gerissenheit führt Judy Holliday als Gangsterbraut Emma in „Die ist nicht | |
von gestern“ das weibliche Stereotyp der naiven Blondine ad absurdum. Jeden | |
ihrer Augenaufschläge vermag sie neu zu konnotieren – gelangweilt, | |
herausfordernd oder wissbegierig. Zudem stattet Cukor sie mit einer | |
Lebensgeschichte aus, die nicht nur William Holden, sondern auch den | |
Zuschauer hellhörig für eine zerrissene Biografie werden lässt. | |
In „My Fair Lady“ betritt mit Audrey Hepburn nicht einfach nur eine | |
Blumenverkäuferin Higgins’ Londoner Stadtvilla, sondern auch gelebtes | |
Straßenleben, eine freche Cockney-Göre, die weiß, wie man sich durchs Leben | |
schlägt und dabei eine gute Figur macht. Nebenbei wird jeder Auftritt der | |
Hepburn als Eliza Doolittle zum modischen Spektakel. Wenn sie bei Doktor | |
Higgins zum ersten Vorsprechen erscheint, macht sie mit wagenradgroßem Hut | |
voller bunter Veilchen auf elegante Herrschaft, um später im zartrosa | |
Outfit ihre natürliche Apartheid zu zelebrieren. | |
Vielleicht liegt genau hier der Zugang zu Cukors weiblichem Universum. Er | |
forderte die Schönheit und das Selbstbewusstsein seiner Heldinnen | |
gleichermaßen heraus. Die Genauigkeit seines Blickes, die psychologische | |
Bandbreite seiner Figuren lässt ihnen einen Freiraum, den ihnen die | |
Geschichten nur bedingt vergönnen. | |
## Zeitlos moderne Charaktere | |
Cukors Frauen sprengen Konventionen und Rollenbilder, weil sie zunächst | |
einmal subtil beobachtete, widersprüchliche und darin eben auch zeitlos | |
moderne Charaktere sind. Auch wenn man wie Greta Garbo im Paris um 1850 | |
lebt und das tragische Schicksal vorherbestimmt ist, weil man Alexandre | |
Dumas’ „Kameliendame“ spielt. Schon der Vorspann eröffnet Garbos | |
Titelheldin einen Laufsteg der unterschiedlichen Gefühlsregungen, | |
Verhaltensweisen und Reaktionen. Auf einer Schrifttafel steht: „Marguerite | |
Gautier schwamm auf dem Treibsand großer Beliebtheit, ihren Verstand | |
erhellte sie mit Champagner und ihre Augen manchmal mit Tränen.“ Prompt | |
sehen wir die Garbo im weißen Ballkleid in die Oper schreiten, ihre | |
abgehobene Schönheit kontrastiert sie mit lasziver Selbstsicherheit. Mit | |
einem Fernglas sucht sie aus der Loge die Parkettreihen ab. Ihr Blick fällt | |
auf einen gut aussehenden jungen Mann, den sie zu sich winkt und sofort | |
wieder zum Süßigkeitenholen schickt. | |
Greta Garbo wird auf ihre große Liebe verzichten, Katherine Hepburn wird | |
sie meistens finden. Den unhappy und auch den happy endings von Cukors | |
Filmen mag etwas Spießiges, Eindimensionales innewohnen. Auf dem Weg | |
dorthin toben sich seine Diven aber in jeder Hinsicht aus: Bei | |
Champagner-Gelagen lassen sie sich herrlich gehen, bewaffnet mit | |
messerscharfem Wortwitz ziehen sie in den Geschlechterkrieg, proben den | |
Aufstand mit der List der Vernunft. Oder sie ziehen sich zurück, um eine | |
Runde zu schmollen. Bei Cukor machen Frauen einfach das, wonach ihnen der | |
Sinn steht. | |
5 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Anke Leweke | |
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