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# taz.de -- Nachruf auf James Gandolfini: Der große wilde Kerl
> Viele Menschen haben die Figur des Tony Soprano durch Ehekräche, Intrigen
> und Psychiatersitzungen begleitet. Nun ist Schauspieler James Gandolfini
> tot.
Bild: James „Tony Soprano“ Gandolfini 2006.
„Douchebag.“ Arschloch. Mit James Gandolfini ist diese Vokabel in meinen
englischen Wortschatz eingesickert, und damit auch eine besondere Art zu
sprechen, halb verschliffen und vernuschelt. Aus dem sanften „th“ wird bei
Gandolfini die Hürde eines „d“, aus einem klaren „s“ etwas, was wie �…
klingt. Diese Stimme, diese Art zu sprechen gehören untrennbar zur Figur
des Tony Soprano, dieses Mobsters aus New Jersey, der die sechs Staffeln
der HBO-Serie „The Sopranos“ mühelos auf seinem breiten Kreuz trug.
David Chase, der Erfinder der Serie, hatte die geniale Idee, diesen
stämmigen Mann Schwächeanfälle erleiden zu lassen und zu einer
Psychoanalytikerin zu schicken. Da sitzt also der, der in der Unterwelt New
Jerseys Furcht und Schrecken verbreitet, im holzgetäfelten
Behandlungszimmer von Dr. Melfi (Lorraine Bracco) und denkt darüber nach,
warum der Anblick von Wildgänsen ihn lähmt.
Selten sind Macht und Ohnmacht eine so schillernde Mischung eingegangen wie
in dieser Figur, und selten hat jemand diese Mischung eindringlicher
verkörpert als James Gandolfini. Am Mittwoch ist er vollkommen überraschend
in Rom verstorben, vermutlich an einem Herzinfarkt. Gerade einmal 51 Jahre
war er alt. Er befand sich auf dem Weg zu einem Filmfestival in Taormina,
einem Städtchen an der Ostküste Siziliens.
Für alle, die die Serie – die zwischen 1999 und 2007 entstand – lieben, ist
das eine sehr, sehr traurige Nachricht. Denn wenn man Tony Soprano 86
Folgen lang begleitet hat, durch all seine Ehekräche, Liebschaften, Deals,
Intrigen, Morde, Schlägereien und – vor allem – durch die Phasen der
Selbstreflexion bei Dr. Melfi, dann gewinnt man eine große Vertrautheit.
Dann weiß man, wie die Augen kalt werden, wenn Soprano einen Widersacher
einschüchtert, und wie sich seine Mundwinkel im fleischigen Gesicht zum
Lächeln heben, wenn er sich freut.
## Gebannt und angewidert
Das Verführerische an TV-Serien ist ja, dass die Figuren mit der Zeit zu
Gefährten werden, auch wenn sie alles andere als sympathisch sind. Und
„douchebag“ ist nicht nur ein Wort, das Tony Soprano gerne benutzt, er ist
auch selber einer. Deshalb war es ein Coup von David Chase, mit der Figur
der Dr. Melfi eine Stellvertreterin für das Publikum zu schaffen. So
gebannt und angewidert, so abgestoßen und fasziniert die Analytikerin Tony
Soprano zuhört, so tut man das auch, wenn man vor dem Fernseher sitzt. Und
so wie sie irgendwann auf Tony Soprano angewiesen ist, so ergeht es auch
dem Publikum, das sich vom Tun und Lassen des Mobsters unterhalten lässt.
Ob man auch darin Dr. Melfi gleicht, dass sie durch ihre therapeutische
Arbeit das kriminelle System des Tony Soprano am Laufen hält, ist dann noch
einmal eine andere Frage, die aufzuwerfen zur Smartness der Serie gehört.
Natürlich spielte James Gandolfini nicht nur Tony Soprano. Er drehte zum
Beispiel mit den Brüder Joel und Ethan Coen („The Man Who Wasn't There“,
2001) oder mit Alex de la Íglesia („Perdita Durango“, 1997), er wirkte in
Los Angeles an der Inszenierung von Yasmina Rezas Theaterstück „God of
Carnage“ mit, und im vergangenen Jahr gab er in Andrew Dominiks „Killing
Them Softly“ einen Auftragsmörder, dessen legendärer Ruf in keinem
Verhältnis zu seinem Alkoholkonsum und seiner Sexbesessenheit steht.
Es fiel schwer, in diesen Figuren keinen Wiedergänger Tony Sopranos zu
erkennen, wenn auch einen ziemlich abgehalfterten. Am besten gelingt die
Distanz in Spike Jonze' „Where the Wild Things Are“ („Wo die wilden Kerle
wohnen“, 2009), der Verfilmung des Kinderbuchs von Maurice Sendak. Darin
ist Gandolfini nicht zu sehen, aber er leiht seine unverwechselbare Stimme
dem wilden Kerl Carol. Nachdem der Held, der kleine Max in seinem
Wolfskostüm, getobt und gewütet hat, sagt Carol voller Anerkennung: „Weird
little thing, I like the way you destroy things.“ James Gandolfini rufe ich
traurig nach: „Weird big thing, I liked the way you destroyed things.“
20 Jun 2013
## AUTOREN
Cristina Nord
## TAGS
The Sopranos
Nachruf
Die Couchreporter
Verbrechen
Serien
The Sopranos
Pay-TV
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