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# taz.de -- Kolumne Leuchten der Menschheit: Das ist aber nicht alright
> Die „Spex“ war gelebter Mythos. Aber warum fehlt in „Das Buch. Spex. 33
> 1/3 Jahre Pop“ einer von Diedrich Diederichsens wichtigsten Aufsätzen?
Bild: Popgeschichte, von daher angemessen bunt: Spex-Cover aus 33 Jahren.
Keine Sorge, das wird kein Retrotext. Oder vielleicht doch? Spex. Musik zur
Zeit, die Zeitschrift war in den 1980er Jahren ein gelebter Mythos in
Westdeutschland. Zentralorgan der subkulturell-undogmatischen Linken. In
jedem Kaff hatte eine/r die Spex. Und ein Auto. Mit dem fuhr man hundert
Kilometer in die nächste Großstadt, um mit der Spex unterm Arm in einem
Schallplattenladen einzukaufen. So wurden in den 1980ern ganze Landkreise
mit Haltung, Geschmack und etwas Welt unterfüttert.
Die Spex versorgte vom – na ja – großstädtischen Köln aus mit Pop und
Diskursen. Zum Grundverständnis eine Anmerkung von Diedrich Diederichsen,
dem strategischen Kopf der Unternehmung aus einem Buchbeitrag von 1993,
„Als die Kinder noch in Ordnung waren“: „Sounds 79–83/Spex 80–93: Wor…
bei allen Debatten seit Punk in diesen Blättern ging, war ja die Frage, wie
der ästhetische Einwand gegen gesellschaftliche Realität sich legitimieren
lasse und wie er wirksam werden könne. Zur Legitimation (sowohl von
Richtigkeit wie Berechtigung) wurde gerne das ’Draußensein‘ von Jugend
herangezogen.“ (aus: „Neue Soundtracks für den Volksempfänger“, 1993).
1992 hatte Diederichsen sich in dem Spex-Aufsatz „The Kids Are Not Alright“
von einer prinzipiell positiven Bezugnahme auf Jugend- und Popkultur
verabschiedet. Pop, in der Tradition der Black Music, war für Diederichsen
in seiner Mehrdeutigkeit bis dato eindeutig subversiv und emanizipatorisch
codiert. Doch das Agieren der Neuen Rechten, Nazi-Hools mit
Malcolm-X-Kappen beim Stürmen der Flüchtlingsunterkunft in Rostock, damit
schienen die bisherigen Überlegungen obsolet.
Doch warum sind die Leser des von Max Dax und Anne Waak herausgegebenen
Best-of-Bandes „Das Buch. Spex. 33 1/3 Jahre Pop“ (Metrolit Verlag, 2013)
ausgerechnet von solchen Debatten abgeschnitten? Dass ein „Schlüsseltext“
wie „The Kids Are Not Alright“ nicht im Buch enthalten ist, sei
Diederichsens eigener Wunsch, schreibt Dax im Vorwort. Merkwürdig.
Diederichsen meint vielleicht, für seine früheren Ansichten bereits genug
Haue bekommen zu haben. 1992 hatte er in dem sagenumwobenen Text
formuliert: „Was sich seit 1990 in der Welt abspielt und in Deutschland auf
besonders fiese Weise gespiegelt und verstärkt wird, ist die Zuspitzung der
Bewaffnung mit Identitätskriegen, die im Gegensatz zu früheren Style Wars
nicht nur semiotisches Territorium umkämpfen.“
## Pop und Protofaschismus
Die Angriffe ostdeutscher Jugendlicher auf Migranten in Hoyerswerda und
Rostock vor Augen, meinte er: „Es ist der schlechte Zusammenbruch von
Verhältnissen, deren guten Zusammenbruch alle Ideen von Rebellion und
Dissidenz, so wie sie in Jugendkulturen aufgehoben waren, als Utopie
formuliert hatten. Als deren Vorausschein empfand man unausgesprochen das
Ereignis (Konzert, Trip, Rave, Festival). Das Ereignis ist zwar nicht an
die Rechten gefallen, aber in Zeiten des falschen Zusammenbruchs von
Ordnung ein protofaschistischer Zusammenhang geworden.“
Diese Sätze entsprachen der katastrophischen Stimmung nach dem Mauerfall,
als die Kölner noch Kölner waren. „Pop“, so Diederichsen, „galt uns im
günstigsten Fall als ein Kommunikationssystem, das nicht abgehört werden
konnte und das für einen schnellen Austausch von Nachrichten von einer
gelebten oder nur erträumten Eleganz der Existenz sorgte.“
Pop-Codes bei den neuen Rechten, Diederichsen mochte nicht mehr an die so
sympathische wie voluntaristische Behauptung des Jugendlichen oder
Bohemiens glauben, des metropolitanen Leistungsverweigerers, der sich über
Pop mit dem „schwarzen Weltghetto“ verbindet und für gemeinsame Haltungen
steht.
Muss man dieses Zeitdokument heute verstecken? Gefühlt war es richtig, und,
Theoretiker aller Länder vereinigt euch, objektiv falsch. 1992, da war es
zu den aufgelösten Subjektivitäten von heute – Don Winslow: 68er-Hippies
als Drogenmafia; „Die Sopranos“: der Mafiaboss muss zur Psychiaterin – no…
ein kleiner Weg.
30 Mar 2013
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
## TAGS
Kommunismus
Islamismus
spex
spex
The Sopranos
Linke Szene
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