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# taz.de -- Kolumne Leuchten der Menschheit: Das antisemitische Erbe
> Links und antisemitisch? Wolfgang Kraushaars Studie „Wann endlich beginnt
> bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel“ kommt zu diesem Schluss.
Bild: Der Ex-Kommunarde Dieter Kunzelmann gilt als Drahtzieher des gescheiterte…
Waren westdeutsche Linksradikale unmittelbar an einer Attentatsserie gegen
jüdische Einrichtungen und israelische Bürger in München 1970 beteiligt?
Diesen Schluss legt eine umfangreiche Untersuchung von Wolfgang Kraushaar
nahe, die am Wochenende bei Rowohlt erscheint.
Der Titel „Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh
Israel?“ geht auf ein Zitat Dieter Kunzelmanns zurück. Der Ex-Kommunarde
gilt als Drahtzieher des gescheiterten Bombenanschlags auf das Jüdische
Gemeindehaus 1969 in Westberlin. Er war Kopf der Tupamaros Westberlin,
einer mit ihrem Münchner Ableger entscheidenden Keimzelle des westdeutschen
Terrorismus.
Kraushaars Recherche reicht zurück in das Jahr 1970, als ein
palästinensisches Kommando am 10. Februar auf dem Flughafen München-Riem
versuchte, eine israelische El-Al-Maschine zu entführen. Es scheiterte am
Widerstand von Crew und Passagieren.
Arie Katzenstein schützte mit seinem Körper andere Passagiere vor einer
Handgranate und starb vor den Augen seines Vaters Heinz Katzenstein, der
1933 wegen der Nazis nach Palästina ausgewandert war. Insgesamt wurden neun
Reisende zum Teil schwer verletzt. Die palästinensischen Attentäter schob
die Bundesrepublik aus Furcht vor Vergeltung noch 1970 in den Nahen Osten
ab.
Nach dem Überfall in München-Riem wurden Solidaritätsdemonstrationen durch
pro-palästinensische Kräfte attackiert. Ein bekannter deutsch-jüdischer
Aktivist wohnte im Haus der Israelitischen Kultusgemeinde in der
Reichenbachstraße 27.
Nur drei Tage nach dem Überfall am Flughafen wurde hier Feuer gelegt. Es
starben sieben ältere Menschen, Holocaustüberlebende. Der führende Kopf der
Tupamaros München ist zu dieser Zeit Fritz Teufel. Er ging als
Spaßguerillero in die Geschichte ein. Doch wie Kunzelmann war er strammer
Antizionist und brillanter Verdreher von Tatsachen.
In einem Flugblatt vom 20. 2. 1970 schreiben seine Tupamaros München zum
Anschlag in der Reichenbachstraße: „diesen neuen reichstagsbrand im
altersheim können nur leute gelegt haben, die daran interessiert sind, die
hexenjagd auf die feinde des us-zionistischen imperialismus zu eröffnen.“
Die feige Tat wurde nie aufgeklärt. Kraushaars gesammelte Indizien deuten
allerdings auf ein Geflecht westdeutscher Linksradikaler und
völkisch-arabischer Extremisten.
1969 war Kunzelmann mit anderen zur militärischen Ausbildung in ein Lager
der Fatah nach Jordanien gereist. Die westdeutsche Stadtguerilla (Bewegung
2. Juni, RAF, Revolutionäre Zellen) wurde in der Folge überwiegend in
Lagern von Fatah und PFLP ausgebildet. Am 21. Februar 1970 ereigneten sich
zwei weitere Anschläge, die auf israelische El-Al-Maschinen zielten. Eine
Paketbombe zündete jedoch im Frachtraum einer AuA-Maschine, gestartet von
Frankfurt am Main, und führte zu deren Notlandung.
Eine weitere explodierte im Frachtraum einer Swissair-Maschine auf dem Weg
von Zürich nach Tel Alviv. Alle 47 Flugzeuginsassen wurden beim Absturz
zerfetzt. Die Anschläge wurden von einer PLO/PFLP-Zelle in Frankfurt am
Main geplant. Einer der flüchtigen Verdächtigen ist Sufian Kaddoumi, Bruder
des hochrangigen PLO-Funktionärs Farouk Kaddoumi.
## München 1972
Wolfgang Kraushaar, geboren 1948, früherer Sponti-Linker und
Asta-Vorsitzender in Frankfurt am Main, sieht die Ereignisse von 1970 im
Zusammenhang mit dem späteren Attentat auf die Olympischen Spiele von
München 1972 – zumindest ideologisch.
So ließ Dieter Kunzelmann im April 1970 verlauten: „Wann entlasten wir das
kämpfende palästinensische Volk durch praktischen Internationalismus? Die
Granaten auf dem Flughafen Riem lassen doch nur eine Kritik zu: die
verzweifelten Todeskommandos durch besser organisierte zielgerichtete
Kommandos zu ersetzen, die von uns selbst durchgeführt werden.“
Kunzelmann, der vom „Judenknax“, der „Vorherrschaft des Judenkomplexes“,
sprach, glaubte im „Kampf gegen das Dritte Reich gestern und heute“ vor
allem „Israel“ treffen zu müssen. Damit war er keine Ausnahme. Die dazu
etwas sagen könnten, schweigen bis heute oder geben Light-Versionen zum
Besten.
22 Feb 2013
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
## TAGS
Linke Szene
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Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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