| # taz.de -- Kolumne Leuchten der Menschheit: Da ist es ja wieder, das Gespenst … | |
| > Wer der Wahrheit über die 1970er-Jahre näher kommen will, muss auch | |
| > anderes als polizeilich-juristische Schriften lesen. Aktuelle Empfehlung: | |
| > ein früheres Gespräch mit Stefan Wisniewski. | |
| In einem Interview mit dieser Zeitung erläuterte Stefan Wisniewski 1997 | |
| seine An- und Absichten als junger Erwachsener. Demnach lag der 1978 als | |
| 24-Jähriger Verhaftete schon früh nicht mehr auf Linie der Roten Armee | |
| Fraktion (RAF). Schon gar nicht votierte er für das "Frontkonzept" der RAF | |
| und die Anschlagspolitik der 1980er-Jahre. Wegen Beteiligung an Entführung | |
| und Ermordung von Hanns Martin Schleyer wurde Wisniewski 1981 zu zweimal | |
| lebenslanger Haft verurteilt. 1999 kam er nach 21 Jahren Gefängnis auf | |
| Bewährung frei. | |
| Den Behörden ist sein Aufenthalt seither bekannt. Seine Privatsphäre | |
| versucht er rechtlich zu schützen, gegen Bild und Sensationsjournalisten, | |
| die ihn mit ihren Schnappschüssen verfolgen. Wisniewski gehörte zur | |
| mittleren RAF-Generation der 1970er-Jahre. Sein Vater, ein von den Nazis | |
| nach Deutschland verschleppter polnischer Zwangsarbeiter, war schon kurz | |
| nach seiner Geburt 1953 gestorben. Wisniewski wuchs in einer Umgebung auf, | |
| in der es besser war, über die Vergangenheit zu schweigen. Zur Erinnerung: | |
| Noch 2007 bezeichnete der derzeitige baden-württembergische | |
| Ministerpräsident Günther Oettinger seinen Amtsvorgänger Hans Filbinger als | |
| einen überzeugten Gegner des NS-Regimes. Den völlig reuelosen Nazi-Juristen | |
| Filbinger hatte die RAF in den 1970ern ebenfalls im Visier. | |
| Ein großer Fehler der RAF und vieler anderer aus der 68er-Bewegung war, | |
| dass sie über die personale Kontinuität der Nazis in Deutschland auf das | |
| gesamte politische System und "den" Kapitalismus schlossen. Im Gespräch mit | |
| Petra Groll und Jürgen Gottschlich sagte der damals - 1997 - noch | |
| inhaftierte Wisniewski: "Es gab in der Zeit die Theorie vom neuen | |
| Faschismus, der aus den Institutionen kommt und keine Massenbasis braucht. | |
| Beides hat so nicht gestimmt. Diese schräge Theorie wurde aber nicht nur | |
| von der RAF vor- und nachgebetet…" | |
| Es ist eines der wenigen Dokumente, in dem sich Wisniewski seither | |
| öffentlich und politisch geäußert hat. Es ist in dritter Auflage über den | |
| Buchhandel erhältlich und sollte in der heutigen Debatte Beachtung finden. | |
| Diese wird zumeist doch eher einseitig und unhistorisch geführt. | |
| Schließlich ist das Entstehen der RAF ohne den zeithistorischen Horizont, | |
| das weit verbreitete Unrechtsbewusstsein nach 1945 und die im NS verhaftete | |
| Geisteshaltung vieler juristisch kaum bewertbar. | |
| Wer heute wie Michael Buback, Sohn des 1977 erschossenen | |
| Generalbundesanwalts, Aufklärung will, sollte die juristische nicht von der | |
| historisch-politischen Debatte trennen. Nach dreißig Jahren Druck auf | |
| labile Kronzeugen auszuüben, um bereits schon einmal lebenslang | |
| Abgeurteilte erneut juristisch zu belangen, dies beugt viel eher das Recht, | |
| als einem besseren Rechtsstaat zu dienen. | |
| 12 Sep 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Fanizadeh | |
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