| # taz.de -- Diedrich Diederichsen über die „Spex“: „Rezeptionsekstase ha… | |
| > Ein Gespräch über die richtige Sprache beim Schreiben über Pop, linke | |
| > Gegenkultur nach dem Deutschen Herbst und den Frauenanteil beim | |
| > Musikmagazin „Spex“. | |
| Bild: Drei Generationen Spex: Titelseiten aus den Jahren 1995, 1985 und 2004. | |
| taz: Herr Diederichsen, die Spex hat dazu beigetragen, eine Sprache zu | |
| finden, in der man über Pop schreiben kann. Welche Hürden gab es da zu | |
| überwinden? | |
| Diedrich Diederichsen: Sie formulieren das, als wäre es eine klar umrissene | |
| Aufgabe. Aber der Gegenstand änderte sich ständig. Oft wurde immer über | |
| etwas, was außerhalb der Pop-Musik lag, aber trotzdem drin vorkommt, | |
| bestimmt, was man gerade innerhalb der Popmusik machen wollte. Es gab etwa | |
| vorher keine Kombination von bildender Kunst und Popmusik in einer | |
| Musik-Zeitschrift. Das konntest Du mir auf dem Planeten nicht noch mal | |
| zeigen. Mittlerweile gibt es in Kunstzeitschriften sehr viel Popmusik, weil | |
| sie ein Gegenstand von Kunst ist. Auch die Inklusion von bestimmten | |
| politischen Themen – und anderen nicht – zeigte, dass der | |
| Gegenstandsbereich unbestimmt war und zur Diskussion stand. | |
| Als sich dann die Musik immer weiter aufspaltete, stellten sich Fragen wie: | |
| Wie viel hat man mit Jazz zu tun? Hatte man überhaupt? Das änderte sich | |
| auch. Ganz zu schweigen von den Fragen, die die sich multiplizierenden | |
| Tanzmusiken aufwarfen. Ein Kriterium war die Lebenswelt unserer Leser: Wenn | |
| wir etwa ein Titelbild mit Musikern aus Deutschland hatten, hat sich die | |
| Auflage gleich veranderthalbfacht. Wir hatten aber selten Lust auf Musik | |
| aus Deutschland. | |
| Wahrscheinlich hätten wir genauso irre schreiben können, aber mit der | |
| gleichen Sprache viel mehr verkaufen. Ist ja eine einfache Rechnung: Bei | |
| einer Auflage von 20.000 verkauften Exemplaren fällt es ins Gewicht, wenn | |
| alle Freundinnen und Freunde einer Band sich das Heft holen. Wir lieferten | |
| aber lieber direkt Texte zur eigenen Lebenswelt, schrieben über lokale | |
| Szenen und reagierten auf das Feedback aus den anderen Städten, in die wir | |
| so reisten. | |
| Vor der Spex-Gründung 1980 gab es eine breite linke Gegenkultur. Ihr | |
| gegenüber war die ästhetische Linke, der Sie angehörten, in der Minderheit. | |
| Im Vorwort wird der Deutsche Herbst herangezogen, was hat er damit zu tun? | |
| Ja, der Deutsche Herbst spielt natürlich bei der Transformation dieser | |
| linken Gegenkultur in eine Alternativkultur eine große Rolle. Dass sich die | |
| Ziele verschoben von Kommunismus und Revolution hin zu Ökologie und | |
| Antiatomkraft-Bewegung, das war auch eine Konsequenz vom Deutschen Herbst. | |
| Vor allem aber war dies eine viel größere Koalition als es die radikale | |
| Szene-Linke vorher je hingekriegt hatte. Diese große Koalition lehnte man | |
| als junger Mensch aus verschiedenen Gründen ab, auch wenn man selbst erst | |
| ein linker Hippie war. | |
| Diese Ablehnung verschärfte sich, als aus der Alternativ-Bewegung die | |
| Friedensbewegung wurde. Das war für mich ein Nullpunkt der Politisierung, | |
| dass man nur gegen Raketen war, für die Erhaltung des Status Quo. Die | |
| dazugehörige Musikkultur reichte von BAP bis Schröder Roadshow, | |
| vereinnahmte auch, was vorher Krautrock war, und entwickelte eine | |
| Festival-Kultur mit Clowns, Alternativ-Theater und Jazzrock. 1978 war das | |
| in den Städten riesig und verbreitete sich nach und nach im ganzen Land und | |
| ging in den 80er Jahren auch nicht weg. | |
| Das, was Sie ästhetische Linke nennen, war ganz schwach, das waren wenige. | |
| Was sich in den Städten änderte, vielleicht über den Treibriemen einer | |
| ästhetischen Linken, war dass so eine Popper- und Konsum- und Discokultur | |
| die Clubs übernahm – und dann natürlich Punk und New Wave. Aber so etwas | |
| wie heute, wo der ganz normale Abiturient ein ästhetisches Bewusstsein | |
| entwickelt hat gegenüber allen seinen Lebensäußerungen, war noch lange | |
| nicht erkennbar. | |
| Das Problem mit Spex war oft, dass für uns etwas durch war, was in der | |
| Wirklichkeit noch gar nicht richtig angefangen hatte. Wir glaubten dann | |
| 1985 schon wieder an die Gegenbewegung zur Ästhetisierung, aber | |
| währenddessen entdeckten alle anderen Jugendlichen, dass Frank Zappa ein | |
| interessanter Gitarrist ist, als wir in Hüsker Dü die Negation der Negation | |
| von Zappa sahen, also die Negation von Synthie-Pop. Und als sich dann alle | |
| ästhetisierten, wollten wir zurück zu Bärten und Baumwolle. | |
| Müssten in einem Buch, das Texte aus der Spex versammelt, neben den Hits | |
| nicht auch Nieten enthalten sein? | |
| Na ja, es sind ja nicht die größten Hits da drin. Außerdem weiß ich gar | |
| nicht, was die größten Nieten sind. Aber ich finde es zum Beispiel manchmal | |
| besser, etwas zu ignorieren. Die Simple Minds hätten nicht einmal verdient, | |
| von uns kritisiert zu werden. Zwar hatte auch die Position eine | |
| Berechtigung, Sachen, die man kritisch sah, trotzdem nicht zu ignorieren. | |
| Durch dieses Buch sieht es aber nun so aus, als wären die Simple Minds eine | |
| relevante Band für die Spex gewesen. Falscher geht‘s nicht! Und da sind | |
| noch ein paar andere extrem unwichtige populäre Trottel großflächig | |
| erwähnt, während wir in der Wirklichkeit ein ganzes Jahrzehnt mit Nikki | |
| Sudden trinken waren. Aber klar: Hits sind natürlich auch drin. | |
| Sie haben gesagt, Ihnen sei daran gelegen, in Spex so obskurantistisch über | |
| Pop zu schreiben, wie gerade noch erlaubt. | |
| Das war nicht mein Movens, das, würde ich sagen, ist die Konsequenz aus dem | |
| Ernstnehmen meines eigenen Fantums. Es war so begeisternd, es gibt so viel | |
| zu wissen, man muss mehr in die Tiefe gehen. Dann muss man eine | |
| Güterabwägung machen, zwischen gelungener Kommunikation, also zwischen | |
| sogenannter Verständlichkeit und der Treue gegenüber dem Gegenstand, oder | |
| der Treue gegenüber der eigenen Begeisterung. Es muss gar nicht der | |
| Gegenstand sein, es kann ja auch die Rezeptionsekstase sein, die hat bei | |
| mir immer Vorrang vor dem gelungenen Kommunikationsvorgang. Einer, der in | |
| eine Rezeptionsekstase gerät, ist doch viel interessanter zu beobachten, | |
| als jemand, der Informationen verteilt. | |
| Als 1957 Geborener, sind Sie ein Stück weg vom Zweiten Weltkrieg, aber zu | |
| jung für 68. Sie konnten sich durch die Opposition zu den 68ern in Position | |
| bringen. Im Vergleich zu allen Nachgeborenen hatten Sie es ökonomisch | |
| leichter. | |
| Das glaube ich nicht, dass es da einen relevanten Unterschied gegeben hat. | |
| Ich meine, die Jobs, die es leichter gab, die man leichter hätte machen | |
| können, die haben wir gar nicht gemacht. Ich bin ja gerade nicht zum | |
| Spiegel gegangen, vielleicht, weil man sich in der Sicherheit wiegt, das | |
| kann man immer noch machen. | |
| Sie sind spielerischer in maßgebliche Positionen gekommen. | |
| Das kann schon sein, dass die allgemeine Lage günstiger war. Vor uns war | |
| sie noch günstiger. Ich denke an eine Stelle in Jan-Frederik Bandels Buch | |
| über die Geschichte der Palette, wo Harun Farocki sich erinnert, sie hätten | |
| damals überlegt: Erstmal zehn Jahre woandershin. Wenn man mit Ende zwanzig | |
| zurückkommt, hatte man hinterher immer noch jede Möglichkeit. | |
| Ich weiß, dass die Option des Aussteigens und Abhauens unter den Leuten, | |
| die jünger waren in meinem Umfeld in den Achtziger Jahren langsam | |
| verschwand. Dieses Gefühl, dann macht man halt mal zwei Jahre nichts. Aber | |
| das lag sicherlich auch daran, dass Disziplinierungsmaßnahmen griffen, man | |
| konnte nicht mehr ewig studieren und bekam kein Stipendium, wenn man nicht | |
| mit so und so viel Jahren schon seinen Magister hatte. Dadurch waren | |
| Hipster-Jobs neben dem Studium nicht mehr so attraktiv. | |
| Auf der anderen Seite hat es nicht nur damit zu tun, was ökonomisch möglich | |
| war: Die Angebote der Selbstverwirklichung in der Stadt und in den Medien, | |
| statt im Exodus und im Abenteuer zu suchen, waren in der Gegenwart der | |
| Achtziger attraktiver. Ich denke, es war um 1985 interessanter in einer | |
| deutschen Großstadt einen Job im Kulturbereich zu machen, als 1975. Während | |
| man dagegen damals die Möglichkeit hatte, sich dauerhaft in eine | |
| Landkommune zurückzuziehen und Erfahrungen zu machen. Das hätte ein Leben | |
| im kulturellen Mainstream überhaupt nicht ermöglicht. Man hätte davon | |
| nichts realisieren können. | |
| Was waren nach 1989 die Ansatzpunkte der Spex-Repolitisierung? | |
| Man fand sich plötzlich in einer Nation wieder, vorher hatte man ja in | |
| einer Fußgängerzone gelebt, deren Architekt Simulation bei Baudrillard | |
| studiert hatte. Plötzlich gab es eine neue Rechte, auch intellektuell, | |
| beziehungsweise plötzlich trauten sich diese Leute ans Licht. Es gab einen | |
| Rassismus, den man nicht mehr nur als Element einer politischen Lage zur | |
| Kenntnis nehmen konnte, auf die Musik sich bezog, die man schätzte, sondern | |
| der hier und heute Leuten das Leben kostete. Und wir sahen, dass jetzt ein | |
| Kampf um kulturelle Hegemonie beginnt, bei dem man sich einschalten muss. | |
| Warum haben Sie sich gegen den Abdruck Ihres Textes „The Kids are not | |
| alright“ entschieden, der die Ereignisse bei den rechten Riots von Rostock | |
| debattiert? | |
| Der Text gehörte erstens in eine Debatte, die man hätte komplett bringen | |
| müssen, zweitens standen seine wichtigeren, vollständigeren Versionen nicht | |
| in der Spex, sondern an anderen Veröffentlichungsorten. Man druckt nicht | |
| die Vorstufe von etwas nach. | |
| Wie war der Umgang mit Frauen in der Spex-Redaktion? Es gab | |
| Herausgeberinnen und Autorinnen, aber überwiegend Männer. | |
| Die Beobachtung stimmt. Du wirst nirgendwo ein anderes Verhältnis finden. | |
| Nirgendwo ist der Frauenanteil geringer, nirgendwo greift Feminismus | |
| langsamer als in der Popmusik. | |
| In der Punkszene gab es viele aktive Frauen. | |
| In der Punkszene gab es einen intelligenten Feminismus und dessen | |
| Vertreterinnen. Aber die Konzertbesucher waren in allen Segmenten 80 zu 20 | |
| Männer, wenn nicht schlimmer. Die alte Sounds hatte eine Autorin, Ingeborg | |
| Schober, später kamen dann Tina Hohl und Sonia Mikich. Bei Spex gab es | |
| unter den viel Schreibenden immer zwei, drei Frauen gegenüber zehn Männern. | |
| Warum wurde Spex in den Neunzigern akademischer? | |
| Intellektuelle Interessen hatte es vorher genauso gegeben, nur hatte er da | |
| keine akademischen Verbündeten für die Beschäftigung mit Popmusik gegeben. | |
| Oder wir kannten sie nicht. Es gab immer nur den einen Text von Paul Willis | |
| und den von Simon Frith, das war‘s dann eben. Was wir aber schon in den | |
| 80ern hatten, waren Bücherseiten, in denen der neue Deleuze empfohlen | |
| wurde. Das war die ganze Zeit so. Das, was [1][von Wikipedia die | |
| „Cultural-Studies-Phase der Spex“ genannt wird], hatte damit zu tun, dass | |
| an den um uns herum existierenden Hochschulen Leute zu dem forschten, was | |
| uns interessierte – das war dann neu. Die Cultural Studies aus | |
| Großbritannien erreichten in den Neunzigern deutsche Hochschulen. In dem | |
| Moment, wo es dieses für uns relevante Wissen gab, konnte man es nicht mehr | |
| ignorieren. | |
| Heute ist im Feuilleton Popwissen verbreiteter. | |
| Das ist der Punkt. Der andere Punkt ist, dass das Feuilleton trotz der | |
| Zeitungskrise ökonomisch besser ausgestattet ist, als es die Spex je war. | |
| Spex ist inzwischen Teil der Berliner Medienlandschaft mit einem Klaus | |
| Theweleit als Autor. Während er im Buch enthalten ist, fehlen etwa Texte | |
| von Tobias Nagl, verwundert Sie das? | |
| Unter Max Dax wurden namhafte Autoren Teil der Spex. Theweleit war für uns | |
| immer wichtig, obwohl er eine Generation älter war. Aber wir wären nie auf | |
| die Idee gekommen, ihn zu fragen, ob er für uns schreibt. Wenn sich das | |
| Buch vorgenommen hat, die gesamte Zeit zu dokumentieren, dann müssen eben | |
| auch Theweleit-Texte enthalten sein. | |
| M. Dax, A. Waak (Hg.): „Spex. Das Buch. 33 1/3 Jahre Pop“. Metrolit Verlag, | |
| Berlin 2013, 464 Seiten, 28 Euro. [2][Rezension]. | |
| 15 Jul 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://de.wikipedia.org/wiki/Spex_(Zeitschrift)#Cultural_Studies_.281993.E2… | |
| [2] /Kolumne-Leuchten-der-Menschheit/!113771/ | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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