# taz.de -- Kolumne: Die nächsten Folgen | |
> Medienkonsum ist gefährlich. Vertrauen Sie mir: Er ist verdammt | |
> gefährlich. | |
Wenn sich irgendwo auf der Welt mal wieder ein junger Mann eine Waffe | |
besorgt und auf seine Mitschüler und Lehrer schießt, dann kommen sie wieder | |
auf die Bildschirme gekrochen: die Experten. Die Medienwissenschaftler und | |
die Pädagogen und die Herren von der CSU. Sie sind wieder gefragt, aus | |
traurigem Anlass zwar, aber den nehmen sie doch dankbar zum Anlass, ihr | |
Rezept zu präsentieren, wie solches Unheil in Zukunft zu vermeiden wäre. | |
Denn nicht etwa das Bildungssystem, der Konkurrenzdruck in den Schulen, die | |
Perspektivlosigkeit der Jugend, schlicht: der Zustand unserer Gesellschaft | |
sind in ihren Augen Ursache für schreckliche Amokläufe und Attentate, nein, | |
es sind die bösen Ballerspiele und die brutalen Gewaltvideos, das Internet, | |
die Medien. Und wenn wir das alles endlich verbieten, so das Rezept der | |
Experten, dann kommt kein junger Mann mehr auf die Idee, seinen Mitmenschen | |
etwas anzutun, jedenfalls nicht mit einer abgesägten Schrotflinte. | |
Ich habe über diesen Ansatz zur Problemlösung immer gelacht. Ich hielt ihn | |
für zu simpel. Und glaubte, empirisch beweisen zu können: Medienkonsum ist | |
vollkommen harmlos. Mein Forschungsobjekt, ich selbst, war doch Beweis | |
genug. Denn ich habe nichts ausgelassen: nicht das Computerspiel, in dem | |
man Punkte dafür bekam, wenn man mit einem Auto alte Damen beim Überqueren | |
der Straße überfuhr. Nicht die Videoserie "Gesichter des Todes", die eine | |
endlose Reihe tödlicher Unfälle zeigte. Auch "Doom" habe ich gespielt. Aber | |
niemals habe ich eine Waffe auf einen Kollegen gerichtet. Nein, der | |
Medienkonsum hat mich in keiner Weise beeinflusst. Ich kann gut trennen | |
zwischen Fiktion und Realität. Dachte ich. Mittlerweile bin ich mir da | |
nicht mehr so sicher. | |
Angefangen hat es vor vier Jahren, als mir mein kleiner Bruder die DVD-Box | |
der ersten Staffel der Serie "24" geschenkt hat. Die Serie, kurz gesagt, | |
handelt von einem Antiterroragenten, der in kürzester Zeit einen Angriff | |
auf die USA verhindern muss. Weil er nur 24 Stunden hat, muss er Methoden | |
anwenden, die nicht immer mit dem Gesetz vereinbar sind. Manchmal foltert | |
er auch. Außerdem hat der Mann niemals Zeit, den Menschen, die ihm helfen | |
sollen, zu erklären, worum es eigentlich geht. "Vertrau mir", sagt er | |
immer, "ich werde dir später alles erklären." Außerdem braucht er ständig | |
irgendeine "Liste" mit Informationen drauf, wozu? "Vertrau mir." | |
Nach mittlerweile sechs Staffeln "24", alle am Stück konsumiert, stelle ich | |
eine gewisse Verkürzung meiner Kommunikation fest. "Schatz, ich muss noch | |
mal weg", sage ich meiner Freundin, und wenn sie fragt, wohin, presse ich | |
nur ein kurzes "Vertrau mir" hervor, dann gehe ich einkaufen. Im Supermarkt | |
stelle ich dann fest, dass ich vergessen habe, was ich einkaufen wollte, | |
also rufe ich sie per Mobiltelefon an. "Ich brauche die Liste. Jetzt", sage | |
ich dann, und wenn sie wissen will, welche Liste, antworte ich: "Vertrau | |
mir, ich werde dir später alles erklären." Dann ist das Gespräch auch schon | |
wieder vorbei, und ich weiß immer noch nicht, ob wir noch Eier im | |
Kühlschrank haben oder nicht. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, die | |
Kassiererin foltern zu wollen, aber dann fällt mir zum Glück ein, dass das | |
nicht erlaubt ist und sie mir die entscheidende Information sowieso nicht | |
geben kann. Ich komme ohne Eier zurück. Mission gescheitert. | |
Also habe ich aufgehört, "24" zu sehen, die Serie ist in der letzten | |
Staffel aber auch wirklich zu blöd geworden. Stattdessen sehe ich jetzt die | |
"Sopranos", eine wunderbare Serie um eine Mafia-Familie in New Jersey, | |
sechs Staffeln am Stück, und es ist noch schlimmer geworden. | |
Denn bei der Mafia gibt es kein Vertrauen. Wenn einer etwas Falsches sagt, | |
gibts sofort einen Schlag auf die Nase. Und wenn er das Falsche einem | |
Falschen sagt, dann wird er, wie es so schön heißt, "ausgeknipst". Und dann | |
macht er keine Probleme mehr. | |
Es gibt da diesen Kollegen. Er sagt immer das Falsche. Und gerne zu den | |
falschen Leuten. Medienwächter! Pädagogen! CSU-Politiker! Haltet mich auf, | |
bevor ein Unglück geschieht. | |
18 Jun 2007 | |
## AUTOREN | |
Stefan Kuzmany | |
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