| # taz.de -- Feministischer Vampirfilm: Tröstliche Schatten | |
| > Kleinkriminelle, Prostituierte, Junkies und andere Nachtschattengewächse | |
| > bevölkern „A Girl Walks Home Alone at Night“, von Ana Lily Amirpour. | |
| Bild: Ein namenloses Mädchen nachts allein auf leeren Straßen. | |
| Vampire verfügen nicht unbedingt über eine ausgeprägte soziale Kompetenz. | |
| Sie ziehen die Dunkelheit dem Tageslicht vor und meiden die Gesellschaft | |
| anderer, auch anderer Vampire. Bad City ist deshalb der perfekte Ort für | |
| vampirische Ansprüche: Die Straßen sind verwaist, Fabrikgebäude liegen in | |
| Ruinen, im Hintergrund arbeiten stumm Fördertürme, und die einzigen | |
| Menschen, die sich nachts auf der Straße herumtreiben, haben gute Gründe, | |
| ihre Geschäfte im Dunkeln abzuwickeln. | |
| Kleinkriminelle, Prostituierte, Junkies und andere Nachtschattengewächse | |
| sind die Protagonisten in „A Girl Walks Home Alone at Night“, Ana Lily | |
| Amirpours Debütfilm über Einsamkeit und Verzweiflung – und über eine | |
| mysteriöse junge Frau, die bei Einbruch der Dunkelheit die Straßen unsicher | |
| macht. | |
| Die Stadt mit dem sprechenden Namen ist eine hübsche B-Movie-Fantasie wie | |
| aus einem Robert-Rodriguez-Film. Die Straßenzüge liegen unverkennbar im | |
| mexikanisch-amerikanischen Grenzgebiet, die Figuren unterhalten sich jedoch | |
| auf Farsi, und Autos haben iranische Kennzeichen. Die nächtlichen Kontraste | |
| sind nicht ganz so hart wie die Bilder in Rodriguez’ „Sin City“, die | |
| Kriminellen hingegen wären es gerne. Der Dealer Saeed hat sich das Wort | |
| „Sex“ auf den Hals tätowiert und trägt ein albernes Hipsterbärtchen. | |
| Der junge Arash mit seinem James-Dean-Outfit und dem hart ersparten Ford | |
| Thunderbird ist so etwas wie die Lichtgestalt in „A Girl Walks Home Alone | |
| at Night“. Er kümmert sich um seinen drogenabhängigen Vater und würde | |
| lieber heute als morgen aus Bad City verschwinden. Diese Hoffnung | |
| zerschlägt sich, als Saeed seinen Ford als Pfand für die Schulden des | |
| Vaters einkassiert. | |
| Eine Gleichgesinnte findet Arash in einer jungen Frau, die ihr markantes | |
| Gesicht hinter einem Tschador verbirgt. Nachts rollt sie auf einem | |
| Skateboard durch die leeren Straßen auf der Suche nach dem nächsten Opfer. | |
| Ihre dunklen Kajalaugen bilden einen schönen Kontrast zu ihren suggestiv | |
| verschmierten Lippen, den Spuren ihres letzten vampire kiss. | |
| ## Tschador und Skateboard | |
| Die Namenlose liest Arash auf der Straße auf und nimmt ihn mit zu sich nach | |
| Hause: Zwei verlorene Seelen haben sich gesucht und gefunden. Das Knistern | |
| ihrer Vinylschallplatten verströmt dabei eine ähnlich retroselige | |
| Melancholie wie der Soundtrack zwischen Indierock und Morricone, der Lyle | |
| Vincents monochrome Bilder untermalt. Die Nacht hüllt das ungleiche Paar in | |
| tröstliche Schatten. | |
| Eine neuerliche Kopftuchdebatte wird „A Girl Walks Home Alone at Night“ | |
| nicht auslösen, dennoch schwingt in Amirpours Film eine feministische | |
| Agenda mit, denn die Opfer der Vampirin sind allesamt Vertreter einer | |
| patriarchalischen, sprich: gewalttätigen, Ordnung. „Sei ein guter Junge“, | |
| warnt die Vampirin einmal ein verängstigtes Straßenkind. | |
| Ihre Erkennungsmerkmale, Tschador und Skateboard, weisen die schweigsame | |
| Heldin als eine Reisende zwischen den Welten aus. Das Taqwacore-Mädchen | |
| bewegt sich wie ein Geist durch ein stilvoll ausgestattetes Hipsterville | |
| (Taqwacore steht für eine islamisch geprägte Punksubkultur). | |
| Vor über dreißig Jahren entsprangen die Filme, auf die Amirpour sich | |
| bezieht, subkulturellen Szenen, die vom Punk und der Gegenwartskunst | |
| beeinflusst waren. Jarmuschs Frühwerk, das er in seinem Vampirfilm „Only | |
| Lovers Left Alive“ kürzlich selbst ironisch historisierte, oder David | |
| Lynchs „Eraserhead“ begründeten eine neuartige Filmsprache zwischen Genre- | |
| und Kunstkino. | |
| In „A Girl Walks Home Alone at Night“ fungieren das Vinylknistern, der | |
| Amischlitten und das Ringelshirt des Vampirmädchens nur noch als Referenz | |
| an eine vergangene Epoche. Amirpour verbindet diese Spuren auf unaufgeregte | |
| Weise zu einer sehenswerten Hommage, die – ähnlich wie ihre Hauptfigur – am | |
| Ende aber auch etwas blutleer wirkt. | |
| 23 Apr 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Busche | |
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