Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Film „Mona Lisa and the Blood Moon“: Ein Herz für Außenseiter…
> Ana Lily Amirpour lässt eine junge Frau mit telekinetischen Kräften
> umherstreifen. Ein empathischer Blick auf das Sonderbare.
Bild: Diese Mona Lisa (Jeon Jong-seo) lächelt nicht
Als im Jahr 2014 das Debüt von Ana Lily Amirpour erschien, war es für das
Indie-Kino eine kleine Sensation. Die US-amerikanische Filmemacherin
iranischer Abstammung begeisterte die Kritik umgehend mit einem ureigenen
Stil, der selbstbewusst – dabei aber gänzlich unaufgeregt – scheinbar
unvereinbare Filmgenres und kulturelle Einflüsse kombiniert und so etwas
atmosphärisch Neues und inhaltlich Unvorhersehbares schafft.
[1][„A Girl Walks Home Alone at Night“ ist komplett in Farsi] gehalten,
wurde in Schwarz-Weiß gedreht, und lässt sich am besten als eine
erstaunlich harmonische Melange aus Spaghetti-Western, Film Noir und
Vampirfilm beschreiben. Im Zentrum steht eine namenlose junge Blutsaugerin
(Sheila Vand), die des Nachts, mit Hidschab und Skateboard ausgestattet,
durch eine fiktive iranische Kleinstadt treibt, wo sie allerlei
absonderlichen Gestalten begegnet.
Nach Ana Lily Amirpours zweiten Langfilm, dem etwas stärker [2][von Action
getriebenem „The Bad Batch“], wirkt ihr neues Werk beinahe wie eine
inoffizielle Fortsetzung ihres Erstlings. „Mona Lisa and the Blood Moon“
dreht sich erneut um eine fast tonlose weibliche Hauptfigur, deren
eigentlich unübersehbare Sonderbarkeit vor den ganz alltäglichen
Skurrilitäten ihrer Umgebung verblasst.
Wenn man so will, ist das eine noch bedeutendere Stärke der Filmemacherin
als die Fähigkeit, eine unverwechselbare, beinahe meditative Atmosphäre zu
kreieren: Der von tiefer Empathie geprägte Blick auf unwillkommene
Außenseiterinnen, der sie durch die Gegenüberstellung mit der
paradoxerweise akzeptierten Schlechtigkeit ihrer Umgebung still zu den
eigentlichen Heldinnen erhebt.
## Verwahrlosung in einer Gummizelle
Der weibliche Underdog des neuen Films ist die titelgebende Mona Lisa Lee
(Jeon Jong-seo), die zu Beginn der Handlung, nahe an der Verwahrlosung, in
einer Gummizelle einer psychiatrischen Einrichtung irgendwo in Louisiana
festgehalten wird. Als sie von einer sadistisch veranlagten Pflegerin
aufgesucht wird, macht sie Gebrauch von ihren telekinetischen Fähigkeiten
und übernimmt die Kontrolle über die Motorik des Personals, um der Anstalt
zu entkommen.
Anschließend treibt die etwa Zwanzigjährige, zunächst nur in einer
Zwangsjacke bekleidet, durch den Moloch, als den Amirpour das New Orleans
der Nachtclubs in der Bourbon Street, der schäbigen Diners und finsteren
Gassen präsentiert. Ebenfalls typisch für die Filmemacherin ist, dass auf
Erklärungen zum Hintergrund ihrer Heldin – etwa woher das übernatürliche
Talent oder sie selbst genau stammt – verzichtet wird.
Stattdessen lässt sie Mona Lisa auf ganz unterschiedliche Gestalten
treffen, die sich in den nächtlichen Schatten tummeln. Mit erkennbarer
Freude an ihrer schrillen Extravaganz kreiert sie abseitige Figuren, wie
den vom „New Age“-inspirierten, drogendealenden Fuzz (Ed Skrein), der sich
vor einer Tankstelle herumtreibt und sich ihr zunächst unangenehm annähert,
letztlich aber im Glauben an ihre kosmische Verbindung zum wichtigen
Beistand wird.
Ständig auf den Fersen ist ihr der behäbige. aber gutherzige Officer Harold
(Craig Robinson), der sie zunächst festnehmen und zurück in die Einrichtung
bringen möchte. Als er daraufhin ebenfalls Opfer ihrer mystischen
Fähigkeiten wird, beginnt er die unterhaltsam erzählte Verfolgung, die eine
skurrile Station bei einer Voodoo-Priesterin beinhaltet. Mit dem den Film
durchziehenden Humor betritt Amirpour überzeugend neues Terrain, das dem
Film gegenüber ihrem bisherigen Werk mehr Leichtigkeit verleiht.
## Freundschaft mit 11-jährigem Heavy-Metal-Jünger
Charmanten Witz bringt besonders Stripperin Bonnie (Kate Hudson) ins Spiel.
Mit einer bestechend-frechen „Straßenschläue“ ausgestattet, wittert sie in
der komischen Fremden ihr Glück. Kurzerhand nimmt sie Mona Lisa bei sich
auf, zieht mit ihrer Hilfe besonders Club-Besuchern das Geld aus der Tasche
und lässt sich schließlich vor Geldautomaten von ahnungslosen Bankkunden
die abgehobenen Scheine aushändigen.
Mit bedächtiger Gründlichkeit zeichnet Amirpour wiederum die
freundschaftliche Beziehung zwischen Mona Lisa und dem elfjährigen Charlie
(Evan Whitten), Bonnies Sohn. Als Heavy-Metal-Jünger aus schwierigen
Familienverhältnissen wird er von Mitschülern gemobbt, auch das Verhältnis
zur ständig arbeitenden, wenig an ihm interessierten Mutter ist angespannt.
Ihre tiefe Verbindung ergibt vor dem Hintergrund, dass Mona Lisa die
letzten zehn Jahre ohne richtigen Kontakt zur Außenwelt in beinahe
vollständiger Isolation verbrachte – man sich also vermutlich auf einem
ähnlichen Entwicklungsstand befindet –, durchaus Sinn. Der Handlungsstrang
gehört dennoch zu jenem mit den spürbarsten Längen, ist er doch zu gewollt
anrührend erzählt, um tatsächlich eine Wirkung zu entfalten.
Ein treibendes Narrativ besitzt „Mona Lisa and the Blood Moon“, auch das
ist eine Reminiszenz an den Erstling, nicht. Stattdessen schöpft er in
seiner episodischen Erzählweise Kraft aus interessanten Figuren und einem
erneut betörenden Stil, der hier von leuchtenden Neonfarben und einem
abwechslungsreichen Soundtrack getragen wird.
Wirkte „A Girl Walks Home Alone at Night“ [3][wie eine abgefilmte Graphic
Novel], erinnert Amirpours neuer Film an ein langes, stylisches Musikvideo.
Der Filmemacherin vorzuwerfen, Stil über Substanz zu stellen, scheint also
ein Leichtes zu sein. Dafür aber müsste man das selten große Herz für
Außenseiterinnen, das in ihren Filmen schlägt, gänzlich übersehen.
10 Oct 2022
## LINKS
[1] /Feministischer-Vampirfilm/!5011242
[2] /Filmfest-in-Venedig/!5334373
[3] /Comicverfilmung-Persepolis/!5191358
## AUTOREN
Arabella Wintermayr
## TAGS
Film
Spielfilm
Psychiatrie
Außenseiter
Schwerpunkt Iran
Spielfilm
Kopftuch
Filmfestival Venedig
Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig
Feminismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Film „The Banshees of Inisherin“: Suche nach dem gelungenen Leben
Ein Mann beendet eine Freundschaft. Warum? Dem geht der Kino-Film „The
Banshees of Inisherin“ grotesk komisch und tragisch nach.
Proteste in Iran: Viele Tote, viel Widerstand
Videos und Bilder aus Iran zeigen, wie der Staat versucht, die Proteste
aufzuhalten. Gerade in den kurdischen Gebieten sind die Repressionen hart.
Selbstbestimmung bei den Filmfestspielen: Die Kontrolle zurückgewinnen
Starke Frauenfiguren kommen bei den Filmfestspielen in Venedig in diesem
Jahr nicht zu kurz. Darunter eine Psychiatriepatientin mit übernatürlichen
Fähigkeiten.
Filmfest in Venedig: Das Leben der anderen
Neues aus der Lagunenstadt: Zufallsbekanntschaften auf dem Boot, ein Drama
in Adelskreisen und Kannibalismus unter Ausgestoßenen.
Feministischer Vampirfilm: Tröstliche Schatten
Kleinkriminelle, Prostituierte, Junkies und andere Nachtschattengewächse
bevölkern „A Girl Walks Home Alone at Night“, von Ana Lily Amirpour.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.