| # taz.de -- Film „The Banshees of Inisherin“: Suche nach dem gelungenen Leb… | |
| > Ein Mann beendet eine Freundschaft. Warum? Dem geht der Kino-Film „The | |
| > Banshees of Inisherin“ grotesk komisch und tragisch nach. | |
| Bild: Auf Abstand: Colm (Brendan Gleeson) und Pádraic (Colin Farrell) | |
| Eigentlich ist es mit Freundschaften etwas anderes als mit romantischen | |
| Beziehungen. Sie zu beenden, kommt äußerst selten vor. Gerade, wenn es | |
| dafür keinen handfesten Grund gibt. Eher schlafen sie allmählich ein, wenn | |
| sich die einst freundschaftlich Verbundenen auseinandergelebt haben und | |
| schlicht keinen Kontakt mehr suchen. | |
| Im Fall von Pádraic Súilleabháin (Colin Farrell) und Colm Doherty (Brendan | |
| Gleeson) aber passiert genau das: Nachdem die beiden Männer ihre | |
| Nachmittage auf der fiktiven irischen Insel „Inisherin“ stets gemeinsam im | |
| einzigen örtlichen Pub miteinander verbrachten, beschließt der ältere der | |
| beiden, Colm, vom einen Tag auf den anderen, keine Zeit mehr mit Pádraic | |
| verbringen zu wollen. Weil er ihn einfach nicht mehr möge, erklärt er ihm. | |
| Die Prämisse von Martin McDonaghs im Jahr 1923 angesiedelten Tragikomödie | |
| „The Banshees of Inisherin“ ist so simpel wie skurril. Für den | |
| britisch-irischen Filmemacher bildet sie das Fundament für eine | |
| überraschende Reflexion über die Frage, was ein gelungenes Leben ausmacht. | |
| Wie schon in seinem [1][Langfilmdebüt „Brügge sehen … und sterben?“], in | |
| dem Farrell und Gleeson als Auftragsmörder ebenfalls ein ungleiches, aber | |
| tief verbundenes Duo bildeten, kreiert der Drehbuchautor und Regisseur | |
| dafür eine eigentümliche Stimmung. | |
| Eine, die spätestens mit seinem [2][Film „Three Billboards Outside Ebbing, | |
| Missouri“ von 2017] zu einer unverwechselbaren Handschrift avanciert ist. | |
| Sie bewegt sich zwischen den Extremen grotesker Komik und | |
| niederschmetternder Tragik, die sich im Laufe der Geschichte allmählich | |
| ausbreitet und in ein unerbittliches Finale mündet. Das geht mit einem | |
| beinah absurden Maß an Gewalt einher – enthält aber stets eine wertvolle | |
| humanistische Erkenntnis. | |
| Zunächst entwickeln sich die Ereignisse in der überschaubaren Gemeinde mit | |
| einer gewissen Arglosigkeit. Pádraic kann nicht fassen, dass sein | |
| jahrzehntelanger Gefährte urplötzlich nichts mehr von ihm wissen will, | |
| sucht Rat bei seiner Schwester Siobhán (Kerry Condon) und probiert | |
| stattdessen, eine Beziehung zu Dominic (Barry Keoghan), dem einfältigen | |
| Sohn des grobschlächtigen Dorfpolizisten (Gary Lydon), aufzubauen. | |
| ## Keine Zeit verschwenden | |
| Doch niemand kann ihm eine Antwort darauf liefern, was es mit dem | |
| Geisteswandel seines einzigen Freundes auf sich hat. Die Meisten sehen in | |
| seinem Verhalten nur eine momentane Spinnerei. Dem aber ist nicht so, wie | |
| dieser bald selbst ausführt: Unversehens an seine eigene Sterblichkeit | |
| erinnert, möchte er seinen Alltag grundsätzlich ändern und seine Zeit nicht | |
| mehr mit immer gleichen, faden Gesprächen mit dem geistlosen Pádraic | |
| verschwenden. | |
| Stattdessen möchte er sich voll und ganz dem Komponieren von Folk-Musik | |
| widmen, um etwas zu schaffen, das bleibt. Der unbescholtene Pádraic, der | |
| nicht zur Schwermut neigt und offensichtlich nicht viel mehr zum | |
| Glücklichsein braucht als einen Kumpan und seine Schwester, seine geliebten | |
| Tiere und Guinness, kann diese Entscheidung nicht akzeptieren. Auch dann | |
| nicht, als Colm ihm ein schauriges Ultimatum stellt: Für jedes Mal, wenn | |
| sein bisheriger Freund versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen, wird er sich | |
| einen Finger abschneiden. | |
| Wozu „The Banshees of Inisherin“ hier ansetzt, ist kein philosophischer | |
| Parforceritt, sondern besticht gerade durch die Prägnanz der Pole, die | |
| aufeinandertreffen: Was ist eigentlich erstrebenswerter – ein netter oder | |
| ein interessanter Mensch zu sein? Von wenigen geliebt oder vielen bewundert | |
| zu werden? Und losgelöst von äußeren Zuschreibungen, im Hinblick auf die | |
| eigene Existenz und wie wir sie füllen: besser mit Dingen, die für den | |
| Moment glücklich machen, oder solchen, denen wir eine langfristige | |
| Bedeutsamkeit unterstellen? | |
| Die Handlung des Films, den McDonagh vor beinahe dreißig Jahren als | |
| Bühnenstück anlegte, aber nie zur Aufführung brachte, konfrontiert sein | |
| Publikum mit derlei Erwägungen über ebenso verquer-witzige wie vielsagende | |
| Dialoge. In einem zentralen Moment etwa, wenn Pádraic den abgewandten Colm | |
| im Pub zur Rede stellt und ihm bewusst machen möchte, dass eine | |
| Freundschaft zu ihm von Bedeutung ist, schlicht weil er nett sei. Dieser | |
| reagiert mit einer Gegenfrage danach, an welche Persönlichkeit aus dem 17. | |
| Jahrhundert man sich heute noch erinnere, weil sie nett war. Die Antwort | |
| gibt er selbst: An keine. Aber Mozart, an den erinnerten sich alle. | |
| „Ich nicht“, erwidert Pádraic, um sein Argument zu entkräften. Dass Mozart | |
| eigentlich im 18. Jahrhundert gelebt habe, korrigiert Siobhán und führt | |
| damit vor Augen, dass es mit der vermeintlichen Unsterblichkeit gar nicht | |
| mal so weit her ist, geschweige denn mit dem Einfluss darauf, woran sich | |
| die Nachwelt erinnert und ob es am Ende mehr sein wird als ein bloßer Name. | |
| Anstatt sich für eine Seite zu entscheiden, entlässt McDonagh mit der | |
| naheliegenden, aber nicht von der Hand zu weisenden Losung, dass es stets | |
| die Dosis ist, die das Gift macht. Während Colm sich das Diesseits in dem | |
| verbissenen Versuch, sich ein Nachleben zu sichern, zur Hölle macht, ist | |
| auch Pádraics Unbedarftheit nicht ohne Folgen für seine Mitmenschen. In | |
| seiner liebevollen, zugleich naiven Art von der Fürsorge seiner | |
| bildungshungrigen Schwester abhängig, drängt er sie insgeheim dazu, an | |
| seiner Seite zu verweilen, anstatt nach eigener Erfüllung zu suchen. | |
| Als weiseste Figur angelegt, sagt sie, auch mit Blick auf den unweit auf | |
| dem Festland tobenden irischen Bürgerkrieg, beinahe prophetisch, dass | |
| Gewalt aus Trostlosigkeit und Groll, aus Einsamkeit und Trotz erwachse. Das | |
| trifft nicht nur auf die Wendung zu, die Colms und Pádraics Beziehung | |
| nimmt, sobald die Zugewandtheit des Letzteren in Bitterkeit umschlägt, | |
| sondern gilt für nahezu alle Charaktere, die im Laufe der nicht ganz | |
| zweistündigen Spielzeit eine Rolle spielen. | |
| So erweist sich „The Banshees of Inisherin“ als das, was man eine | |
| beispielhafte emotionale Achterbahnfahrt nennt und gehört damit zur | |
| wirksamsten Sorte von Kino. Eines, das bei aller Kurzweil seinen Nachhall | |
| findet. | |
| 4 Jan 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Arabella Wintermayr | |
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