# taz.de -- Regisseur über Jungen-Freundschaft: „Zerbrechlichkeit und Brutal… | |
> Regisseur Lukas Dhont erzählt im oscarnominierten Drama „Close“ von der | |
> Nähe unter Jungen. Ein Gespräch über Gruppenzwang, Gefühle und | |
> Verhärtung. | |
Bild: In der elterlichen Gärtnerei helfen: Léo (Eden Dambrine, r.) und sein B… | |
Sensibel und aus nächster Nähe erzählt „Close“ von der intimen Freundsch… | |
zweier Jungen, die unter dem Druck pubertären Gruppenzwangs zerbricht. Der | |
zweite Spielfilm des 31-jährigen Belgiers Lukas Dhont, nach dem | |
Transitionsdrama „Girl“, erhielt in Cannes den Großen Preis der Jury und | |
wurde am Dienstag für einen Oscar in der Kategorie „International Feature | |
Film“ nominiert. | |
taz: Herr Dhont, warum wollten Sie von der engen Freundschaft zwischen zwei | |
13-Jährigen erzählen? | |
Lukas Dhont: Die Intimität zwischen Jungs wird in unserer Gesellschaft | |
schnell sexualisiert. Es gibt kaum Platz abseits davon, weil es als | |
„unmännlich“ gilt, Gefühle zu zeigen oder Zärtlichkeiten auszutauschen. | |
Aber wenn man 13-Jährigen zuhört, wie sie über ihre Freunde reden, klingt | |
das oft sehr liebevoll. Im Laufe der Pubertät gehen diese Sprache und diese | |
Nähe verloren. Ich war einer dieser Jungs, hatte ab einem gewissen Alter | |
Angst vor Intimität und versuchte, vermeintlichen Erwartungen gerecht zu | |
werden. Darüber wollte ich sprechen. | |
Woher kommt diese Angst vor Intimität? | |
In unserer heteronormativen Wahrnehmung gibt es sehr viele Schubladen, in | |
die wir uns gegenseitig stecken. Junge Männer sollen stark sein, unabhängig | |
und nicht verweichlicht. Mir hat dabei das Buch „Deep Secrets“ der | |
US-amerikanischen Psychologin Niobe Way die Augen geöffnet. In ihrer Studie | |
beobachtet sie 150 afroamerikanische Jungen und ihre Entwicklung. Als Way | |
sie im Alter von 13 Jahren nach ihren Freunden befragt, erzählen sie sehr | |
liebevoll, ihre Freunde sind zu dem Zeitpunkt die wichtigsten Menschen in | |
ihrem Leben. Sie teilen Gefühle und Geheimnisse, und sie gehen sehr offen | |
damit um. Jahre später stellt sie ihnen dann dieselben Fragen erneut, und | |
mit 17 oder 18 benutzen nun die Jungen ein anderes, härteres Vokabular. Die | |
Zärtlichkeit, die sie vorher geäußert haben, assoziieren sie nun mit | |
„feminin“ und wehren sich dagegen. Sie distanzieren sich von ihren Freunden | |
und letztlich von sich selbst. Als ich das las, hat mich das sehr berührt, | |
weil ich viel von mir wiedererkannte. | |
Inwiefern? | |
Ich wuchs als queerer Junge im flämischen Teil Belgiens auf dem Land auf | |
und hatte in meiner Jugend ähnliche Erfahrungen gemacht, dass ab einem | |
gewissen Alter die körperliche Nähe und Intimität zwischen Jungs als etwas | |
Schmutziges gesehen wird. Ich zog mich von Freunden zurück, weil ich Angst | |
hatte, aufzufliegen. Ich fühlte mich damals sehr allein. Als ich dann Ways | |
Buch las, wurde mir klar, dass es nicht nur mir so gegangen war. Es ging um | |
eine Vorstellung von Maskulinität und wie Jungs und junge Männer | |
konditioniert werden, sich in der Gesellschaft zu verhalten. Einzelkämpfer | |
zu sein und sich zu schützen, indem man einen Panzer um sich aufbaut. | |
„Close“ ist mir also sehr nahe und kommt aus persönlichen Erfahrungen, aber | |
es geht um ein größeres Phänomen. | |
Wie haben Sie zur konkreten Geschichte gefunden? | |
Ich wollte zunächst von zwei Jungs am Übergang zwischen Kindheit und | |
Pubertät erzählen, ihre noch sehr unschuldige physische Nähe, die | |
abgeschottet von der Außenwelt existiert. Und dann kommt dieser Moment, in | |
dem sie auf den Spielplatz kommen und den Blicken anderer ausgesetzt sind. | |
Es ist ein Mikrokosmos mit Gruppen und Hierarchien, plötzlich gibt es | |
Labels und Schubladen, und ihre undefinierte Freundschaft wird von | |
Außenstehenden eingeordnet, weil sie sie anders nicht verstehen können. Da | |
geht etwas kaputt und davon wollte ich erzählen. Am Anfang standen für mich | |
zwei Worte: Zerbrechlichkeit und Brutalität. Mir ging es darum, wie | |
Brutalität in diese zerbrechliche Kinderwelt einbricht und sie korrumpiert. | |
Mir ist wichtig, diesen Aspekt der Gewalt nicht zu ignorieren. Nicht nur in | |
der Gesellschaft, sondern vor allem die Gewalt, die wir uns selbst antun. | |
Wie haben Sie mit den beiden jungen Hauptdarstellern, Eden Dambrine und | |
Gustav De Waele, gearbeitet? | |
Wir verbrachten sechs Monate zwischen Casting und den Dreharbeiten. Wir | |
redeten viel über Freundschaft, Nähe und Verantwortung. Sie sind beide sehr | |
intelligent und in dem Alter noch sehr verbunden mit ihren Emotionen, sie | |
drücken sich sehr unmittelbar und authentisch aus. Ich gab ihnen das | |
Drehbuch, und sie konnten gleich etwas damit anfangen, weil es ganz nah an | |
ihren eigenen Erfahrungen ist. Ich bestärkte sie, ihre Emotionen frei zu | |
auszudrücken, dass sie wertgeschätzt und nicht ausgebeutet werden. Wir | |
redeten über jede Szene, sie brachten dabei viel von sich ein. Ich gab nur | |
den Rahmen vor, sie waren sehr frei, sich darin zu bewegen. Überraschung | |
ist für mich ein wichtiges Element beim Drehen. | |
Wie Ihr [1][Regiedebüt „Girl“] handelt „Close“ von einer queeren | |
Identitätssuche. Was interessiert Sie daran? | |
Das hat viel mit meiner eigenen Biografie zu tun. Mit 15 auf dem Gymnasium | |
war ich noch ungeoutet, spielte vor den anderen eine Rolle. Ich hatte | |
gelernt, andere Jungs zu beobachten und ihr Verhalten nachzuahmen, um | |
selbst nicht aufzufallen. Und eines Tages saß ich im Kino und sah im | |
Dunkeln auf der Leinwand zwei Cowboys, die sich ineinander verliebten. Das | |
war [2][„Brokeback Mountain“] und für die Dauer des Films konnte ich an | |
etwas teilhaben, das nicht mehr möglich war, als das Licht wieder anging. | |
In dem Moment wurde mir bewusst, warum ich Filme machen wollte. Um von der | |
Suche nach Identität zu erzählen, in der Hoffnung, dass irgendwo jemand in | |
einem Kino sitzt und sich wiedererkennt und gesehen und verstanden fühlt | |
wie ich damals, als ich mit den Erwartungen und Normen haderte. | |
24 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Abeltshauser | |
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