# taz.de -- Roman von Nils Minkmar: Jeden Sonntag ein Huhn im Topf | |
> Nils Minkmar hat mit großer Detailfreude „Montaignes Katze“ geschrieben. | |
> Der historische Roman zeigt die Einigung eines zerrissenen Landes. | |
Bild: Michel de Montaigne: Allein konnte so ein Herr die ganze Anzieherei kaum … | |
So ein Herr im alten Frankreich hat es gewiss nicht leicht gehabt. Was der | |
nicht alles anziehen musste. Das Hemd, das auf der Haut liegt, noch ein | |
Hemd darüber und unten dann die Strümpfe, die mit Bändern auch noch | |
befestigt werden mussten. Etwas um den Hals brauchte es auch noch und ein | |
Wams natürlich. Am Ende war dann noch der Gürtel umzuschnallen mit der | |
Waffe. Das schwere, aber stumpfe Schwert des Vaters oder ein Teil, das auch | |
zum Kämpfen taugt? | |
Allein konnte so ein Herr die ganze Anzieherei kaum schaffen. Dienstboten | |
mussten ihm dabei behilflich sein. Auch um einen Denker wie Michel de | |
Montaigne, der von 1533 bis 1592 gelebt hat, muss eine Vielzahl solcher | |
Helfer herumgeschwirrt sein. Wie das ausgesehen haben könnte, das | |
beschreibt [1][Nils Minkmar, den man als Kulturjournalisten gut kennt], in | |
seinem ersten Roman, „Montaignes Katze“, mit großer Freude am Detail, ganz | |
so, als wolle der Journalist und Frankreichkenner ein neues Genre kreieren, | |
das des philosophischen Strumpfhosenromans. | |
Im Jahre 1584 spielt der Roman. Und Montaigne, der Bürgermeister von | |
Bordeaux war und [2][als Verfasser der „Essais“] seine humanistische | |
Gesinnung in einer Zeit zum Ausdruck gebracht hat, die man getrost als | |
inhuman bezeichnen kann, soll eine verzwickte Aufgabe lösen. Er soll Henri, | |
den König von Navarra, überreden, den französischen Thron zu besteigen, auf | |
dass er das ganze Land versöhne. Denn in dem tobt ein Bürgerkrieg nach dem | |
anderen. Die Katholiken haben die Hugenotten in der [3][Bartholomäusnacht] | |
regelrecht massakriert, so dass sich das Wasser der Seine in Paris rot | |
gefärbt hat. | |
Die Hugenotten, die sich neu formiert haben, sinnen, angestachelt von | |
radikalen Führern und unterstützt aus dem protestantischen Ausland, auf | |
Rache. Eine solche wollen die fundamentalistischen Katholiken, die von der | |
mächtigen spanischen Krone unterstützt werden, mit aller Gewalt verhindern. | |
Eine wahre Gewaltspirale dreht sich da seit Langem. | |
Der von Montaigne bearbeitete Henri würde sich davon eigentlich nur allzu | |
gerne fernhalten. Er ist Hugenotte und er weiß, dass er Frankreich nur als | |
Katholik wird führen können. Soll er etwa konvertieren? Und soll er | |
wirklich nicht auf Rache sinnen, er, der erlebt hat, wie so viele | |
Hugenotten dahingemetzelt worden sind? | |
Wer das Buch liest, diese Haltung des Autors scheint nur allzu deutlich | |
durch die 400 Seiten, wird schon wissen, wie die Sache ausgeht. Überhaupt | |
setzt Minkmar viel voraus bei seinen Lesern. Was Montaigne so gedacht und | |
als im Wortsinn erster Essayist der Publizistikgeschichte zu Papier | |
gebracht hat, das sollte man schon kennen. Und auch von seiner Freundschaft | |
mit dem Richter und Denker [4][Étienne de La Boétie], der zum Zeitpunkt der | |
Handlung schon lange tot ist, dem guten Montaigne aber immer wieder | |
erscheint, sollte man natürlich wissen. | |
„Von der freiwilligen Knechtschaft“ heißt dessen Werk, das sich mit der | |
Frage beschäftigt, wie es sein kann, dass ein Tyrann Macht über Menschen | |
hat, die diese ihm eigentlich nie gegeben haben. Minkmar deutet immer nur | |
an, was die Denker sich seinerzeit so ausgedacht haben, und so wird sein | |
Roman bisweilen zu einer Herausforderung, an der frankophile Bildungsbürger | |
mit einer Leidenschaft für das 16. Jahrhundert echte Freude haben dürften. | |
Gut, dass es für alle anderen Wikipedia gibt. | |
Henri, so hat es die Geschichte gezeigt und [5][so steht es in der | |
Wikipedia], wird König und als Henri Quatre das Land tatsächlich einen. | |
Legendär wird sein Edikt von Nantes, das er erlässt, und das den Hugenotten | |
im katholischen Frankreich Glaubensfreiheit und volle Bürgerrechte | |
zusichert. Die Bürgerkriege enden. | |
Ob es wirklich die alte Amme des wackeren Montaigne war, die den zunächst | |
machtunlustigen Henri umstimmt? Auf die trifft er im Roman und stellt ihr | |
die Frage, was für sie das gute Leben sei. „Keine Soldaten mehr in meinem | |
Feld, keine Beerdigung jüngerer als ich und jeden Sonntag ein Huhn im | |
Topf.“ | |
Wenn die kriegerische Welt mit all ihren moralisch Radikalen doch auch | |
heute noch so einfach wäre, mag sich denken, wer das liest. Vielleicht ist | |
sie es ja. | |
19 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.sueddeutsche.de/autoren/nils-minkmar-1.5449030 | |
[2] /!739203/ | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Bartholom%C3%A4usnacht | |
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%89tienne_de_La_Bo%C3%A9tie | |
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_IV._(Frankreich) | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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