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# taz.de -- Neuer Roman von Arno Frank: Ottersweiler ist überall
> Pommes und Depressionen am Beckenrand: Arno Franks neuer Roman „Seemann
> vom Siebener“ spielt am letzten heißen Sommertag in einem Freibad.
Bild: Nein, ein leichter Ort ist das Freibad von Ottersweiler gewiss nicht
Lennart kommt aus der großen, weiten Welt zurück in die Provinz, kehrt an
den Ort zurück, von dem er einst aufgebrochen ist. Schon wieder einer. Wie
schwierig sie ist, diese Rückkehrerei, ist nun schon oft beschrieben worden
in der Literatur. Meist kommt die Provinz da nicht allzu gut weg. Finster
ist es da, verschwiegen sind die Leute. Und oft sind sie nicht viel mehr
als belebte Kulissen bei der Erkundung des Seelenlebens derjenigen, die
sich einst aufgemacht haben.
Es ist ja gewiss nicht leicht, in New York loszufliegen, um im
Fremdenzimmer vom Gasthof „Ochsen“ in Ottersweiler zu landen und schier
erdrückt zu werden von der dunkelbraunen Beize der Holzpanele an den
Wänden. In Arno Franks Roman „Seemann vom Siebener“ ist der zu Ruhm
gekommene Fotograf Lennart der Rückkehrer. Doch er ist nicht der
Protagonist, um den sich alles schart. Er ist nur einer der zahlreichen
Kleindarsteller, die sich am vielleicht letzten heißen Tag des Sommers im
Freibad treffen.
Da ist natürlich der [1][in die Jahre gekommene Bademeister,] von dem man
nicht so recht weiß, ob er zum Rettungsschwimmer wirklich noch das Zeug
hat. Da ist die Kassiererin am Einlass zum Bad. Der Jugo, der die Pommes
frittiert. Eine pensionierte Lateinlehrerin, die gerade merkt, dass sie
sich nicht mehr alles merken kann. Die Erzieherin mit ihrer Kindergruppe.
Die junge Witwe, die unsicher ist, ob sie am Tag der Trauerfeier für ihren
Mann ins Freibad gehen kann.
Und da ist die Schülerin, die mit frisch geschorenen Haaren am Sprungturm
die Befreiung aus ihrer Depression sucht. Immer wieder wechselt die
Erzählperspekive. So werden alle Mitwirkenden immer wieder zu Hauptpersonen
in diesem Roman, den man gut und gerne als literarisches Lehrstück über die
deutsche Provinz bezeichnen kann.
## Würdige Beschreibung
Frank – der als Journalist [2][auch für die taz schreibt] – könnte es sich
leicht machen und alles Schäbige, was einem auf Schritt und Tritt in diesem
Ottersweiler begegnet, ins Lächerliche ziehen. Tut er aber nicht. Wie er es
etwa schafft, die kettenrauchende Frau an der Freibadkasse, die wegen
massiver Alkoholprobleme einst ihren Job in der örtlichen Bankfiliale
verloren hat, so würdig zu beschreiben, wie es jedem Menschen zustehen
sollte, das ist so überraschend wie wohltuend. Sie sind wahrlich nicht
immer liebenswürdig, die Figuren, doch Frank zeichnet sie so hingebungsvoll
zugewandt, dass man sie einfach nimmt, wie sie eben sind.
Der Bademeister, der nie viel hatte im Leben und dessen geerbter Papagei
die schmutzigen Vokabeln in die Welt trällert, die seine Mutter benutzt
hat, als die mit Telefonsex ihre Rente aufbessern musste, ist keine
Witzfigur. Da kann er sich und seine Wampe noch so ungeschickt und langsam
zu dem Notfall wuchten, zu dem er gerufen wurde. Gut möglich, dass seine
Zeit am Beckenrand bald auslaufen wird, wenn wirklich umgesetzt wird, was
im Gemeinderat diskutiert wird. Ohne Spaßbadelemente, glaubt man da, könne
man heutzutage niemanden mehr in ein Freibad locken.
Wie nebenbei erfährt man, dass diejenigen, die schon früher die lautesten
Sprüche geklopft haben, wenn gegen Ausländer gehetzt wurde, nun mit im
Gemeinderat sitzen. Ist halt so. Und wenn sich zwei Schulmädchen um die
Gunst eines Jungen bemühen, so kann es eben durchaus sein, dass dieser
Hassan heißt. Warum auch nicht?
Die Provinz ist schließlich nicht aus der Welt. Und sie ist wahrlich nicht
immer gut. Die patente Erzieherin, für die es kein Problem ist, einer
ganzen Kindergartengruppe Herrin zu werden, ist dann doch überfordert, den
offensichtlich kriegstraumatisierten Ali in die juchzende Bande zu
integrieren.
## Versuchte Flucht aus der Provinz
Nein, ein leichter Ort ist das Freibad von Ottersweiler gewiss nicht. Der
Bademeister weiß das am besten, weil ihm die Bilder nicht aus dem Kopf
gehen wollen von jenem Tag, an dem er die Leiche eines jungen Mannes
gesehen hat, der vom Sieben-Meter-Turm gesprungen ist, als das Wasser
abgelassen war. Und leicht ist das Leben für die junge Witwe auch nicht
gewesen, als ihr Mann noch gelebt hat, schließlich war er der Sohn des
Spediteurs, des großen Unternehmers, ohne den nicht viel läuft im Ort.
Der Sohn hat es auch mit der Flucht aus der Provinz versucht in die
Start-up-Welt von Berlin. Seine Rückkehr endete mit einem tödlichen
Verkehrsunfall. Und jetzt steht Lennart vor der Witwe, und sie fragen sich,
ob damals, als sie jung waren, nicht doch etwas zwischen ihnen hätte sein
müssen, was dann nicht war. Alte Liebe?
Irgendwie passiert eben doch alles in dieser Provinz, in der eigentlich
nichts los ist. Was für ein fesselndes Porträt der Normalität dieser Roman
doch ist!
21 Mar 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
## TAGS
Literatur
Provinz
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Freizeit
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