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# taz.de -- Schwimmen Oben-ohne in Berlin: Gendergerechtigkeit am Beckenrand
> Berliner Bäder erlauben nackte Brüste. Manche befürchten einen
> Kulturkampf. Blickt man auf die Genese der Bademoden, verbietet sich jede
> Aufregung.
Bild: Frauen demonstrieren mit nacktem Oberkörper
Nun also auch Berlin. Gemeinhin nimmt die Hauptstadt ja gern für sich in
Anspruch, besonders cool und sexy zu sein, in diesem Fall waren andere
Städte wie Göttingen schneller. Aber nun ist auch in den öffentlichen
Bädern der Hauptstadt das Oben-ohne-Baden für alle Geschlechter erlaubt.
Weder beim Schwimmen noch beim Sonnenbaden müssen Frauen ihre Brüste
bedecken.
[1][Dabei gilt die alte Hausordnung einfach weiter]. Denn laut den Berliner
Bäderbetrieben (BBB) war „oben ohne“ nie verboten. Der allgemein gehaltene
Passus, es sei „handelsübliche Badekleidung“ zu tragen, sei vom Personal
bloß falsch ausgelegt worden, heißt es jetzt – geschlechtsspezifischen
Vorgaben gebe es nicht. Allerdings hat in der Vergangenheit wohl kaum
weibliches Publikum auf dieses Recht gepocht. [2][Wo kein Kläger, da kein
Richter.]
Die Debatte um Gendergerechtigkeit macht aber auch am Beckenrand nicht
Halt. Eine 33-jährige Frau, die im Dezember ohne Oberteil in einem
Hallenbad schwimmen wollte und deshalb des Hauses verwiesen wurde, hatte
bei der Antidiskriminierungsstelle des Landes erfolgreich Beschwerde
eingelegt. In der Folge haben die BBB ihr Personal nun angewiesen,
unbekleidete Oberkörper in jeden Fall zu tolerieren.
Konflikte sind damit programmiert. In ersten Reaktionen auf Twitter wurde
prognostiziert, dass es in den Schwimmbädern zum Kulturkampf kommen werde
und Sicherheitspersonal Frauen mit unbedeckten Brüsten vor Gaffern schützen
müsse. Ähnliches war auch in Göttingen befürchtet worden, wo die Regelung
seit dem Sommer 2022 gilt. Bewahrheitet hat sich das nicht.
Nun sind Göttingens Bäder vermutlich [3][längst nicht so multikulturell
gemischt wie die der Berliner Innenstadt]. In einer internen
Dienstanweisung versuchen die BBB denn auch, ihr Personal auf etwaige
Konflikte vorzubreiten: „Wir wissen, dass es Menschen gibt, die irritiert
darauf reagieren, wenn eine Frau oder eine trans- oder intergeschlechtliche
Person mit nicht-bedeckter Brust schwimmen oder baden geht“, heißt es
darin.
## An erster Stelle die Gleichheit
Der Grundsatz der Gleichheit stehe jedoch über anderen Rechten wie der
Religionsfreiheit. Badegäste, die aus religiösen Gründen nicht in einem Bad
bleiben könnten, wo „oben ohne“ praktiziert werde, hätten keinen Anspruch,
die Bedeckung der Brüste zu verlangen. Man baue auf die Sensiblität und
Toleranz der Kundschaft und führe intensive Gespräche mit der Belegschaft,
wie damit umzugehen sei, teilte der BBB-Vorstandschef mit.
In Göttingen war es eine Person, die nicht als Frau identifiziert werden
wollte, die ihren Anspruch durchgesetzt hatte. Für diesen Personenkreis mag
es eine Befreiung sein, mit freiem Oberkörper schwimmen zu können. Nicht
verhindern lassen wird sich indes, dass manche Menschen den Anblick nackter
Brüste nicht aushalten, sich dadurch sexualisiert, provoziert oder aus
religiösem Empfinden beleidigt fühlen. Das gilt es nun auszuhalten. Eine
Segregation in den Bädern, Zäune oder Sichtblenden sind jedenfalls keine
Lösung.
Jenseits aller kulturellen Schranken ist die Frage letztlich doch die: Wie
weit ist die Gesellschaft in puncto körperliche Freiheiten? Es ist noch
nicht so lange her, da war es ganz normal, sich geschlechterübergreifend
mit nacktem Oberkörper auf dem Kreuzberg zu sonnen. Aber nicht nur im
öffentlichen Raum hat eine neue Keuschheit Einzug gehalten, sondern auch im
Privaten. War es früher in WGs selbstverständlich, nackt über den Flur zu
laufen, verriegeln junge Menschen nun das Badezimmer, bevor sie sich
ausziehen – und gleichzeitig wird massenhaft digitale Pornografie
konsumiert.
Aber vielleicht sind die Menschen doch nicht so prüde, wie es wirkt. Blickt
man zurück auf die Genese der Bademoden, verbietet sich jede Aufregung.
Nach der Freikörperkultur, die in den Zwanziger Jahren des vergangenen
Jahrhunderts zu Synonym für Freiheit geworden war, verboten die Nazis
öffentliches Nacktbaden sowie das Baden in anstößiger Badekleidung.
Auf die Präsentation des ersten Bikinis, 1946 vorgestellt von einem
französischen Modedesigner, folgte ein Erdbeben der Empörung. Erst Anfang
der 60er wurde der Zweiteiler durch den Auftritt des ersten Bond-Girls
Ursula Andress zum modischen Must-have.
Nun fällt das Top.
11 Mar 2023
## LINKS
[1] /Baden-in-Berlin/!5919651
[2] /Streit-um-Oben-Ohne-Baden-in-Berlin/!5869372
[3] /Berlins-Badesaison-beginnt/!5684341
## AUTOREN
Plutonia Plarre
## TAGS
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