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# taz.de -- Die Wahrheit: Philosophieren über Getränke
> Montaigne, Bier und der Fußball: Schön, wenn so unterschiedliche Dinge im
> Namen der Philosophie doch so nahe beieinander liegen.
Bild: Michel de Montaigne: Allein konnte so ein Herr die ganze Anzieherei kaum …
Es war ein besonderer, wenn nicht sogar ein Festtag als Konsument: Der
Bäcker beziehungsweise seine Mitarbeiterin bot ein kostenloses Getränk an,
einfach so. Es war nämlich eine Neuheit, die man probieren sollte. Zusammen
mit einem halben Gersterbrot nahm ich es mit.
Gleich im Kontor war ich nicht mehr Konsument, sondern in Windeseile
Rechercheur. Denn auf der Rückseite des Etiketts stand originellerweise
eine Frage: „Was entsteht, wenn zwei regionale, traditionelle und
erfolgreiche Qualitätshersteller in fröhlicher Runde zusammensitzen und
über Getränke philosophieren? Die fruchtigste Idee aller Zeiten!“
Das Produkt nennt sich „Hopfenfrucht“ und besteht aus 55 Prozent
alkoholfreiem Bier und 45 Prozent Direktsaft, sonst nichts, wie es
beteuert. Aber das ist genauso unwichtig wie die Unternehmen, die es
herstellen, das Einbecker Brauhaus und Beckers Bester. Allerdings grübelte
ich, ob philosophieren und die Hopfenfruchtschöpfer zusammen passen, die
übrigens „fast ein Jahr lang ausgetüftelt“ haben, „welche Kombination g…
harmoniert, produzierbar und haltbar ist“ und so weiter.
Ich grübelte. Und ich grübelte weiter, eingedenk einer kurzen Passage bei
Michel de Montaigne (1533–1592), dem Erfinder des Begriffs Essay, der
ausgerechnet in dem Kapitel „Philosophieren heißt, sterben lernen“
schreibt: „Ich bin von Haus aus nicht melancholisch, sondern nur ein
Grübler.“
## Deutscher Meister 1967
Ich grübelte. Doch siehe da, es kam von anderer Seite das Sportmagazin
Kicker daher, und ich erfuhr eine Erleuchtung. Es ging um einen Artikel
über Eintracht Braunschweig vor ein paar Tagen, der schlanke 299 Wörter
aufweist. Der neue Trainer namens Daniel Meyer hat in diesen 299 Wörtern
zwei Mal Philosophie gebraucht: „Wir wollen eine Mannschaft
zusammenstellen, die die Philosophie mitgehen kann, die wir in den nächsten
Jahren umsetzen wollen.“ Im nächsten Absatz insistiert er: „An der einen
oder anderen Stelle werden wir nachjustieren. Wir wollen uns dafür die
nötige Zeit nehmen, zumal der Saisonstart nicht im August sein wird. Wir
wollen eine Philosophie entwickeln.“ So, so.
Es ist recht simpel, und ich bin wahrlich nicht der einzige, der keinen
Widerspruch zwischen Hochkultur einerseits und Unterhaltung andererseits
empfindet. Trainer Meyer und Philosoph Montaigne korrespondieren, wenn auch
zuweilen schief. Und dass speziell Kalauer und Hochkomik zusammengehen,
wohl sogar zu 99 Prozent verflochten sind, gar keinen Gegensatz bilden,
wissen wir seit Johann Nestroy und spätestens, nachdem die Frankfurter
Allgemeine Zeitung die ehemals heiligen Hallen des Feuilletons mit der
Neuen Frankfurter Schule füllte.
Doch das führt zu weit, ist viel zu ernst und ist obendrein Unsinn oder
Missverständnis. Da war doch noch etwas von Montaigne: „Unser
Missverständnis beruht auf Worten.“ Bin beinah gespannt, ob Herr Meyer
damit was anfangen kann.
5 Aug 2020
## AUTOREN
Dietrich zur Nedden
## TAGS
Philosophie
Eintracht Braunschweig
Kolumne Die Wahrheit
Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2024
Hannover
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Stahl
Wein
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