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# taz.de -- Die Wahrheit: Mythen der Südstadt
> Endlich haben die Kinos wieder auf. Aber der Film ist gar nicht das
> Wichtigste. Sondern der Weg zum Kino und der Weg zurück. All die
> Abschweifungen…
Bild: Die Gründer der „Fitzoblongshow“: Dietrich zur Nedden (l.) und Micha…
Natürlich ging ich sofort ins Kino! Ins Lichtspieltheater! Wie sehr mir das
fehlte, nahm ich jeden Tag wahr, jeden Abend, aber die Sinne drumherum sind
nochmal was andres. Der Weg hin und irgendwann zurück, öffentlicher Raum
und so weiter. Streamingdienste sind okay, aber draußen unterwegs sein, ist
das Ding. Existenziell wie der Besuch einer Kneipe, auch keine Überraschung
bei einem älteren Mann aus Mitteleuropa mit sogenannten Luxusproblemen. Und
es war egal, wie gut der Film wirkte.
Zuvor war ich aus meinem Kontor auf einen Sprung durch die Southside
geradelt, um am Geibelplatz drei, vier Minuten Rumpel-Yoga zu üben, zu
dehnen, beugen, strecken, in der Art. Mit dieser speziellen Gegend in der
Südstadt, wie wir sie immer noch altertümlich nennen, hat es eine besondere
Bewandtnis.
Zum einen liegt hier eines der ersten Wohnhochhäuser, ein neungeschossiger
Klinkerbau von 1930 unter dem Namen „Glückauf“. Aber ich steige hier nicht
in die Architekturgeschichte ein, sondern unversehens in die Popgeschichte,
die wenige Meter entfernt einen ihrer Höhepunkte erklommen hat. Warum war
mir dies seit zig Jahren nicht in den Sinn gerückt? Egal, hören wir mal
rein: „Aber dann habe ich die Heike gesehen / und Heike wohnt in der
Geibelstraße 10 / sie hat für mich zwar nicht die idealen Maße / aber dafür
wohnt sie in der Geibelstraße“.
Die Band hieß Mythen in Tüten, gegründet 1979 in dieser kleinen Großstadt,
und operierte mit dem Begriff Meta-Schlager. Damit wurden Mythen in Tüten
zu einem der Vorreiter der kommerziellen NDW. Nun, als „Vorreiter“ gelten
so oft so viele, da sollte sich niemand streiten und es ist ja auch egal.
Die Bands, die verzweigt daraus folgten, sind echt eine Menge, da können
Sie sich per Soundcloud oder Diensten erkundigen.
Doch nochmal zu dem Stück aus zwei Minuten und 21 Sekunden. Der Titel
lautet „Südstadt-Spatz“, und ich drehe es auf: „Mit der Zeit wurde ich m…
Heike etwas bekannter / und die Kommunikation wurde stetig redundanter /
und dann zog sie zum Karl-Peters-Platz / mein kleiner süßer
Südstadt-Spatz“. Hm. Zunächst: Ich fürchte, wir gelangen hier oder da noch
in die untiefe Falle zwischen Meta-Schlager und lyrischem Ich. Obwohl, gibt
es das überhaupt noch? Dieses lyrische Ich.
Und hier müssen wir bei unserer sommerlichen Zeitreise wieder auf den Platz
zurückkommen. Der war einst dem Kolonialisten und Rassisten Karl Peters
gewidmet, Begründer der Kolonie Deutsch-Ostafrika. Erst Mitte der achtziger
Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde der Name ausgiebig diskutiert und der
Platz schließlich umbenannt nach der Friedensnobelpreisträgerin Bertha von
Suttner.
Und der Film im Kino? Man hatte versprochen, er sei eine Mischung aus „Herr
der Fliegen“ und „Apokalypse Now“. Da hatten sie sich zu viel vorgenommen.
Aber wie gesagt: egal. Der Weg ist das …
1 Jul 2020
## AUTOREN
Dietrich zur Nedden
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Kino
Popgeschichte
Mythen in Tüten
Hannover
Philosophie
Kino
Stahl
Wein
Schwerpunkt Coronavirus
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