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# taz.de -- Yakuza-Film „Tokyo Tribe“ von Sion Sono: Jede Gang hat ihren St…
> Wie ein HipHop-Konzeptalbum: „Tokyo Tribe“, ein irrwitziger und
> temporeicher Bilderwirbel von Sion Sono.
Bild: An visuellen Bizarrerien herrscht kein Mangel: Szene aus „Tokyo Tribe�…
Die Ikonografie des HipHop-Videos strotzt vor Klischees. Seine visuellen
Register sind jederzeit abrufbar, die schamlose Zurschaustellung von
Statussymbolen dient immer wieder auch – zuletzt in Harmony Korines
Teenploitation-Camp „Spring Breakers“ – als brauchbare Metapher für die
konvergierenden Schwundzustände von Kapitalismus und Popkultur: Gewalt,
Sex, Drogen, Bling-Bling.
Sion Sono ist mit „Tokyo Tribe“ nicht angetreten, diese Klischees zu
entkräften, ganz im Gegenteil. Der japanische Vielfilmer steht für ein Kino
der grotesken Exzesse und hemmungslosen Überaffirmation. Und auch wenn man
seinen neuen Film nur schwerlich uneingeschränkt bewundern kann: Das
Energielevel, auf dem „Tokyo Tribe“ über nahezu zwei Stunden in einem
atemlosen Tempo einen irrwitzigen Bilderwirbel auslöst, ist selbst für
Sonos Verhältnisse außerordentlich.
Martial Arts trifft auf automatische Waffen, HipHop auf Mafia: Der
Wu-Tang-Clan wäre stolz auf diesen würdigen Abkömmling der asiatischen
B-Movie-Tradition, der sich hier auch als gelehriger Schüler der
Shaw-Brüder mit ihren bunten Kampfballetten erweist.
„Tokyo Tribe“ ein HipHop-Musical zu nennen, wäre also grob vereinfachend,
obwohl die meiste Zeit gerappt wird – die Vorstellung des Gangsterbosses
ist untermalt von einer weiblichen Human Beatbox. Sonos Manga-Adaption
funktioniert eher als Gangfilm (Walter Hills „The Warriors“ stand Pate), in
erster Linie geht es – wie auch im HipHop – um den Battle: den Kampf ums
Territorium. Die Topografie der Stadt markieren Sono und der Kameramann
Daisuke Sôma gleich in der elaborierten Eröffnungssequenz auf virtuose
Weise.
Eine minutenlange Plansequenz durch die belebten Straßen des Tokioter
Vergnügungsviertels Bukuro verschafft in perfekter Beiläufigkeit und im
entspannten Ostküsten-Flow des Erzählers/Rappers Show einen
wimmelbildartigen Überblick über das Geschehen (eine alte Frau steht an den
Plattenspielern und droppt einen Beat, der sich gewaschen hat), während in
einer bizarren Vignette Mera, Anführer der Bukuro Wu-Ronz, mit einem Messer
auf den nackten Brüsten einer jungen Polizistin das Tokioter Gangland
kartografiert.
Das Geräusch, das die Klinge auf der Haut erzeugt, ist schabend-metallisch,
womit Sono bereits deutlich macht, dass die sexuellen Perversionen selten
fleischlichen Gelüsten entspringen.
## Die Traditionslinie von Lil‘ Kim
„Tokyo Tribe“ ähnelt im Aufbau einem Konzeptalbum, wie sie Mitte der 1990er
Jahre gerade im US-amerikanischen HipHop beliebt waren. Jede Gang hat ihr
eigenes Narrativ und ihren eigenen Stil: Die Beats der Shibuya Sarus kommen
vom „Dirty South“, die Shinjuku Hands sind vom G-Funk der Westküste
beeinflusst, die Musashinos von den kommunitaristischen
Native-Tongue-Rappern, und die Gira Gira Girls vertreten die
Traditionslinie von Lil’ Kim bis Nicki Minaj.
Während sich die Gangs auf Nebenschauplätzen ihre Reviere gegenseitig
streitig machen, plant der Yakuza-Boss Buppa einen Coup. Mithilfe eines
HipHop-Hohepriesters will er die Gangs gegeneinander ausspielen und das
gesamte Tokio-Territorium übernehmen. Der Tochter des Priesters gelingt es
jedoch, die Rivalen zu befrieden und in einem großartig choreografierten
Showdown auf den gemeinsamen Feind einzuschwören.
Die Besetzung des Yakuza-Bosses mit dem Takashi-Miike-Veteranen Riki
Takeuchi darf man hier durchaus programmatisch verstehen. Während Miike
bereits in seiner klassischen Werkphase angekommen ist, macht Sono
weiterhin keine Anstalten, seinen Stil in eine konsistente Form zu
überführen. „Tokyo Tribe“ steckt voller Einfälle, die Miike, dem Regisse…
von „Ichi the Killer“, selbst in seiner Hochphase zu krude gewesen wären.
Die wahnsinnige Dichte an visuellen Bizarrerien verleiht „Tokyo Tribe“
dafür einen Drive, den sich wohl nur ein Regisseur bewahren kann, dessen
Vorstellung von Kino dem Begriff der „Meisterschaft“ diametral
entgegensteht.
21 Jul 2015
## AUTOREN
Andreas Busche
## TAGS
Kino
Film
Science-Fiction
Politthriller
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