# taz.de -- Naturschutzbewegung und NS-Zeit: „Die Unke weiß nichts“ | |
> Eine Studie fordert die Naturschutzbewegung zur Diskussion der NS-Zeit | |
> auf. Das tut sie, sagt Nabu-Verbandsstratege Ralf Schulte. | |
Bild: Brüten im Bunker: Viele Anlagen des früheren Westwalls sind heute Bioto… | |
Interview | |
Der Westwall war eine Hunderte Kilometer lange Abwehranlage der Nazis gegen | |
einen Einmarsch der Alliierten an der deutschen Westgrenze. Die Bunker und | |
Panzersperren stehen teilweise noch und bieten wertvolle Biotope. Namhafte | |
Naturschützer und Landschaftsplaner waren überzeugte Nazis, planten die | |
Anlagen mit und spielten auch in der Nachkriegszeit noch bedeutende Rollen. | |
Durch eine Studie des Umweltministeriums Rheinland-Pfalz und ein Interview | |
der dortigen Ministerin Ulrike Höfken (Grüne) in der taz vom 13./14. Juni | |
2015 wurde die Naturschutzbewegung aufgefordert, sich stärker mit dieser | |
Vergangenheit zu befassen. | |
taz: Herr Schulte, ist die Westwall-Studie der Anlass, sich mit den braunen | |
Wurzeln der Naturschützer zu befassen? | |
Ralf Schulte: Es ist ein Moment, den man nutzen kann. Der Naturschutzbund | |
hat sich jedoch schon zum hundertjährigen Jubiläum 1999 intensiv mit dem | |
Thema auseinandergesetzt. Denn der damalige Reichsbund für Vogelschutz hat | |
stark profitiert von der NS-Gleichschaltungsstrategie, alle | |
gesellschaftlichen Bewegungen zu vereinnahmen. Der Reichsbund war dann der | |
zentrale Verband für die Naturschützer. | |
Selbst Ihre Verbandsgründerin Lina Hänle hat den Anschluss mitgemacht. | |
Sie hatte eigentlich linksliberale Wurzeln. Aber auch von ihr gab es | |
Solidaritätsadressen an Hitler. Der stellvertretende Verbandsvorsitzende | |
war ein überzeugter Parteifunktionär. Da gibt es schon noch eine gewaltige | |
Erblast. Aber zum Westwall: Den schützen wir ja nicht, weil es eine | |
historische Anlage ist. | |
Sondern? | |
Weil dort Zonen in Ruhe gelassen wurden; jahrzehntelang weder gedüngt oder | |
gemäht. Dort siedeln sich schutzwürdige Pflanzen an. Und dann beginnt | |
Naturschutz. Der bedrohte Käfer oder das seltene Kraut haben doch keine | |
Ahnung von Geschichte. Die wollen sich reproduzieren und suchen nach den | |
geeigneten Biotopen. | |
Also ist Gras gewachsen über die alten Nazis? | |
Wir haben jedenfalls aktuell ein größeres Problem mit Rechtsextremen. Die | |
Neue Rechte versucht unser Thema Naturschutz zu ihrem Thema zu machen. Sie | |
will völkisches Gedankengut anschlussfähig machen. Hier müssen wir | |
aufpassen: Was passiert da eigentlich? Welche Inhalte bieten wir, die es | |
eventuell leicht machen für Blut-und-Boden-Ideologie oder Rassedenken. Wir | |
hatten schon Nabu-Faltblätter auf NPD-Ständen und aktive Rechtsextreme im | |
Verband, die sich damit auch noch rühmen. | |
Was tun Sie dagegen? | |
Wir passen auf. Im internen Nabu-Netz gibt es Beratungsangebote, Tipps und | |
die Adressen von Juristen. Wir hatten Veranstaltungen zum Umgang mit | |
Rechtsextremen. Aber inklusive des Bayerischen Landesbundes für Vogelschutz | |
haben wir deutschlandweit gut 2.000 Ortsgruppen und jährlich 20.000 neue | |
Mitglieder. Damit bieten wir natürlich eine große Angriffsfläche. | |
Können Sie unliebsame Mitglieder nicht rauswerfen? | |
In unserer Satzung steht die freiheitlich-demokratische Grundordnung als | |
Richtschnur. Aber das ist immer eine Gratwanderung zwischen dem Schaffen | |
von Aufmerksamkeit für das Thema einerseits und einer Überbewertung | |
andererseits. Solange zum Beispiel die NPD nicht verboten ist, können wir | |
rechtsstaatlich wenig tun, wenn diese Partei eine unserer Aktionen – wie | |
etwa Müll sammeln – unterstützt. Wir haben keinen Nabu-Nachrichtendienst | |
und können nicht jeden durchleuchten. Aber Mitgliedsaufnahmen etwa per | |
Internet werden vor Ort dann gecheckt und wir versuchen, unsere Gruppen zu | |
sensibilisieren. | |
Trotzdem werden sich die Neonazis über jeden erhaltenen Bunker des | |
Westwalls freuen. Da haben sie ein grün-braunes Ausflugsziel. | |
Da müssen wir sozusagen in Habachtstellung gehen. Aber wir schützen ja auch | |
die Externsteine im Teutoburger Wald nicht deshalb, weil sie eine | |
steinzeitliche Kultstätte waren oder Ort völkischer Umtriebe, sondern weil | |
sie naturschutzwürdig sind. Weil sich dort Tiere und Pflanzen angesiedelt | |
haben, die wir sonst in der Landschaft nicht mehr finden. Ähnlich ist es | |
mit Militärflächen und dem ehemaligen Grenzstreifen zwischen Ost und West. | |
Und wenn Sie einfach die Finger ließen von den militärischen Erbschaften? | |
Warum diese Dinge quasi wegmachen? Dann verliert man auch den Ort. Mit der | |
Ausweisung als Schutzgebiet nehmen Sie das Gebiet bewusst aus der Nutzung | |
heraus. Das betrifft übrigens auch verlassene Industrieflächen und | |
Bergbaubrachen. Da siedelt sich dann auch schon mal in der ehemaligen | |
Lkw-Waschanlage die Gelbbauchunke an. Weil da niemand mehr ist. Wir fordern | |
deshalb nicht, überall Anlagen zu schließen. Aber wenn die Natur sich nun | |
einmal etwas rückerobert hat? Die Erhaltung solcher Rahmenbedingungen geht | |
so weit, dass wir sogar in Kontakt treten mit Sammlern von | |
Militärfahrzeugen. Die können dann einmal im Jahr mit ihrem Panzer auf | |
bestimmten Truppenübungsplätzen die Furchen für die kleinen Wasserlöcher | |
nachziehen, die etwa solche Unken brauchen. Das ist dann Außenstehenden | |
teilweise kompliziert zu erklären. | |
Die Unke geht vor, klar. Aber wo steht der Nabu politisch? | |
Der Nabu hat 560.000 Mitglieder und Förderer, also befinden wir uns schon | |
von der Größe her in der Mitte der Gesellschaft. Traditionell gelten wir | |
politisch eher als links. Es gibt heute aber auch politische Richtungen, | |
die uns vorwerfen, wir würden uns nicht nur wie Ökozentriker verhalten, | |
sondern gar wie Ökofaschisten. | |
Weil Sie Schutzvorschriften gegen die Bedürfnisse von Mensch und Wirtschaft | |
durchsetzen wollen, quasi diktatorisch? | |
So stellen das manche dar. Das ist nicht einfach für uns. Wir bieten da | |
Steilvorlagen, weil wir aus der naturwissenschaftlichen Ecke kommen. Da | |
gibt es biologische Grundgesetze, die sind, wie sie sind. Und wenn Ihnen | |
schon die Unke so gefällt: Über den geeigneten Lebensraum der Gelbbauchunke | |
können Sie nicht verhandeln. Die kann sich fortpflanzen oder eben nicht. | |
Das ist keine Diktatur, das ist ein Naturgesetz. | |
Was ist Ihr geschichtliches Projekt für die nächste Zeit? | |
Es gab nicht nur die offenkundige Einvernahme durch die Rechten. Der | |
Naturschutz hatte auch Wurzeln in der Arbeiterschaft. Was damit im Dritten | |
Reich passierte, ist noch völlig unbeleuchtet. Ebenso, wie es den jüdischen | |
Mitgliedern im Verband erging. Hier schieben wir gerade mit der Universität | |
Nijmegen ein europaweites Projekt an. | |
28 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Reiner Metzger | |
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