| # taz.de -- Militante Neonazi-Szene: Das andere Dortmund | |
| > Vor einem Jahr stürmten Mitglieder der Partei „Die Rechte“ das Dortmunder | |
| > Rathaus. Seither nehmen die Provokationen kein Ende. | |
| Bild: Beamte tragen im August 2012 NPD-Plakate aus Dortmunds „Nationalem Zent… | |
| In der Straßenbahn von Dortmund-Dorstfeld Richtung Innenstadt sitzt Lukas | |
| Bals, stadtbekannter Neonazi, mit schwarzer Kappe, Adidas-Turnschuhen und | |
| Bauchtasche. Kurz hinter der Haltestelle „Ofenstraße“ wandert sein Blick | |
| beinahe sehnsüchtig hinauf zur Rheinischen Straße 135. Ein Altbau in | |
| leuchtendem Rot, das die braune Vergangenheit übertünchen soll. | |
| Einst galt die Immobilie „RS 135“ als „Nationales Zentrum“ der rechten | |
| Szene, als Versammlungsort und Materiallager. Das Verbot des Nationalen | |
| Widerstands Dortmund (NWDO) 2012 ermöglichte die Räumung des Gebäudes, | |
| heute befindet sich an Ort und Stelle ein städtisches Jugendcafé. | |
| Die Rechten etikettieren jetzt Dorstfeld als ihren „national befreiten“ | |
| Kiez. Bals und einige andere teilen sich Wohnungen an Thusnelda- und | |
| Emscherstraße, bunt besprüht, mit der Aufschrift „NS-Zone“. Vor ihrer | |
| Haustür gibt es polnische Spezialitäten zu kaufen, am nahegelegenen | |
| Wilhelmsplatz erinnert ein Mahnmal an die alte Synagoge, 1-Euro-Shops und | |
| Dönerläden schmiegen sich aneinander. | |
| Dortmund steht bundesweit für Kohle (weg), Stahl (fast weg), Klopp (auch | |
| fast weg) und die Borussia (bleibt). Der Strukturwandel nach dem Ende des | |
| Bergbaus ist nicht wirklich gelungen, die Arbeitslosigkeit hoch, und | |
| dennoch hat Dortmund in den letzten Jahren, auch Klopp sei Dank, ein neues, | |
| positives Image von sich entworfen. Wären da nicht die [1][Bilder vom 25. | |
| Mai 2014], dem Wahlabend, an dem Siegfried Borchardt, genannt „SS-Siggi“, | |
| für die Rechte ins Dortmunder Rathaus einzog. Eine Partei, gegenüber der | |
| die NPD wie ein friedlicher Altherrenklub wirkt. | |
| 23 weitgehend uniformierte Rechtsextreme marschierten damals auf das | |
| Rathaus zu. Eine Gruppe von rund 100 Demokraten stellte sich vor das | |
| Gebäude, die Situation eskalierte. Die Nazis schlugen zu, sprühten mit | |
| Pfefferspray. Lukas Bals schlägt einer jungen Frau vor den Kopf, Dietrich | |
| S. verpasst einer grünen Landtagsabgeordneten einen heftigen Faustschlag. | |
| Sie geht zu Boden. Rechte, die hinten stehen, feuern ihre Kameraden weiter | |
| vorne an. Die Welt blickte nach Dortmund, sogar New York Times und | |
| Washington Post berichteten. | |
| ## Oberwasser für Nazis | |
| Danach hatten die Rechten Oberwasser. SS-Siggi, dem Linke ein | |
| Alkoholproblem nachsagen, [2][legte zwar schon kurz darauf sein Mandat | |
| nieder]. Aber sein Nachfolger, Dennis Giemsch, stellte eine Anfrage an die | |
| Verwaltung, [3][wie viele Juden in Dortmund leben] – und wo. Mit | |
| „Stadtschutz“-T-Shirts patrouillierten Neonazis über Friedhöfe, am 21. | |
| Dezember verhöhnten sie auf einer Kundgebung das NS-Opfer Anne Frank mit | |
| Rufen wie „Anne Frank war essgestört!“ und „Wer sitzt im Schrank? Anne | |
| Frank!“ | |
| Um die Jahreswende tauchten über Twitter und Facebook plötzlich | |
| [4][Todesanzeigen mit Namen von Journalisten] auf, die über die Nazis | |
| berichtet hatten. Im Februar marschierten Rechtsextreme in SA-Manier mit | |
| brennenden Fackeln vor ein Asylbewerberheim. Und seit Mitte Mai jagen | |
| Dortmunder Nazis mit Fahndungsplakaten im Westernstil eine | |
| Flüchtlingsfamilie, der die evangelische Gemeinde Kirchenasyl gewährt hat. | |
| Dortmund galt einmal als „Herzkammer der Sozialdemokratie“. Bis heute fährt | |
| die SPD Ergebnisse um die 40 Prozent ein, die Grünen über 15. Die Rechte | |
| holte bei der Kommunalwahl nur 1 Prozent. Es gibt Beratungsstellen gegen | |
| Rechtsextremismus, runde Tische, Arbeitskreise und Antifa-Gruppen. | |
| Bei der Stadt sitzt ein Sonderbeauftragter für Vielfalt, Toleranz und | |
| Demokratie, der in jedem Interview folgenden Satz sagt: „Was können die | |
| Pinguine für das Abschmelzen der Polarkappen?“ Heißt: Was kann Dortmund | |
| dafür, dass sich hier eine hartnäckige Neonaziszene hält – immerhin schon | |
| über 30 Jahre? | |
| ## Problem seit den 80er Jahren | |
| SS-Siggi gründete seine Borussenfront in den 80er Jahren. Die jagte | |
| Ausländer im Viertel rund um den Borsigplatz – dort, wo der BVB seine | |
| Meisterschaften feiert. Borchardt wanderte wegen Körperverletzung ins | |
| Gefängnis, ging später zur rechtsextremen FAP, nach deren Verbot zu | |
| Kameradschaften. Die Behörden waren mal laxer, mal härter mit ihm und | |
| seinen Truppen. Borchardt, oft piratenähnlich in Schwarz gekleidet, blieb | |
| aktiv. | |
| Die Nachfolger sind smarter, sehen aus wie die netten Schwiegersöhne von | |
| nebenan. Viele haben sich rein optisch dem linksalternativen Lager | |
| angepasst, sind kaum 30 Jahre alt, gewieft, internetaffin. | |
| Informatikstudent Giemsch etwa, der inzwischen schon wieder Exratsvertreter | |
| ist und den Jurastudenten Michael Brück nachrücken ließ. | |
| Der Neue betreibt den bundesweit bekannten Internetversandhandel | |
| „antisem.it“. Zu seiner ersten Ratssitzung Anfang Mai kommt er in | |
| Turnschuhen und Kapuzenpulli, hat stapelweise Papier und einen Teil seiner | |
| Kameraden mitgebracht. Sie machen es sich auf der Zuschauertribüne bequem, | |
| lachen wie pubertierende Jugendliche, als die Schuldezernentin während | |
| ihrer Vereidigung gebeten wird, den rechten Arm zu heben. | |
| Die meisten Anträge lehnt Brück ab, spricht sich aber für ein geplantes | |
| Kochbuchmuseum aus, weil dort „ein kleiner Schritt gegen Genderwahn und | |
| Emanzipation“ gemacht werden könne. Der 25-Jährige redet schnell und wie | |
| auswendig gelernt, man hört ihm die fehlende Erfahrung an. | |
| ## Am Rande der Legailität | |
| Giemsch ist erprobter. Bei der 1.-Mai-Demo in Essen führt er das Wort, | |
| hetzt gegen illegale Einwanderer. Als seine Gefolgschaft beginnt, | |
| „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ zu skandieren, setzt Giemsch | |
| per Megafon schnell ein „kriminelle“ an den Anfang. Sicher ist sicher. | |
| Neonazis wie Brück und Giemsch agieren am Rande der Legalität und testen, | |
| wie weit sie gehen können. „Brück und Giemsch sind gut vernetzt, es gibt | |
| Kontakte nach Bulgarien, Griechenland, Italien, Belgien und Holland“, sagt | |
| der Fotograf Marcus Arndt, der die rechte Szene seit Langem beobachtet. | |
| Ungefähr ab 2003 traten junge Rechtsextreme wie Giemsch erstmals in | |
| Erscheinung, wurden zu führenden Köpfen des „Nationalen Widerstands“ | |
| Dortmund (NWDO). Nach dem Verbot der Kameradschaft 2012 gründete Giemsch | |
| den Dortmunder Kreisverband der Rechten. Mitglieder von verbotenen | |
| Kameradschaften wurde reihenweise in die Partei aufgenommen und | |
| rechtsstaatlich geschützt. Ein militanter Kern von etwa 40 Freunden steht | |
| heute unter dem verfassungsrechtlich garantierten Parteienprivileg. | |
| Der 25. Mai 2014 war dann so etwas wie das Comeback des NWDO. „Die Partei | |
| Die Rechte ist aktionsorientierter geworden, aggressiver“, bestätigt | |
| Polizeipräsident Gregor Lange. Vor ihm auf dem Tisch in seinem Büro liegt | |
| ein Stapel Papier, er knickt die Ecken des vorderen Blatts um, streicht sie | |
| wieder glatt, wiederholt das. Auch die Polizei, insbesondere der | |
| Staatsschutz, gerieten nach dem Wahlabend in die Kritik. Denn die in | |
| Dorstfeld und am Rathaus stationierten Beamten schätzten die Situation | |
| vollkommen falsch ein und verließen frühzeitig das Geschehen. „Dieser Abend | |
| war für alle eine Katastrophe“, sagt Lange. | |
| Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sind unterdessen abgeschlossen. 17 | |
| Strafbefehle wurden gegen die Rathausverteidiger beantragt, darunter 13 | |
| wegen Nötigung, weil nach Ansicht der Justiz den Mitgliedern einer | |
| zugelassenen Partei der Zutritt zu einem öffentlichen Gebäude verwehrt | |
| wurde. Journalisten und Politiker sprechen dagegen von einem gezielten | |
| Angriff der Rechten – und tendenziösen Ermittlungen. | |
| Die Staatsanwaltschaft isoliere das Verhalten einzelner Beteiligter | |
| voneinander und verliere so das generelle Bedrohungsszenario jenes Abends | |
| aus den Augen. Vielleicht, so ihr ironischer Kommentar, hätten die Pinguine | |
| doch etwas mit dem Schmelzen der Polarkappen zu tun. | |
| Ende April steht Lukas Bals in Aplerbeck, einem Vorort im Dortmunder | |
| Südosten, und wettert gegen die örtliche Asylbewerberunterkunft. Jeden | |
| Montag ruft die Rechte mittlerweile zu Mahnwachen gegen Flüchtlingsheime | |
| auf, jeden Montag stellen sich ihnen Dutzende entgegen. Bals filmt und | |
| fotografiert diese Veranstaltungen, die Kamera ist sein Druckmittel. | |
| Breitbeinig baut er sich vor den Gegendemonstranten auf, wippt den Kopf wie | |
| ein Wackeldackel im Takt der Nazimusik und hält drauf. Als ein junger | |
| Nazigegner das zur Anzeige bringen will, lässt der Polizist verlauten, Bals | |
| kenne man, der mache nur größere Panoramaaufnahmen. Einem anderen schreit | |
| Bals da allerdings gerade „Gib mir deine Adresse, dann bekommst du dein | |
| Foto“ entgegen, bevor er sich auf den Weg zurück in die „NS-Zone“ macht. | |
| 28 May 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Rechte-Gewalt-bei-Dortmunder-Wahlparty/!5041399/ | |
| [2] /!5038372/ | |
| [3] http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&am… | |
| [4] /!5021366/ | |
| ## AUTOREN | |
| Hanna Voß | |
| ## TAGS | |
| Dortmund | |
| Nazis | |
| SS-Siggi | |
| Rechtsextremismus | |
| Schwerpunkt Neonazis | |
| Schwerpunkt Neonazis | |
| Rechtsextremismus | |
| Dortmund | |
| Fußball-Bundesliga | |
| Rechtsextremismus | |
| Rechtsextremismus | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Kirchenasyl | |
| Postlow | |
| Andreas Temme | |
| Tröglitz | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Neonazi-Größe Borchardt gestorben: „SS-Siggi“ ist tot | |
| Die rechtsextreme Ikone Siegfried Borchardt ist laut seiner Partei | |
| verstorben. Bis zuletzt hetzte er, die Beerdigung könnte ein Szeneevent | |
| werden. | |
| Kommentar Fascho-Rapper bei KissFM: Mit Nazis kuscheln | |
| Der Radiosender KissFM lädt einen rechtsradikalen Rapper in seine Sendung – | |
| und lässt ihn nahezu ungestört auf die Jugend los. | |
| Rechte Demonstration in Dortmund: Das Naziproblem bleibt | |
| Abgeschottet und mit Verspätung fand am Samstag eine Kundgebung von | |
| „Gemeinsam stark Deutschland!“ statt. Es kamen weniger als erwartet. | |
| Nach Angriff von Rechtsextremen: Razzien in NRW und Niedersachsen | |
| Rechtsextreme haben in der Silvesternacht Dortmunder Polizisten | |
| angegriffen. Jetzt haben Beamte deshalb mehrere Wohnungen durchsucht. | |
| Bedrohter Journalist über Rechte: „Ich bin kein Einzelfall“ | |
| Der Dortmunder Journalist Peter Bandermann wird von Rechtsextremen bedroht. | |
| Er sagt, man könne nicht so tun, als gäbe es kein Naziproblem in der Stadt. | |
| Kolumne Press-Schlag: Die Lilien und das Unkraut | |
| Nur wer das Getöse vor dem Anpfiff der neuen Bundesligasaison ernst | |
| genommen hat, kann sich jetzt über den ersten Spieltag wundern. | |
| Länderranking zur rechten Gewalt: Brandenburg ganz vorn | |
| In Brandenburg ist die Gefahr am größten, Opfer eines Neonazi-Übergriffs zu | |
| werden. Das geht aus den Zahlen des Bundesinnenministeriums hervor. | |
| Verfassungsschutzbericht für 2014: Das Amt mit dem 360-Grad-Blick | |
| Die Zahl rechtsextremer Gewalttaten in Deutschland ist im vergangenen Jahr | |
| stark gestiegen. Gegenstrategien fehlen, doch die Behörde ist mit sich | |
| zufrieden. | |
| Bedrohung von Asylbewerbern in Freital: Gejohle und Flaschenwürfe | |
| Wieder demonstrieren Gegner und Befürworter einer Flüchtlingsunterkunft im | |
| sächsischen Freital. Am Ende fliegen Flaschen, ein Mann wird verletzt. | |
| Kirchenasyl und Demokratie: Schutz unter dem Kreuz | |
| Nur wenige Hundert Flüchtlinge finden Aufnahme in deutschen Kirchen. Zu | |
| viele, meint Innenminister Thomas de Maizière. | |
| Rechtsextreme bei der Feuerwehr: Neonazi darf kein Wehrführer sein | |
| Die Gemeinde Postlow wollte einen bekannten Neonazi zum Feuerwehrchef | |
| machen. Darf sie aber nicht, sagt die zuständige Verwaltungsbehörde. | |
| Ökonazis im Wendland: Jung, naturverbunden, rechts | |
| Viele Neonazis verwirklichen ihre Aussteigerfantasien im Wendland und | |
| engagieren sich für Naturschutz. Einige Nachbarn stört das, aber längst | |
| nicht alle. | |
| NSU-Ausschuss in Hessen: Verfassungsschutz mit Bauchgefühl | |
| Als der NSU in Kassel Halit Yozgat erschießt, ist ein Verfassungsschützer | |
| am Tatort. Wusste das Amt vorab von der Tat? | |
| Rechte Gesinnung in Deutschland: Tröglitz ist kein Einzelfall | |
| Anschläge mit rechtsradikalem Hintergrund gibt es bundesweit. In | |
| Sachsen-Anhalt sind ausländerfeindliche Einstellungen aber besonders | |
| verbreitet. |