| # taz.de -- Buch über Shoah-Überlebende in Polen: Erzählen jenseits der Schm… | |
| > Zwölf Zeugnisse, die bis 1947 von Überlebenden der Shoah in Polen | |
| > entstanden sind, liegen nun in Buchform vor. Ein bedeutendes Werk. | |
| Bild: Warschauer Ghetto 1943: Augenzeugen berichten von exzessiver Gewalt und u… | |
| Viele Überlebende des Nationalsozialismus haben ihre Erfahrungen | |
| aufgeschrieben, oft Jahrzehnte später. Sie suchten dabei meist nach einer | |
| Sprache, mit der sie das Unsagbare halbwegs adäquat ausdrücken konnten. | |
| Einige, wie der israelische Historiker Otto Dov Kulka, fanden dabei eine | |
| Form des Schreibens, die den Lesern eine Ahnung von der Hölle der KZs und | |
| Ghettos vermittelt. Dennoch werden diese Erlebnisse für Außenstehende immer | |
| nahezu unvorstellbar und emotional unbegreiflich bleiben. | |
| Mehrheitlich aber verdrängten jene, die sich vor der Ermordung durch die | |
| Nazis retten konnten, das Erlebte weitgehend, sie schwiegen, um sich und | |
| ihre Angehörigen vor der unerträglichen Erinnerung zu schützen. Vor allem | |
| schwiegen freilich auch die Täter, so dass viele Fakten über die damaligen | |
| Ereignisse bis heute verschleiert geblieben sind. | |
| Umso bedeutender sind die Berichte von Zeitzeugen aus Polen, die Frank | |
| Beer, Wolfgang Benz und Barbara Diestel der Öffentlichkeit jetzt erstmals | |
| auf Deutsch zugänglich gemacht haben. Es sind Aussagen von Überlebenden der | |
| Ghettos und Lager, die jüdische Historiker noch während des Krieges oder | |
| kurz danach zusammengetragen hatten. Diese Historiker hatten sich 1944 in | |
| Lublin zur „Zentralen Jüdischen Historischen Kommission“ zusammengetan, um | |
| die Shoah zu dokumentieren. Sie führten über 7.000 Interviews – „aufgrund | |
| ihrer frühen Entstehungszeit besonders authentische Quellen zur Geschichte | |
| der Shoah“, sagt der Historiker Wolfgang Benz. | |
| 1947 veröffentlichte das aus der Kommission hervorgegangene Jüdische | |
| Historische Institut das gesammelte Material auf Polnisch und Jiddisch in | |
| 39 Büchern und Broschüren. Die Verbrechen der Nazis und ihrer Helfer | |
| sollten geahndet werden und nie in Vergessenheit geraten. | |
| ## „Die Indolenz der deutschen Nachkriegsgesellschaft“ | |
| Das aktivste Kommissionsmitglied war offenbar der Schatzmeister Jósef Wulf. | |
| Im Jahr 1952 zog er nach Berlin, um sich dort für eine internationale | |
| Dokumentationsstätte zum Holocaust im Haus der Wannsee-Konferenz | |
| einzusetzen. Er stieß jedoch auf „die Indolenz der deutschen | |
| Nachkriegsgesellschaft und die Arroganz der Historiker“, so Benz, und | |
| beging 1974 Suizid. | |
| Nur zwei Texte aus der Sammlung waren je auf Deutsch erschienen, die | |
| restlichen verstaubten unbeachtet in polnischen, holländischen, | |
| amerikanischen oder israelischen Antiquariaten. Vor einigen Jahren | |
| entdeckte der Chemiker Frank Beer einen Teil davon. Rasch überzeugte er | |
| Benz, seinerzeit noch Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, und | |
| die ehemalige Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, Barbara Diestel, einige | |
| Texte auf Deutsch zu veröffentlichen. | |
| Die nun vorgelegten zwölf Selbstzeugnisse – sie sind eine sorgfältige | |
| Auswahl der historiografisch bedeutsamen Dokumente unter den gefundenen | |
| Veröffentlichungen – sind nüchtern erzählt und in ihrer Direktheit sehr | |
| eindringlich. Darunter befinden sich die frühesten Aufzeichnungen über das | |
| Vernichtungslager Treblinka überhaupt, verfasst vom damals 25-jährigen | |
| Abraham Krzepicki, dessen Manuskript unter den Trümmern des Warschauer | |
| Ghettos begraben war. | |
| Im Bericht über ihre Inspektionsreise nach Treblinka 1946 macht Rachel | |
| Auerbach sich bereits Gedanken über die Psychologie der Täter, und Ber | |
| Ryczywól, der Analphabet war, gibt zu Protokoll, wie er durch endlose | |
| Wanderungen übers Land „die Deutschen überlebte“. Seine Chronistin Bluma | |
| Wasser aus der Kommission betonte im Vorwort, sich um eine haargenaue | |
| Wiedergabe seiner Worte bemüht zu haben, um die Authentizität seines | |
| Narrativs nicht zu beeinflussen. | |
| ## Grausamer Alltag | |
| Die zwölf Augenzeugen erzählen sehr detailliert – über die Schmerzgrenze | |
| hinaus – vom grausamen Alltag in den Ghettos, Lagern und | |
| Zwangsarbeiterfabriken, sie berichten vom jüdischen Widerstand, dem | |
| Aufstand im Warschauer Ghetto und nicht zuletzt auch von vielen polnischen | |
| Helfern und Rettern. | |
| Obwohl die Berichtenden ständig von exzessiver Gewalt, unfassbarer | |
| Demütigung und dem Tod bedroht waren, sind ihre Aussagen erstaunlich klar – | |
| und meistens sehr präzise. Wo nötig, haben die Herausgeber die Texte in | |
| Fußnoten kommentiert oder ergänzt, sie stellen zudem jeden Zeugen vor und | |
| beschreiben den Kontext seines Protokolls. | |
| Bedauerlich ist, dass es bei der Fülle an Namen von Opfern, Tätern und | |
| Orten keinen Index gibt. Es ist den Herausgebern und den Verlagen Metropol | |
| und Dachauer Hefte indes uneingeschränkt zu danken, dass sie die | |
| beeindruckende Arbeit auf sich genommen und diese ersten Zeugnisse der | |
| Shoah in Polen veröffentlicht haben | |
| 18 Oct 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Alexandra Senfft | |
| ## TAGS | |
| Shoa | |
| Polen | |
| Warschauer Ghetto | |
| Warschauer Ghetto | |
| NSDAP | |
| Antisemitismus | |
| Holocaust | |
| Polen | |
| USA | |
| Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
| Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
| Holocaust-Gedenktag | |
| Holocaust | |
| Tour de France | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Warschauer Ghetto-Kämpfer gestorben: „Ich sah die Deutschen flüchten!“ | |
| Simcha „Kazik“ Rotem führte als Kurier die wenigen Überlebenden aus dem | |
| brennenden Warschauer Ghetto. Er wurde 94 Jahre alt. | |
| Roman von Susanne Fritz: Von der Privilegierten zur Feindin | |
| Die Schriftstellerin Susanne Fritz gräbt tief im Ungesagten. Ihr Roman „Wie | |
| kommt der Krieg ins Kind“ erzählt die Geschichte ihrer Mutter. | |
| Das Gutachten des Botschafters: Nicht zu viel polnisch-jüdischen Dialog | |
| Der Botschafter der Republik Polen hat eine Stellungnahme zu den | |
| Zielvorgaben des Polnischen Instituts abgegeben. Hier in deutscher | |
| Übersetzung. | |
| Göttinger Uni schmeißt Antisemitismus-Forscher raus: Beliebt und ausgebootet | |
| Uni Göttingen will Vertrag mit renommiertem Experten für Antisemitismus | |
| kündigen. Internationale Verbände kritisieren die Entscheidung. | |
| Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter: Ein inakzeptables Abkommen | |
| Paris und Washington haben sich auf eine Entschädigungsregelung für | |
| NS-Zwangsarbeiter geeinigt. Die aber diskriminiert viele Opfer. | |
| NS-Besatzungsherrschaft in Polen: Wie viele Retter, wie viele Zuschauer? | |
| In Polen wird über Denkmäler gestritten, die Helfer verfolgter Juden ehren | |
| sollen. Das dominiert auch eine Historikerkonferenz. | |
| Rente in den USA: Kein Ruhekissen für Nazis | |
| Der Kongress will keine Altersbezüge mehr an im Ausland lebende | |
| NS-Kriegsverbrecher bezahlen. Die Gelder waren als Anreiz zur freiwilligen | |
| Ausreise vereinbart worden. | |
| Dreister Klau im KZ Dachau: Wo das Tor war, ist ein Loch | |
| In Dachau ist das „Arbeit macht frei“-Tor gestohlen worden. Jetzt denkt man | |
| in den NS-Gedenkstätten über Videoüberwachung nach. | |
| „Euthanasie“ in bayerischer Klinik: Vor dem Vergessen bewahrt | |
| Eine Klinik muss sich ihrer Rolle beim Massenmord an Kranken und | |
| Behinderten unter dem NS-Regime stellen. Nun gibt es ein Denkmal für die | |
| 1.366 Opfer. | |
| Israelischer Holocaustgedenktag: Dissidenten im Geiste | |
| Israel gedenkt der Opfer des Holocaust mit zwei Schweigeminuten. Das Land | |
| steht still. Einigen Linken aber ist nicht wohl dabei. | |
| Claude Lanzmann über „Shoah“: „Ich hatte ja keine andere Wahl“ | |
| Claude Lanzmanns „Shoah“ war ein Meilenstein im Gedenken an den Holocaust. | |
| Die Berlinale ehrt ihn nun mit einem Goldenen Bären. | |
| Italiens Radsportlegende Gino Bartali: „Ein Schlamm übersäter Engel“ | |
| Gino Bartali gewann 1938 und 1948 die Tour. In den Jahren dazwischen | |
| rettete er mehreren Juden das Leben. Ihn dafür offiziell zu ehren, ist | |
| schwieriger als gedacht. | |
| Judenverfolgung in Vichys Frankreich: 100 Meter zur Familiengeschichte | |
| 1942 wurden die Großeltern von Agathe Berman deportiert. Heute lebt sie im | |
| selben Pariser Viertel. Ein Zufall, der sie mit ihrer Geschichte | |
| konfrontiert. | |
| Buch über Film über Konzentrationslager: Die Erinnerungsdeponie | |
| Ein Buch von Sylvie Lindeperg befasst sich mit dem Dokumentarfilm "Nacht | |
| und Nebel" (1956). Damals setzte die Forschung zu den Konzentrationslagern | |
| gerade ein. |