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# taz.de -- Lücken der Gedenkkultur: Die vergessenen Toten
> Die Wanderausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ basiert auf
> Interviews mit afrikanischen Veteranen.
Bild: Kolonialsoldaten der britischen Armee beim Training.
BREMEN taz | Vor 75 Jahren begann der zweite Weltkrieg – und an diesem
Jahrestag hängt bereits das erste Problem. Denn laut der Ausstellung „Die
Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“, die ab Montag in der unteren
Rathaushalle zu sehen ist, begann der Krieg bereits 1935 mit dem Angriff
Italiens auf Äthiopien. Die Ausstellung kritisiert so einen eurozentrischen
Blick, der sich um die Kriegsopfer in der Dritten Welt nicht schert und
auch um die Regionen nur wenig, in denen sie ums Leben kamen.
Randnotizen sind das wahrlich nicht: In China beispielsweise kamen mehr
Menschen ums Leben als in Deutschland, Italien und Japan zusammen. Außerdem
wurden weltweit kriegsnotwendige Rohstoffe und Lebensmittel für die
Versorgung der Truppen geplündert, oft auch die Bevölkerung selbst – als
Lastenschlepper, Zwangsprostituierte oder Spurensucher. Auf der offiziellen
Eröffnung am Dienstag werden auch BremerInnen afrikanischer Herkunft von
ihren Geschichtsbildern über den Zweiten Weltkriegs berichten.
## Opfer, Täter und Befreier
Dass die öffentliche Debatte und auch Fach-HistorikerInnen einen
Schwerpunkt auf deutschen Verhältnisse legen, sei grundsätzlich richtig,
sagt Olaf Bernau, der das Bremer Gastspiel der Wanderausstellung
organisiert. „Aber trotzdem blendet man damit etwas aus. Für die Befreiung
Europas vom Faschismus haben auch Soldaten aus der Dritten Welt ihr Leben
gelassen, ohne dass ihnen jemand dafür gedankt hätte.“
Im Rathaus informieren Schautafeln, Filme und Hörstationen über Inder, die
in Frankreich gegen die Wehrmacht kämpften, Brasilianer auf Einsätzen in
Italien oder diverse Guerillatruppen, die in Asien gegen ehemalige
Kolonialherren und neue Besatzer kämpften.
Aber nicht nur von Opfern, auch von Kollaborationen mit dem Faschismus ist
die Rede: Eine Tafel behandelt Mohammed Amin al-Husseini, den Großmufti von
Jerusalem, der als Hitlers Gast in Berlin war, sich am Holocaust beteiligte
und Zehntausende muslimische Freiwillige für die SS rekrutierte.
Auch andere antikoloniale Bewegungen sympathisierten mit den Faschisten und
Hunderttausende meldeten sich freiwillig zum Kriegsdienst. Wegen dieser
Darstellung war die Ausstellung bereits vor ihrer Fertigstellung
umstritten: Anti-RassistInnen hatten kritisiert, es werde zwischen „guten
und bösen Wilden“ unterschieden. Das reproduziere rassistische Stereotype
anstatt sie abzubauen.
Ganz nachvollziehen kann Bernau das nicht. Schließlich hätten die
AusstellungsmacherInnen durchweg die Perspektive der Betroffenen
eingenommen – schon weil die westliche Fachwissenschaft sich nie wirklich
mit diesem Themenkomplex auseinandergesetzt habe.
Afrikanische Veteranenverbände waren die ersten, die sich überhaupt dazu
geäußert haben. Über zehn Jahre hat das „Rheinische JournalistInnenbüro�…
über 20 Staaten recherchiert und mit ZeitzeugInnen gesprochen. So entstand
das Buch „Unsere Opfer zählen nicht“, auf dem die Ausstellung basiert.
Diskutiert haben die Bremer OrganisatorInnen um die Vereine „Arbeit und
Leben“ und „Bremer Entwicklunspolitisches Netzwerk“ das Problem trotzdem.
Eine eigene Tafel problematisiert nun etwa den Begriff „Dritte Welt“, den
der Antifaschist Frantz Fanon als Empowerment und als eigene Position
jenseits realsozialistischer und kapitalistischer Blockkonfrontation
verstand. Heute werde er aber tatsächlich leicht als Hierarchisierung
gelesen, so Bernau.
## Vom Krieg zum Völkermord
##
Neben dem Veranstaltungsprogramm werden auch Führungen für Schulen
angeboten. Und um SchülerInnen ging es von Anfang an: Der Themenkomplex
spielt in Lehrplänen und Schulbüchern keine Rolle, weil der
Nationalsozialismus nicht an konkreten Kriegshandlungen, sondern vor dem
Hintergrund der scheiternden Weimarer Demokratie verhandelt wird.
Doch nicht nur der Demokratie-Kollaps hatte Auswirkungen weit über das Jahr
1945 hinaus: Im Rahmen der Ausstellung wird es beispielsweise eine
Veranstaltung zum Völkermord in Ruanda des Jahres 1994 geben, der – so
heißt es in der Ankündigung – undenkbar wäre ohne die Zwangsrekrutierung
von Soldaten in Afrika, die verschärfte Ressourcenausbeutung oder die
Zurichtung der Landwirtschaft auf Exportbedürfnisse der kriegsführenden
Industrieländer.
1 Sep 2014
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
## TAGS
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Kolonialismus
Bremen
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Ruanda
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Polen
DDR
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