# taz.de -- Kolonialismus-Aufarbeitung in Bremen: „Greueltaten der Neger“ | |
> Der Historiker Horst Rössler hat das Staatsarchiv nach Spuren von | |
> direkten Verstrickungen hanseatischer Kaufleute in den Sklavenhandel | |
> durchsucht. | |
Bild: Früher Reichskolonialehrendenkmal, heute Antikolonialdenkmal: Elefant in… | |
BREMEN taz |In der bremischen Geschichtsschreibung spielt der Sklavenhandel | |
praktisch keine Rolle. Und das, obwohl einige bremische Kaufleute im 18. | |
Jahrhundert mit dem „Kolonialwarenhandel“ reich wurden – Kaffee und Zucker | |
waren Produkte der Sklavenwirtschaft. Am 20. Februar 1837 erließ der Bremer | |
Senat ein „Strafgesetz wider den Sklavenhandel“, nach der jede direkte oder | |
auch nur indirekte Beteiligung an Sklavenhandel „als Verbrechen“ betrachtet | |
und streng bestraft werden sollte. In der Nachbemerkung der Verordnung | |
formulierte der Senat die Hoffnung, dass „Bremens Angehörige sich wie | |
bisher so auch künftig“ jeglicher Beteiligung an solch „entehrenden | |
Verbrechen enthalten“ werde. | |
Warum war die Verordnung dann nötig, könnte man sich fragen. 1841 kam es | |
vor dem Bremer Kriminalgericht zu einem Verfahren – angeklagt waren der | |
Bremer Kapitän Ratje Siedenburg und der Bremer Reeder Friedrich Leo | |
Quentell. Nach zwölf Monate langen Verhandlungen wurden sie freigesprochen. | |
Sie hatten einen renommierten Fürsprecher: Anwalt und Senator Johann Carl | |
Friedrich Gildemeister begründete die Unschuld der Angeklagten. | |
In Hamburg gab es ein ähnliches Verfahren in derselben Zeit mit demselben | |
Ergebnis. Das wirft die Frage auf, ob das bremische Strafgesetz nicht vor | |
allem den Sinn hatte, der britischen Seemacht, die den Sklavenhandel | |
unterbinden wollte, Loyalität zu signalisieren – mit dem schönen | |
Nebeneffekt, dass bremische Beschuldigte in Bremen selbst vor Gericht | |
kommen. Denn das Schiff des Reeders Quentell war von englischen | |
Kriegsschiffen vor Afrika aufgebracht worden. | |
Der Bremer Historiker Horst Rössler hat für das Bremische Jahrbuch die | |
Akten des Staatsarchivs durchforstet und nach Hinweisen auf bremische | |
Beteiligungen am Sklavenhandel gesucht. Nach seiner Darstellung war der | |
Verdacht gegen den Kaufmann Quentell ganz und gar nicht unbegründet. | |
Weil Großbritannien den Sklavenhandel unterbinden wollte und gleichzeitig | |
mit seiner Flotte im 18. Jahrhundert die Weltmeere beherrschte, gab es aber | |
genügend Gründe, über das Thema nicht offen zu sprechen. Rössler hat | |
dennoch verschiedene Hinweise darauf zusammengetragen, dass auch die | |
bremische Kaufmannschaft genau wusste, was gespielt wird, nicht nur wenn | |
sie mit den Produkten der Sklavenplantagen als Kolonialwaren handelte. | |
In Bremen sind diverse renommierte Kaufmannsfamilien, die mit dem | |
Sklavenhandel direkt oder indirekt zu tun hatten, in Straßennamen verewigt, | |
so die Familien Fritze, Gildemeister und Wilkens, Büsing, Duckwitz oder | |
Overbeck. Der nur zugereiste Kaufmann Quentell erhielt keine Straße, aber | |
sein Porträt hängt in der Bremer Kunsthalle. | |
In Liverpool, einem Zentrum des Sklavenhandels, war die Bewegung der | |
„Anti-Abolitionisten“, also der Bewegung gegen die Abschaffung der | |
Sklaverei, besonders stark. Einer ihrer Köpfe war der Bremer Kaufmann | |
Hinrich Wilkens. Er hatte 1778 die britische Staatsbürgerschaft erworben | |
und war Mitglied der Handelskammer. | |
1793 veröffentlichte er eine anonyme Streitschrift mit den verbreiteten | |
Argumenten für die Sklavenwirtschaft – insbesondere mit dem Argument, dass | |
die „Neger“ in Westindien ein glücklicheres Leben hätten als in Afrika | |
selbst. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist pikant – hatte doch zwei | |
Jahre vorher in der französischen Kolonie Saint Domingue ein | |
Sklavenaufstand begonnen. Die Sklaven dort hatten die Parolen der | |
Französischen Revolution ernst genommen, die die Sklaverei verurteilte. Am | |
Ende des Aufstandes stand 1804 die Gründung des unabhängigen Staates Haiti. | |
Der Bruder des Liverpooler Autors, Jacob Friedrich Wilkens, war Kaufmann in | |
Saint Domingue – er verließ 1797 die unsichere Insel. Er sei „von sanftem | |
Charakter, musste viel leiden, da die Unruhen auch dorten ausbrachen und er | |
Augenzeuge der Greueltaten war, die die Neger gegen die Weißen ausübten“, | |
notierte Familienmitglied Martin Wilkens in Bremen. Er ging nach Jamaika | |
und legte dort eine Kaffeeplantage an – mit 60 Sklaven. | |
Der Bremer Kaufmann Dietrich Hermann Wätjen hatte es in Havanna bis zum | |
Konsul gebracht. Auch andere Bremer Familien waren als Kaufleute in | |
Westindien engagiert, etwa Richard Fritze. Auf der Todesanzeige seiner Frau | |
Dorotea Duckwitz de Fritze ist die gesamte lokale Sklavenökonomie verewigt: | |
Geschäftsleute und Plantagenbesitzer, die die Kolonialwaren billig | |
herstellten und daher für die Bremer Handelspartner waren, zu denen man | |
auch familiäre Bande knüpfte. Fricke war zeitweilig selbst Besitzer einer | |
Zuckerplantage und damit direkt verantwortlich für die Sklavenwirtschaft. | |
Und das Schiff „Julius & Eduard“, das vor dem westafrikanischen Cabinda, | |
heute Angola, als potenzielles Sklavenhandelsschiff von den Briten | |
aufgebracht worden war? Der Segler des Reeders Quentell sollte Eisenwaren, | |
Schießpulver und Glasperlen ins Zentrum des afrikanischen Sklavenhandels | |
Cabinda bringen. Die Ladung sollte gegen „Elfenbein“ getauscht werden. Die | |
„Julius & Eduard“ sollte zudem mit „Ballast“ nach Buenos Aires segeln. | |
„Elfenbein“ und „Ballast“ waren geläufige Tarnwörter für Sklaven. Di… | |
wurden gewöhnlich kurz vor den Zielhäfen an Land gebracht, um eine | |
peinliche Kontrolle im Hafen zu vermeiden. Als Indiz für die | |
Zulieferfunktion im Sklavenhandel hatte das britische Militär auch die | |
Wasservorräte auf dem Schiff angeführt, die den Bedarf der Mannschaft weit | |
überstiegen. | |
Den Auftrag für die Fahrt nach Cabinda hatte der Kaufmann Charles Tyng | |
gegeben, der den britischen Behörden als Sklavenverschiffer bekannt war. | |
Tyng hatte übrigens auch den Hamburger Segler „Echo“ an die | |
westafrikanische Küste geschickt, ähnlich beladen wie die Bremer „Julius & | |
Eduard“. Empfänger der Waren sollte der bekannte Sklavenhändler Theodore | |
Canot sein. Der Verdacht des Sklavenhandels gegen die „Echo“ wurde von | |
einem Gericht in Sierra Leone als bestätigt angesehen, während der | |
Hamburger Segler „Louise“, unter ähnlichen Anschuldigungen von der | |
britischen Marine gestoppt, von einem Hamburger Gericht 1842 freigesprochen | |
wurde. | |
3 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Klaus Wolschner | |
## TAGS | |
Kolonialismus | |
Geschichtsaufarbeitung | |
Sklavenhandel | |
NS-Verfolgte | |
Kolonialismus | |
Handelskammer Hamburg | |
Sklaverei | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Geschredderte NS-Dokumente: Staatsarchiv räumt Fehler ein | |
Das Staatsarchiv Hamburg hat Informationen über NS-Opfer für immer | |
vernichtet. Im Nachhinein würde man „den Fall anders bewerten“, heißt es | |
nun. | |
Bremens koloniales Erbe: Blinder Fleck der Wirtschaft | |
Bei einer Diskussion in der Kunsthalle wollen die Teilnehmer lieber nicht | |
über die koloniale Verantwortung der hiesigen Wirtschaft sprechen. | |
Machtkampf in der Handelskammer: Kaufleute lassen Köpfe rollen | |
Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Schmidt-Trenz verliert den Machtkampf | |
mit dem neuen Präses. Mit seinem Rücktritt kommt er seinem Rauswurf zuvor | |
Sklaven-Musik in der Elbphilharmonie: Kolonialismus in die Musik gefräst | |
Jordi Savalls Konzert „Die Routen der Sklaverei“ in der Elbphilharmonie | |
zeigt die Osmose von Täter- und Opfermusik. Und negiert die Idee „purer“ | |
Nationalmusik |