| # taz.de -- Sklaven-Musik in der Elbphilharmonie: Kolonialismus in die Musik ge… | |
| > Jordi Savalls Konzert „Die Routen der Sklaverei“ in der Elbphilharmonie | |
| > zeigt die Osmose von Täter- und Opfermusik. Und negiert die Idee „purer“ | |
| > Nationalmusik | |
| Bild: Da war die Aufklärung längst durch: afrikanische Sklaven im 19. Jahrhun… | |
| Da spricht die Deutsch-Senegalesin Denise M’Baye von der Auspeitschung der | |
| Sklaven – und Sekunden danach diese schöne Musik? Diese lebhaften | |
| Griot-Lieder aus Mali, gesungen von bunt gewandeten Afrikanerinnen in der | |
| Elbphilharmonie? Dieser Schnitt kann, er darf nicht sein, wir haben erstmal | |
| genug mit unserem schlechten Gewissen zu tun, weil wir die | |
| jahrhundertelange Ausbeutung von 25 Millionen Afrikanern verdrängt hatten. | |
| Und jetzt lächeln die Nachfahren dieser Versklavten so freundlich und | |
| versöhnt von der Bühne, als sei da nichts gewesen. | |
| Was beim Eröffnungsabend des Transatlantik-Festivals in Hamburgs | |
| Elbphilharmonie zunächst zynisch klingt, ist Kalkül. Genau diesen Effekt | |
| wollte der katalanische Gambist und Musikforscher Jordi Savall, der den | |
| Abend „Die Routen der Sklaverei“ nannte und das nicht als | |
| harmlos-affirmative Spurensuche versteht, sondern als stolzes „Afrikas | |
| Musik lebt“. | |
| Und sie integriert sich: ging ein in karibische, lateinamerikanische und | |
| europäische Musik. Diese Osmose auseinander zu dividieren, das Wechselspiel | |
| sichtbar zu machen: Das ist Ziel dieses Abends der De- und Rekonstruktion, | |
| Linien ziehend zwischen europäischer Renaissance, zentral- und | |
| nordafrikanisch-arabischer, auch lateinamerikanischer Musik sowie der | |
| Karibik, wohin viele Sklaven deportiert wurden. | |
| Symbolisch lässt Savall mit seinem katalanischen Ensemble Hespèrion XXI | |
| samt Gastmusikern aus Afrika und Lateinamerika – darunter eine Fado- und | |
| eine Flamencosängerin – den transatlantischen Dreieckshandel des 15. bis | |
| 19. Jahrhunderts aufleben, der auf dem Sklavenhandel von Portugiesen, | |
| Spaniern, Niederländern, Dänen, Franzosen und Briten basierte, die Tabak-, | |
| Kaffee-, Kakao und Teeplantagen betrieben. | |
| In Nordamerika hatte man zwar zunächst Indios ausgebeutet, sie dann aber | |
| für zu schwach befunden. Also verfiel man auf die körperlich angeblich | |
| kräftigeren Afrikaner, die auf beengten Schiffen transportiert wurden – | |
| eine Logistik, die Vorbild für die Juden-Deportationen der Nazi-Zeit wurde. | |
| Afrikas Sklaven arbeiteten unter harten Bedingungen, die Strafen waren | |
| drakonisch, reichten vom Verbrennen bis zum Abhacken halber Füße und zur | |
| Todesstrafe. Letzteres vor allem für Fluchtversuche; eine Chance, zu | |
| entkommen, bestand nicht. | |
| Also flohen die Menschen in die Musik. Die brachten sie mit nach | |
| Nordamerika, nach Barbados, Jamaika und in andere Kolonien in der Karibik, | |
| wo sie sich mit der einheimischen Musik mischte und außerdem mit der der | |
| portugiesischen und spanischen Kolonisatoren. | |
| Wenn man, wie an diesem Elbphilharmonie-Abend, karibische Klänge und Fado | |
| hintereinander hört, bemerkt man plötzlich ihre harmonischen und | |
| atmosphärischen Parallelen. Dasselbe passiert, wenn afrikanische Rhythmen | |
| und Flamenco aufeinander folgen. Beides ist kaum merklich und genial | |
| vermischt, in keiner Weise „pur“. Dabei hatte Fado doch als | |
| urportugiesisch, Flamenco als urspanisch gegolten. | |
| Aber diese nationalistisch abgrenzenden Zuschreibungen taugen nach diesem | |
| Abend nichts mehr. Die Kolonialgeschichte hat die „Nationalmusik“ geprägt, | |
| ist in sie eingefräst. Sie hat wenigstens musikalisch Täter und Opfer | |
| versöhnt, zudem die Musik der Opfer nicht mit ihnen getötet. | |
| Wenn andererseits die brasilianische Sopranistin Maria Juliana Linhares | |
| inmitten eines Renaissance-Stücks kurz solistisch heraustritt, von der | |
| europäischen in die lateinamerikanische, gepresste Gesangtechnik wechselt: | |
| dann spürt man, dass auch „unsere“ Renaissance-Musik Resultat einer | |
| Symbiose ist. | |
| Damit man über diesen Aha-Erlebnissen den Rahmen nicht vergisst, hat Jordi | |
| Savall die Schauspielerin M’Baye Texte zur Genese der Sklaverei zwischen | |
| die Stücke sprechen lassen. Sehr bewusst setzt Savall den Schnitt nicht bei | |
| der schon in der Antike üblichen Versklavung weißer Menschen, sondern 1444: | |
| dem Beginn der Versklavung von Afrikanern mit der Eroberung von Guinea | |
| durch die Portugiesen. | |
| „Die meisten Gefangenen waren von den Portugiesen in einem afrikanischen | |
| Dorf aufgegriffen worden“, schreibt ein zeitgenössischer Chronist und | |
| erwähnt die „mit der Teilung der Gefangen Beauftragten“, die gezielt | |
| Familien zerrissen und zur Arbeit zwangen. Letzteres so intensiv, dass | |
| riesige Exportüberschüsse produziert wurden, was laut Jordi Savall „den | |
| Reichtum Europas im 18. und 19. Jahrhundert begründete“. | |
| Die Blüte des Handels mit afrikanischen Sklaven fiel in die Zeit der | |
| Aufklärung – die die Menschenrechte aus unerfindlichen Gründen nicht auf | |
| Sklaven anwendete. Sie galten vielmehr als Menschen zweiter Klasse, als | |
| Ware ohne jedes Recht. | |
| Drakonisch liest sich der von M’Baye rezitierte Strafenkatalog des Barbados | |
| Slave Code von 1661 für Sklaven, die „das Volk einer höchst perversen | |
| Zeugung“ seien. Nur verhalten klingt bei anderen Zeitgenossen das schlechte | |
| Gewissen an. „Ich gebe zu, dass die Strafen grausam sind“, schreibt | |
| Jean-Baptiste Labat 1722. Doch das sei nötig, um zu vermeiden „selbst Opfer | |
| der Wut eines Volkes zu werden, das bei einem Verhältnis von zehn zu eins | |
| stets zur Revolte bereit ist“. | |
| Der Philosoph und Aufklärer Montesquieu argumentiert gar ökonomisch: | |
| „Zucker wäre zu teuer, wenn die Produzenten die Pflanzungen nicht von | |
| Sklaven bearbeiten ließen.“ Nur der Prediger António Vieira wendet | |
| schüchtern ein: „Sind diese Völker nicht auch Kinder Adams und Evas?“ | |
| Immer unbegreiflicher wird angesichts dieser Texte die Fröhlichkeit der | |
| konzentriert und professionell dargebotenen Musik. Bis man versteht, dass | |
| hier etwas nachgeholt, dass ein Akt der Emanzipation nochmals | |
| heraufbeschworen wird: derjenige, mit dem man durch eigenes Liedgut den | |
| Aufsehern ein Schnippchen schlug und heimlich von den heimischen Helden und | |
| Göttern sang. | |
| Christliche Lieder der Komponisten Mateo Flecha und Frai Filipe da Madre de | |
| Deus klingen dann wieder nach europäischer Renaissance, aber das täuscht: | |
| Sie entstanden in Brasilien, auf dessen Plantagen man afrikanische Sklaven | |
| oft zur Teilnahme an christlichen Gottesdiensten zwang. | |
| In der Elbphilharmonie singen alle alles zusammen. Da tanzt die | |
| Flamenco-Tänzerin mit dem traditionell gewandeten Afrikaner, mischt sich | |
| der nordafrikanische Oud mit Europas Posaune. Friedlich klingt das, | |
| versöhnlicher als das reale Ende der Sklaverei, initiiert von der 1781 | |
| gegründeten British Society for Effecting the Abolition of Slavery; | |
| erfolgreich erst 1807 im Slave Trade Act. | |
| Plausibel, aber nicht moralisch motiviert war, dass die Briten sodann die | |
| anderen Nationen aufforderten, gleichzuziehen: Hätten die kostenlos weiter | |
| produziert, wären den Briten Wettbewerbsnachteile entstanden. Jedoch – es | |
| dauerte eine Weile. 1853 erst willigten Portugal und Spanien ein, nachdem | |
| die Briten mehrere Millionen gezahlt hatten. | |
| In der Elbphilharmonie erklingt die Geschichte der Sklavin Belinda, die | |
| 1782 als 70-Jährige vorm Kongress von Massachusetts eine Pension forderte | |
| und bekam. Danach ertönt, glorreich, Frankreichs Dekret zur Abschaffung der | |
| Sklaverei von 1848. | |
| Gesühnt ist damit nichts. Von Entschuldigungen, gar Entschädigungen hört | |
| man wenig. Dabei hatte schon Martin Luther King 1963 in seine Rede „Warum | |
| wir nicht warten können“ erklärt, dass zwar kein Goldhaufen ausreichen | |
| werde, um Ausbeutung und Erniedrigung zu kompensieren. Sinnvoll sei aber | |
| ein „umfassendes Regierungsprogramm, das Maßnahmen der Entschädigung | |
| festlegt“. | |
| Jordi Savall geht noch weiter und betrachtet den heutigen Rassismus als | |
| Spätfolge der Sklaverei, nennt die Prostitution eine moderne Form der | |
| Sklaverei. Dabei hat der nigerianische Autor Wole Soyinka schon 1998 an den | |
| Generalsekretär der UNO geschrieben: „Kein Ort in der Welt kann es sich | |
| mehr bequem machen mit dem Vergessen eines Verbrechens, des kleinsten | |
| Schattens. Wir fordern, dass die Nicht-Genannten der Geschichte | |
| heraufbeschworen werden.“ | |
| Jordi Savall hat an diesem Abend seinen Teil getan. Jetzt ist die | |
| Restgesellschaft dran. | |
| 18 Apr 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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