# taz.de -- Syrisch-deutscher Musiktransfer: Aalglatt läuft es nicht immer | |
> Wenn syrische und deutsche Musiker zusammen spielen, kollidieren | |
> verschiedene Tonsprachen und Mentalitäten. Aber das ist ja das Spannende | |
> an dem Musiktransfer. | |
Bild: Im Exil: Musiker des Syrian Expat Philharmonic Orchestra | |
HAMBURG taz | Das Tragische ist, dass diese Instrumente eben nicht mit | |
wanderten. Dass die Menschen sie in der brennenden, zerbombten Heimat | |
zurücklassen mussten, weil das Cello, der Kontrabass nicht in den | |
Flucht-Rucksack passten. Das war nicht nur im syrischen Bürgerkrieg so, und | |
die Musiker reagierten immer gleich: Sobald sie in der Fremde einigermaßen | |
Fuß gefasst hatten, gründeten sie ein Orchester, ob in Palästina oder dem | |
niedersächsischen Hitzacker. | |
Was sollen Musiker sonst tun, um neu Wurzeln zu schlagen? Vielleicht ist | |
das überhaupt das wichtigste Movens: Identität zu stiften und eventuell zu | |
erneuern, und sei das durch die Besinnung auf vernachlässigte Traditionen. | |
So ist es bei Kinan Azmeh und Dima Orsho gewesen, einem Klarinettisten und | |
einer komponierenden Sängerin: Sie leben seit langem in den USA, fanden | |
aber vor einigen Jahren zur syrischen Musik. Nur wer sich derart mit dem | |
Exil arrangiert hat, kann wohl einen ost-westlichen Musikdialog erfinden, | |
wie es Azmeh und Orsho beim Festival [1][„Salam Syria“] im März 2017 in | |
Hamburgs [2][Elbphilharmonie] taten. | |
Da entspann sich ein Dialog auf Augenhöhe, eine syrisch-europäische | |
Musik-Osmose, die ein vielleicht ja auch politisch wirksames Signal | |
friedlicher Koexistenz sandte. Aber es waren nicht nur einzelne | |
Überflieger, die dem Krieg hier Musik entgegensetzten. Das erwähnte | |
Festival, auch „Syrien trifft Hamburg“ untertitelt, erlebte auch die | |
Verschmelzung ganzer Orchester. | |
## Per Facebook geflüchtete Musiker gesucht | |
Oder nehmen wir Raed Jazbeh, Kontrabassist aus Aleppo, 2013 zum Konzert des | |
Arab Your Philharmonic Orchestra nach Berlin gereist. Da tobte zuhause | |
längst der Bürgerkrieg, Jazbeh ging nach Bremen – und blieb dort. | |
Inzwischen ist er anerkannter Flüchtling mit subsidiärem Schutzstatus. Und | |
da er nicht musiklos auf das Ende des Krieges warten wollte, suchte Jazbeh | |
per Facebook nach früheren Kommilitonen von der Musikhochschule in | |
Damaskus. | |
Anderthalb Jahre hat es gedauert, bis er 75 Gleichgesinnte versammelt | |
hatte: die meisten ebenfalls Geflüchtete, die in Deutschland, Schweden, den | |
Niederlanden und Frankreich leben. Einige waren als Musiker arbeitslos | |
gemeldet so wie Jazbeh, andere hatten inzwischen umgeschult. | |
Aber musizieren wollten sie alle, nicht als „Flüchtlingskapelle“, sondern | |
als studierte Profis. Weswegen Jazbeh sein 2015 gegründetes Orchester | |
unmissverständlich „Syrien Expat Philharmonic Orchestra“ nannte, kurz: | |
[3][Sepo]. Seit einer kleinen, durch Jazbehs schmale Deutschkenntnisse | |
verursachten Krise, in deren Verlauf dann einige Dirigenten das Orchester | |
als Karriereleiter nutzen wollten, ist der deutsche Bariton Falko Hönisch | |
als Mitorganisator dabei, um die Kommunikation zu regeln. | |
## Sepo-Musiker wollen kein Mitleid | |
Expatriates, kurz Expats, so bezeichnen sich manchmal auch Ausgebürgerte, | |
aber zumeist Fachleute, die aufgrund ihrer jeweiligen Kompetenz dauerhaft | |
im Ausland arbeiten. In puncto Musik stimmt das: Die Sepo-Musiker sind in | |
westlicher Klassik ausgebildet, kennen Bach, Beethoven, Mozart und passen | |
insofern gut in den hiesigen Betrieb. „Die syrischen Musiker wollen kein | |
Mitleid“, sagt auch Michael Dreyer, der das „Salam Syria“-Festival | |
kuratierte sowie, seit 2005 schon, das Osnabrücker [4][„Morgenland | |
Festival“] künstlerisch verantwortet. „Die Zuhörer sollen nach dem Konzert | |
nicht denken ,Die armen Syrer', sondern ,Das war toll‘.“ | |
Da alle von Dreyer akquirierten Musiker exquisite Qualität liefern, | |
funktioniert das auch. Diese Musiker haben freiwillig europäische Klassik | |
studiert. Da sie in Syrien nur den Bachelor-Abschluss machen konnten, | |
mussten sie für ihren Master zwangsläufig ins Ausland gehen – was viele | |
schon lange vor dem Bürgerkrieg taten. | |
Wenn also Syrer und Deutsche zusammen Musik des Hamburger Juden Felix | |
Mendelssohn- Bartholdy spielen, steht das auch für ein globales | |
Zusammenrücken, ohne dass man ständig aufrechnet, wer sich mehr anpasst. | |
„Wir wollen ein Gegenbild zur Zerstörung unserer syrischen Heimat zeigen“, | |
sagt Orchestergründer Jazbeh. „Einen kulturellen Gegenentwurf zu den | |
Elends-Bildern.“ | |
## Wider die Stereotype | |
Recht hat er: Die Bilder von Krieg und anonymen Flüchtlingsgruppen sind im | |
Westen längst Stereotype. Da kommt so ein spendenfinanziertes | |
Projektorchester wie das Sepo, das inzwischen auch international tourt, | |
vielleicht gerade recht. Und mag auch manche Einladung ein Feigenblatt | |
sein, bedeutet jedes Konzert auch eine Würdigung der Musiker, die oft noch | |
in engen Unterkünften leben. | |
Dass der beanspruchte interkulturelle Dialog nicht immer ganz glatt läuft, | |
zeigt sich beim 60-köpfigen syrisch-deutschen Projektchor, eigens gegründet | |
für das Festival „Salam Syria“,. Denn der arabische Gesang kennt keine | |
Mehrstimmigkeit, der europäische wiederum keine Vierteltöne. „Es war | |
komisch, die Melodie in Sopran, Alt, Tenor, Bass zu unterteilen,“ sagt Hana | |
Alkourbah aus Homs. „Außerdem singen bei uns immer alle drauflos. Bei den | |
Hamburger Proben mussten wir uns nach den Noten richten, das klingt für uns | |
manchmal komisch.“ | |
## Hörgewohnheiten ändern sich nur langsam | |
Wobei die Syrer sich meist schneller umstellten als die Deutschen, sagt | |
Festival-Kurator Michael Dreyer. Denn ein Viertelton ist für Europäer | |
schwer zu erkennen und klingt erstmal nur „schief“. Dabei gab es diese | |
feineren Tonabstände in der Alten Musik bis zum Barock auch in Europa. Was | |
heißt, dass ein arabisch-deutscher Chor auch den Europäern die Chance | |
bietet, sich auf eine gemeinsame Tradition zu besinnen. Aber | |
Hörgewohnheiten ändern sich langsam, das geht nicht von jetzt auf gleich. | |
Umso anrührender klangen die arabischen Lieder des Projektchors damals in | |
der Elbphilharmonie: Bei den Liedern über eine einst intakte Heimat weinten | |
da längst nicht nur die syrischen Zuhörer. Es war eine echte Hommage an die | |
Zugereisten, die diesmal echte Gäste waren, von denen man etwas lernen | |
konnte. Und die ihrerseits Lust hatten, hier zu lernen: Während des | |
einjährigen Gasthörer-Projekts der [5][Hamburger Hochschule für Musik und | |
Theater] zum Beispiel. Das hatte Musikprofessor Frank Böhme 2016 ins Leben | |
gerufen. | |
Maßgabe der finanzierenden Hamburger Wissenschaftsbehörde war, möglichst | |
viele Geflüchtete als Studenten zu gewinnen. Das gelang allerdings nicht, | |
gerade mal zwei der 20 TeilnehmerInnen wurden ans – etwas | |
niedrigschwelligere – Konservatorium vermittelt. | |
## Kein Lehrberuf wie jeder andere | |
Das lag aus Sicht von Initiator Böhme auch daran, „dass der syrische | |
Bachelor nicht der deutsche ist“. Und sei damit weitergegangen, dass viele | |
syrische Musiker ein anderes Verständnis vom „Studieren“ hatten: „In Syr… | |
ist Studieren dasselbe wie Lernen“, sagt Böhme. Musiker sei für viele ein | |
Lehrberuf wie viele andere, den man auch als 20-Jähriger noch beginnen | |
könne. | |
Dass das hier anders sei, habe man schwer vermitteln können – so wie | |
überhaupt den Prüfungs- und Wettbewerbsgedanken: „Viele verstanden nicht, | |
warum sie eine Aufnahmeprüfung machen sollen“, erzählt Böhme. „Warum wir | |
ihnen rieten, in Hochschul-Konzerte zu gehen, um ihre Leistung | |
einzuschätzen. Sie dachten: Ich will ein Instrument lernen, wozu soll ich | |
mich mit anderen vergleichen?“ | |
Ein angenehm unkompliziertes Denken, so unkompliziert wie der Wunsch | |
einiger Oud-Virtuosen, die arabische Laute hier weiter studieren zu können. | |
„Dabei gibt es in ganz Deutschland nur einen Oud-Professor“, sagt Böhme – | |
„in Leipzig“. In Hamburg dagegen habe man „nicht mal ein Instrument“. U… | |
ein geflüchteter Ingenieur wollte endlich die arabische Saz-Laute lernen – | |
jetzt, wo der Vater fern war und ihm den Beruf nicht mehr vorschreiben | |
konnte. | |
## Projekt trotz Missverständnissen erfolgreich | |
Viele Missverständnisse hat es da gegeben, aber gescheitert will Böhme das | |
Projekt nicht nennen. „Unsere Jazzer zum Beispiel waren von den | |
improvisierenden syrischen Kollegen restlos begeistert, in dieser Sparte | |
hat der Transfer hervorragend funktioniert“, sagt er. Außerdem habe man den | |
Geflüchteten den hiesigen Kulturbetrieb gezeigt, sei in Theater, Konzerte, | |
Museen gegangen. Und schließlich – und sei am wichtigsten – habe das | |
gemeinsame Musizieren Freundschaften gestiftet und die Menschen | |
stabilisiert. | |
Das ist wahr: Zwei Jahre lang residierte die Musikhochschule gerade in der | |
Hamburger [6][City Nord,] einem architektonisch in die Jahre gekommenen | |
Bürostadtteil – unmittelbar neben einer Flüchtlings-Unterkunft. Beim | |
Abschlusskonzert war das Programm denn auch verändert, fremde Musiker | |
wurden dazu geladen; die Stimmung: grandios, inklusive Spontan-Session bis | |
in die Nacht. | |
Einmal allerdings hakte es auch dabei: Ein junger syrischer Klarinettist, | |
der die arabischen Stücke erlesen spielte, verhaspelte sich bei Mozart. „Er | |
hatte eine Blockade im Kopf“, sagt ein Betreuer. „Dachte, er könne diese | |
fremde europäische Musik nicht spielen.“ Ein ganz privater Clash of | |
Cultures, der fast schon wieder tröstlich ist. Die eigenen musikalischen | |
Wurzeln lässt man eben nicht so schnell los. | |
7 Jan 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.elbphilharmonie.de/de/festivals/salam-syria/181 | |
[2] https://www.elbphilharmonie.de/de/ | |
[3] http://www.sepo-philharmonic.com/ | |
[4] http://www.morgenland-festival.com/start | |
[5] https://www.hfmt-hamburg.de/ | |
[6] http://city-nord.eu/ | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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