| # taz.de -- Kulturbrücke: Nicht nur Flüchtlinge | |
| > Syrische Musiker gründen ein Auslandsorchester. Es will die Vielfalt und | |
| > Schönheit der arabischen Kultur zeigen. | |
| Bild: Aus dem ganzen Land zusammengetrommelt: die MusikerInnen des Syrian Expat… | |
| Bremen taz | Da ist dieser Augenblick in der kurzfristig anberaumten | |
| Pressekonferenz des Syrian Expat Philharmonic Orchestra am Samstag in der | |
| Musikschule Walle. Eigentlich hätten sie alle Wichtigeres zu tun: proben | |
| nämlich. Denn erst heute sind die Musiker zusammengekommen, um ein | |
| Konzertprogramm zu erarbeiten, das schon am Dienstag aufgeführt wird, im | |
| längst ausverkauften Sendesaal. Aber die Presse will vieles wissen, unter | |
| anderem, wie alt Raed Jazbeh ist, der dieses Projekt ins Leben gerufen hat. | |
| Aber da, lächelt er, hätten sie keine Chance. | |
| Flüchtlingsschicksale – ob es die gebe? Ja, eine Harfenistin, die erst vor | |
| drei Wochen in Deutschland angekommen ist und vor einem Jahr von Damaskus | |
| über die Türkei und das Mittelmeer nach Griechenland reiste, erzählt | |
| Jazbeh. Er, der so sanft und humorvoll alle Fragen über sich ergehen lässt, | |
| wird dann aber auf einmal sehr bestimmt. Es handele sich bei dem Orchester | |
| eben nicht um ein Flüchtlingsorchester, auch wenn einige Flüchtlinge dabei | |
| sind. Ein großes deutsches Nachrichtenportal hatte getitelt: „Flüchtlinge: | |
| Syrische Musiker gründen Exil-Orchester“. Weil das mehr Klicks bedeutet? | |
| Oder weil beim Thema Syrien heute jeder reflexartig sofort an Flüchtlinge | |
| denkt? Allerdings heißt die Formation eben Syrian Expat Philharmonic | |
| Orchestra – und ein Expat ist nun einmal nicht gleich ein Refugee, sondern | |
| jeder und jede, der oder die in einem anderen Land fern der Heimat lebt. | |
| Einige Mitglieder des Orchesters sind schon vor dem Krieg nach Europa | |
| gekommen, um hier zu studieren oder zu arbeiten. Andere sind in den letzten | |
| Jahren ganz regulär mit einem Visum eingereist, wie Jazbeh selbst. Vor zwei | |
| Jahren wurde er für ein Konzert in Berlin eingeladen, zog später nach | |
| Bremen, das er bei einem Konzert 2011 in der Glocke kennen und lieben | |
| lernte. „I am lucky“, sagt er und wünscht sich, dass Syrer grundsätzlich | |
| regulär mit Visum einreisen können. | |
| Aber nun tun sie erst einmal und endlich das, was sie gelernt haben: Musik | |
| machen. Die meisten von ihnen kennen sich schon lange, aus der | |
| Musikhochschule in Damaskus, wo sie studiert haben. Über die viel | |
| gescholtenen sozialen Netzwerke haben sie im Exil Kontakt gehalten. | |
| Auf diesem Weg hat Jazbeh sie aus ganz Deutschland und darüber hinaus | |
| zusammengetrommelt für dieses Orchester, das nach dem Auftritt in Bremen | |
| noch einen weiteren am 3. Oktober in Hitzacker hat. Was dann kommt, weiß | |
| niemand. Jazbeh hofft, dass über die Medienaufmerksamkeit Sponsoren | |
| gewonnen werden können, die das Expat Orchestra so weit unterstützen, dass | |
| eine kontinuierliche Arbeit möglich ist. | |
| Dank der schnellen Hilfe des Bremer Rats für Integration kam immerhin das | |
| Geld für die Unterbringung und Verpflegung zusammen. Die Bremer Musikschule | |
| stellt Proberäume und Instrumente, der Verein der Freunde des Sendesaals | |
| überließ dem Orchester seinen Saal, Gastfamilien bringen die Musikerinnen | |
| und Musiker, die nicht in Bremen leben, unter. Nur Gagen gibt es nicht, sie | |
| arbeiten ehrenamtlich. Aber immerhin können sie arbeiten. | |
| Entsprechend gut ist die Stimmung bei der ersten Probe dieses Orchesters, | |
| das allerdings am Samstag noch nicht vollständig ist. Einige der rund 50 | |
| Orchestermitglieder sind noch auf dem Weg nach Bremen, als Martin Lentz | |
| nach der Pressekonferenz den Taktstock in die Hand nimmt. Und weil nicht | |
| alle Positionen besetzt werden konnten, sind Kollegen aus anderen Bremer | |
| Orchestern eingesprungen. Der Mendelssohn-Bartholdy hakelt noch ein wenig. | |
| Seine Ouvertüre zum Singspiel „Heimkehr aus der Fremde“ ist eines der | |
| Stücke der europäischen Tradition, die am Dienstagabend neben Werken | |
| zeitgenössischer syrischer und algerischer Komponisten auf dem Programm | |
| stehen. | |
| Diese dürften den westlichen Kollegen fremder sein als die europäische | |
| Klassik den syrischen Musikern und Musikerinnen. Denn zu deren Ausbildung | |
| gehört auch die westliche Musik. Andersherum hat sich das noch nicht so | |
| eingebürgert. Die Vielfalt, aber auch die Schönheit der syrischen Kultur zu | |
| zeigen, ist Jazbeh ein zentrales Anliegen – ein Gegenbild zu Tod und Blut | |
| und Krieg. „Die Menschen hier wissen ja nicht viel über unsere Kultur“, | |
| sagt er. | |
| Lentz, der schon in Ramallah mit palästinensischen Musikern arbeitete und | |
| Jazbeh seit zwei Jahren kennt, erläutert: „Die arabische Musik funktioniert | |
| vor allem über die Melodie mit ganz eigenen Skalen und den Rhythmus.“ Die | |
| harmonische Sprache sei dagegen weniger ausgeprägt. Jazbeh deutet zudem | |
| eine weniger ausgeprägte Abgrenzung klassischer Musik zu Jazz und | |
| traditionellen und populären Spielweisen an. Die Kompositionen, die er | |
| ausgewählt hat, decken ein breites Spektrum ab. | |
| In so kurzer Zeit ein so gemischtes Orchester zusammenzuschweißen, das | |
| bedeutet auch deshalb eine Menge Arbeit. „Das ist wie bei einer | |
| Fußballmannschaft“, sagt Lentz. Die Musiker müssten sich erst aufeinander | |
| einspielen. | |
| Aber der Dirigent ist optimistisch. Dass es bei einer derart kurzen | |
| Probezeit und einem so jungen Klangkörper noch nicht um die | |
| interpretatorischen Tiefen gehen kann, ist ihm aber klar. „Ich sehe mich | |
| vor allem als Organisator der musikalischen Strömungen“, sagt er. Und er | |
| hoffe, dabei auch selbst etwas zu lernen. | |
| 21 Sep 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Schnell | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Syrien | |
| Exil | |
| Orchester | |
| Elbphilharmonie | |
| Elbphilharmonie | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| Osnabrück | |
| Schwerpunkt Krise in Griechenland | |
| Flüchtlinge | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Syrisch-deutscher Musiktransfer: Aalglatt läuft es nicht immer | |
| Wenn syrische und deutsche Musiker zusammen spielen, kollidieren | |
| verschiedene Tonsprachen und Mentalitäten. Aber das ist ja das Spannende an | |
| dem Musiktransfer. | |
| Michael Dreyer über syrische Musik: „Wir wollen kein Mitleid“ | |
| Das Elbphilharmonie-Festival „Salam Syria“ versucht, das europäische und | |
| das arabische Tonsystem sowie die beiden verschiedenen Musizierhaltungen zu | |
| verbinden | |
| Afghanisches Frauenorchester auf Tour: Beethoven in Kabul | |
| Die jungen Afghaninnen Negin Khoplwak und Zarifa Adiba haben das erste | |
| Mädchenorchester ihres Landes gegründet – nun spielt es in Deutschland. | |
| Musik aus Nahost: „Das Interesse ist enorm“ | |
| Das Osnabrücker Morgenland-Festival will hochkarätige Musiker aus dem | |
| persischen und arabischen Raum vorstellen. Dieses Jahr ist es Geflüchteten | |
| gewidmet | |
| Konservativer Abweichler in Athen: Politischer Opportunist ersten Ranges | |
| Ein Abgeordneter der rechtspopulistischen „Unabhängigen Griechen“ ist der | |
| erste Tsipras-Abweichler. Er ist Provinzpolitiker und Witzbold. | |
| Asylrechtsverschärfung in Österreich: Asyl auf Zeit als Wahlkampfrezept | |
| Man will ja menschlich sein. Aber die FPÖ könnte von der Flüchtlingspolitik | |
| profitieren. Die Regierung in Wien glaubt, dieses Dilemma lösen zu können. |