# taz.de -- Afghanisches Frauenorchester auf Tour: Beethoven in Kabul | |
> Die jungen Afghaninnen Negin Khoplwak und Zarifa Adiba haben das erste | |
> Mädchenorchester ihres Landes gegründet – nun spielt es in Deutschland. | |
Bild: Musikerinnen von „Zohra“ bei der Vorbereitung | |
Stolz lächelt Negin Khoplwak ins Publikum. Sie dreht sich um und gibt mit | |
dem Taktstock den Einsatz. Die 19-Jährige hat am Rande des | |
Weltwirtschaftsforums in Davos einen großen Auftritt, per Webcast kann man | |
das Konzert verfolgen. Khoplwak ist die erste afghanische Dirigentin | |
überhaupt. | |
Zusammen mit der 18-jährigen Zarifa Adiba leitet sie das erste Orchester | |
Afghanistans, das ausschließlich aus Mädchen und jungen Frauen besteht – | |
Zohra heißt es. Die Musikerinnen bei Zohra sind zwischen 13 und 20 Jahren | |
und besuchen das afghanische nationale Institut für Musik, kurz Anim – eine | |
Schule in Kabul, die neben Fächern wie Mathe, Englisch und Chemie vor allem | |
Musik lehrt. | |
Anhänger der Taliban sind der Ansicht, Mädchen und Frauen gehören ins Haus | |
und nicht auf die Bühne. Fast täglich drohen sie ihnen mit dem Tod, doch | |
die jungen Afghaninnen lassen sich nicht einschüchtern. „Frauen können | |
alles tun. Auch afghanische Frauen“, sagt Khoplwak während des Interviews | |
beim Weltwirtschaftsforum. | |
Die 35 jungen Musikerinnen spielten dort vergangenen Freitag. Der Auftritt | |
des Frauenorchesters ist Teil einer Tour durch Europa – am Sonntag sollen | |
die Musikerinnen von Zohra dann in der Berliner Gedächtniskirche auftreten. | |
Negin Khoplwak und Zarifa Adiba wirken unglaublich stark und ehrlich in | |
dem, was sie sagen. „Afghanistan ist nicht so, wie Sie denken“, erklärt | |
Adiba während des Gesprächs in Davos. „Afghanistan ist wunderschön.“ Die | |
Medien würden meist nur über die Taliban und Gewalt gegen Frauen berichten, | |
kritisiert sie. „Ich bin sehr glücklich darüber, der Welt eine positive | |
Seite von Afghanistan zeigen zu können.“ | |
## Göttin der Musik | |
Neben den zwei jungen Frauen in langen Kleidern und locker gebundenen | |
Kopftüchern sitzt ihr Schuldirektor Ahmad Sarmast in der Runde, ein Mann | |
mit Schnauzbart und Brille. „Die Extremisten nennen unser Institut das | |
Zentrum der Korruption“, sagt Sarmast. Nur knapp überlebte er ein Attentat. | |
Selbstschutz sei für ihn aber kein Grund aufzugeben. „Jemand muss das | |
Risiko eingehen, damit sich etwas ändert.“ Für die rund 200 Studierenden, | |
von denen etwa ein Viertel Mädchen sind, ist das Anim ein Ort des Friedens: | |
Khoplwak und Adiba sind beste Freundinnen, obwohl sie aus den als | |
verfeindet geltenden ethnischen Gruppen der Paschtunen und Hazara stammen. | |
Mädchen und Jungen lernen im Anim gemeinsam und sind gleichberechtigt. Vor | |
drei Jahren betrat eine junge Trompeterin das Büro des Schuldirektors und | |
bittete um etwas, das es noch nie zuvor gegeben hat. Sie wollte mit ihren | |
Freundinnen ein Mädchenensemble gründen. Sarmast war begeistert. Dies war | |
der Anfang von Zohra, benannt ist die Gruppe nach der persischen Göttin der | |
Musik, Kunst und Liebe. | |
Was es für die Musikerinnen von Zohra bedeutet, nach jahrzehntelanger | |
Unterdrückung als erste Frauen öffentlich aufzutreten, erahnt man, wenn man | |
ihre Auftritte verfolgt: Sie spielen mit Leidenschaft und Hingabe. Das | |
Ensemble präsentiert europäische Musik, wie zum Beispiel eine Variation von | |
Beethovens 9. Sinfonie, sowie klassische afghanische Werke. | |
Der Mut und der Zusammenhalt der Musikerinnen wirkt beeindruckend. Sie | |
lächeln einander an, nicken sich zu. Manche der Musikerinnen sitzen mit | |
überschlagenen Beinen auf dem Boden und zupfen die Rubab und Sitar, eine | |
afghanische und eine indische Laute. Andere spielen Instrumente wie Cello, | |
Klavier und Klarinette. Das Zusammenspiel der verschiedenen Instrumente | |
erzeugt einen zauberhaften Klang. | |
Musik war jahrhundertelang ein wichtiger Bestandteil der afghanischen | |
Kultur. Noch in den achtziger Jahren gab es eine lebendige Pop- und | |
Filmmusikszene. Während des Bürgerkriegs übernahmen die Taliban im | |
September 1996 die Macht, bis 2001 war Musik komplett verboten. Der Terror | |
und das rigide Regelwerk der Taliban hinterließen ihre Spuren. | |
Negin Khoplwak erzählt von den Reaktionen ihrer konservativen Familie, als | |
sie beschloss, Musik zu studieren: „Mein Vater war der Einzige, der mich | |
unterstützte.“ Ihre Großmutter verstieß daraufhin ihren Sohn, Negins Vater. | |
Khoplwaks eigene Mutter fand, Musik sei nichts für Mädchen. Ihre Onkel | |
sagten, sie sei eine Schande für die Familie und drohten ihr mehrmals, sie | |
umzubringen. | |
## Zarifa hört auch gerne Shakira | |
Khoplwak lebte für mehrere Jahre in einem sogenannten Waisenhaus nahe dem | |
Musikinstitut. Erst seit Kurzem ist sie mit ihren Eltern und Geschwistern | |
wieder vereint. „Wegen mir spricht mein Vater nicht mehr mit seinen Brüdern | |
und verließ das Dorf“, so Khoplwak. | |
Nach ihrem Schulabschluss will sie am liebsten in Italien oder Australien | |
studieren und eine professionelle Dirigentin werden. Zarifa Adiba hat vor, | |
in Afghanistan das Urheberrecht für Musik einzuführen. „Dafür müsste ich | |
Jura studieren“, sagt sie und fügt hinzu: „Am liebsten in Yale, Harvard | |
oder Stanford.“ | |
Afghanistan brauche jemanden wie Beethoven, findet sie. Er ist ihr | |
Lieblingskomponist, weil er anders war als alle anderen zu seiner Zeit und | |
vieles verändert hat. Khoplwak hört neben den Werken von Beethoven und | |
Chopin auch gerne die Songs von Shakira. | |
Adiba schwärmt für Adele: „Sie ist unglaublich!“ Musik ist für die zwei | |
Musikerinnen eine kraftvolle Sprache, die die Welt vereint, wie sie auch im | |
Gespräch in Davos erzählt: „Musik ist etwas, das Frieden in dir erzeugt. | |
Musik bringt dich dazu, dich selbst zu lieben und die Dinge um dich herum. | |
Musik bringt Menschen zusammen.“ | |
23 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Julika Bickel | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Kabul | |
Klassische Musik | |
Orchester | |
Ludwig van Beethoven | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Musikfest Berlin | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Syrien | |
Schwerpunkt Flucht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ex-Vize-Außenministerin zu Afghanistan: „Ich habe Hoffnung für das Land“ | |
Naheed Esar war bis 2020 stellvertretende Außenministerin Afghanistans. Ein | |
Gespräch zwischen Schock, Enttäuschung und etwas Zuversicht. | |
Orchester-Spektakel beim Musikfest: Klangkunst, räumlich gedacht | |
Ein Auftragswerk von Rebecca Saunders, eigene Werke des Dirigenten Harrison | |
Birtwistle: Ein toller, fordernder Abend beim Musikfest. | |
Kommentar Abschieben nach Afghanistan: Gescheiterten Einsatz kaschieren | |
Der Bundeswehreinsatz in Afghanistan verlief desaströs, die Lage im Land | |
ist weiterhin desolat. Abschiebungen suggerieren aber ein anderes Bild. | |
Benefiz-Konzert für Flüchtlingskinder: „Kinder kamen in Flip-Flops“ | |
Das Jugendkulturzentrum „Statthaus Böcklerpark“ veranstaltet ab heute das | |
Konzert „Rock for Refugee Children“. Der Erlös geht an Projekte des | |
Kinderhilfswerks. | |
Kulturbrücke: Nicht nur Flüchtlinge | |
Syrische Musiker gründen ein Auslandsorchester. Es will die Vielfalt und | |
Schönheit der arabischen Kultur zeigen. | |
Sängerin Tiana Kruskic über Flucht: „Musik hat mir Heimat gegeben“ | |
„The Voice of Germany“-Teilnehmerin Tiana Kruskic flüchtete mit ihrer | |
Familie vor dem Jugoslawien-Krieg. Nun kümmert sie sich um Flüchtlinge. | |
Integration durch Kultur: Mit Sport- und Kulturtickets ins Leben | |
Am Sonntag übergeben Studenten fast 700 Eintrittskarten für Events an | |
Berliner Flüchtlinge. |