# taz.de -- Sängerin Tiana Kruskic über Flucht: „Musik hat mir Heimat gegeb… | |
> „The Voice of Germany“-Teilnehmerin Tiana Kruskic flüchtete mit ihrer | |
> Familie vor dem Jugoslawien-Krieg. Nun kümmert sie sich um Flüchtlinge. | |
Bild: Hilft jetzt anderen Flüchtlingen: Sängerin Tiana Kruskic. | |
taz: Frau Kruskic, als seriöse Musikerin macht man doch nicht bei „The | |
Voice of Germany“ mit. | |
Tiana Kruskic: Zuerst war ich auch eher abgeneigt, aber nur, weil mich das | |
Format vorher nie wirklich interessiert hat. Bei der Sendung steht die | |
Musik und nicht wie bei anderen das persönliche Schicksal im Vordergrund. | |
Es war auf jeden Fall eine gute Werbung und ich musste keine Stimmung | |
machen, nur singen, und konnte mich entspannen. Fast so, als singe man zu | |
Hause, mit einer Bürste vor dem Spiegel! | |
Also gab es kein Lampenfieber? | |
Klar, im Fernsehen aufzutreten war schon etwas Besonderes. Aber ich wollte | |
immer Musikerin werden. Vor dem ersten Auftritt hatte ich einfach nur Bock, | |
auf die Bühne zu gehen, zu gucken, wer sich umdreht, zu sehen, wie das | |
Publikum reagiert. Die vielen TV-Zuschauer, die ganze Produktion, das ist | |
alles sowieso zu abstrakt. Zu viel nachdenken und sich selbst Druck machen | |
darf man nicht. Dein Leben hängt ja nicht davon ab, und mit 30 ... | |
... steht man musikalisch bereits auf eigenen Beinen? | |
Ja, mit meiner Band Sister Soul & the Blaxperts covern wir Funk- und | |
Soul-Lieder. Ich bin mit Billie Holiday und Erykah Badu aufgewachsen, das | |
sind meine Idole. Aber auch The Roots zum Beispiel, oder intellektueller | |
Hip-Hop, bei dem es nicht nur um Bitches und Hoes geht – das ist für mich | |
gute Musik, und die beeinflusst dann, zusammen mit meiner eigenen | |
Geschichte, auch meine eigenen Lieder. | |
Wie denn? | |
Zum Beispiel sind in den Songs jugoslawische Folk-Elemente drin, mit | |
Streichern und Mandoline, aber alles auch sehr bluesig, mit | |
Hip-Hop-Elementen und deutschen Texten. Auf einem Stück liest meine Mutter | |
Nietzsche auf serbo-kroatisch; auf einem anderen rappt Wilfried Zahlberg, | |
ein haitianischer Flüchtling, auf Kreol. | |
Das klingt nicht unbedingt nach Party-Musik. | |
Nein und gerade auch diese Balkan-Klänge sind hier nicht unbedingt in den | |
Ohren und können daher schnell nervig erscheinen. Aber wenn man vorher | |
erzählt, woher das kommt, dann hören die Leute auch zu. Da geht es vor | |
allem um die eigene Sehnsucht und darum, sich mit seinen Ängsten | |
auseinanderzusetzen. | |
Also ist Musik für Sie auch etwas sehr Intimes? | |
Auf jeden Fall. In meinem Text zu dem Lied „Raus“ etwa, das ich auch bei | |
„The Voice“ gesungen habe, setze ich mich mit meiner alten Heimat | |
auseinander. Auch früher war Musik immer schon unsere Art, mit unserer | |
Flucht umzugehen. Wir saßen jeden Abend mit anderen Flüchtlingen zusammen, | |
haben unsere Lieder gesungen, dabei geweint und versucht, die guten Bilder | |
und Erinnerungen an die Heimat wachzuhalten und mit dem Erlebten | |
klarzukommen. | |
Sie sind 1992, mit acht Jahren, aus Bosnien nach Deutschland geflohen – | |
haben Sie von den Zuständen dort etwas mitbekommen? | |
Ja, obwohl meine Eltern uns immer rausgeschickt haben, wenn in den | |
Nachrichten über all die schrecklichen Taten berichtet wurde. Wir mussten | |
auf unser Zimmer gehen und spielen. Als ich noch in Doboj war, hatten die | |
serbischen Truppen die Stadt zwar noch nicht besetzt, wenn jedoch zum | |
Beispiel die Schule auf Grund einer Bombenwarnung für unbestimmte Zeit | |
schließt, merkt man einfach, dass etwas nicht in Ordnung ist. | |
Aber konnten Sie es auch begreifen? | |
Meine Eltern haben versucht, es zu erklären. Dass das böse Menschen sind, | |
die uns verfolgen, dass aber nicht alle so sind. Ich meine, es gibt zwar | |
viele Ansichten über den sogenannten Light-Kommunismus des ehemaligen | |
Jugoslawiens, aber eigentlich haben wir es ja trotzdem geschafft, dort ein | |
paar Jahrzehnte in Frieden zu leben. Und eine Menge Intellektuelle ließen | |
sich auf diesen Krieg nicht ein, sondern flohen. Aber der Rest, der | |
schlachtet sich dann eben gegenseitig ab, damit es nur noch die eigene | |
Ethnie gibt. | |
Würde Ihre Familie irgendwann wieder zurück wollen? | |
Nein, meine Eltern sind einfach zu enttäuscht. Deswegen haben wir auch die | |
deutsche Staatsbürgerschaft und keine doppelte. In unserer Wohnung haben | |
sich mittlerweile andere Menschen einquartiert und leben nun da. Es sind | |
andere Gesichter und es ist einfach nicht mehr dein Zuhause, man kann sich | |
damit nicht mehr identifizieren. Und dabei habe ich das alte Jugoslawien | |
sehr geliebt. | |
Es gibt also auch schöne Erinnerungen. | |
Aber klar, ich bin dort aufgewachsen. An die Glocken der verschiedenen | |
Kirchen, der Synagoge und die Gesänge des Muezzin erinnere ich mich noch, | |
alle vier Religionen waren gleichzeitig präsent, das war toll. Ich bin | |
immer mit meiner Oma auf den Markt gegangen, es war bunt, es roch gut, | |
überall schwammen Fische, die du dir aussuchen und essen konntest. Dann | |
Ćevapi natürlich, in Zeitungspapier. Du idealisierst das, ganz klar, aber | |
ich war eben noch ein Kind. Für mich gab es damals nur Blumen, schöne | |
Farben, Sonne, tolle Menschen, Familie und Freunde, und dann war das alles | |
einfach weg. | |
Wie haben Sie in Deutschland Fuß gefasst? | |
Wir sind bei meinen Großeltern untergekommen, die bereits seit den | |
Sechzigerjahren in Deutschland lebten. Doch meine Eltern konnten nie in | |
ihren alten Berufen arbeiten. In Bosnien war mein Vater Richter, meine | |
Mutter Professorin für serbo-kroatische Sprache, aber beide mussten hier | |
zunächst für zehn Jahre in einer Spielhalle ihr Geld verdienen. Später | |
hatten wir dann, ganz klischeehaft, einen Kiosk. Auch bis zum unbefristeten | |
Aufenthalt und zur deutschen Staatsbürgerschaft hat es zehn Jahre gedauert. | |
Meiner Mutter wurde vor ein paar Monaten ihr erstes Staatsexamen anerkannt, | |
mit 63, sie ist aktuell Betreuerin in einer Grundschule. Mein Vater ist | |
noch immer nicht anerkannt, er arbeitet als Berater im Treffpunkt | |
Pregelstraße. | |
Haben Sie sich denn damals zu Hause gefühlt? | |
Nein, zu Anfang nicht. Du darfst dieses Gefühl gar nicht erst aufkommen | |
lassen, weil du wegen des befristeten Aufenthaltes immer Angst haben musst, | |
zurückgeschickt zu werden. Du findest Freundinnen, aber du kannst es dann | |
nicht genießen, weil man nächste Woche vielleicht schon weg ist. Du hast | |
Existenzängste und keine Sicherheiten, hast das Gefühl unerwünscht zu sein. | |
So als ob manche Angst davor hätten, dass du da bleibst. | |
Was ist dann Heimat für Sie? | |
Meine Freunde machen für mich Heimat aus, und Musik hat mir Heimat gegeben. | |
So ein Gefühl Braunschweig gegenüber kam aber erst auf, als ich zum | |
Studieren nach Göttingen gezogen bin. Ich glaube, Heimat merkt man oft | |
erst, wenn man sie nicht mehr hat. Meine eigentliche Heimat ist immer noch | |
Bosnien, zumindest so, wie es damals war ... Und da es dieses Bosnien nicht | |
mehr gibt, bin ich auf gewisse Art schon heimatlos. | |
Aber gut in Deutschland zurechtfinden konnten Sie sich dennoch? | |
Ja, als Kind bist du ein Schwamm und saugst alles schnell in dich auf. Mein | |
Cousin und ich hatten das „Glück“, dass unsere Mütter Lehrerinnen waren, | |
weshalb wir jeden Nachmittag Extra-Unterricht zu Hause bekamen. Jeden Tag! | |
Aber das ist etwas Gutes, wir sprechen ja über Integration. Die fängt bei | |
Sprache an und die fängt natürlich auch im Elternhaus an. | |
Nicht alle Flüchtlinge können sich so glücklich schätzen. | |
Nein, leider nicht. Ich hatte wirklich großes Glück. Die Verhältnisse sind | |
zum Teil echt furchtbar. Ich besuche jeden Freitag das Asylbewerberheim | |
Clausmoorhof in Gifhorn. Dort gibt es weder Handyempfang noch hast du WLAN. | |
Es gibt viel zu wenig Betten, der Kinderspielplatz ist eine | |
heruntergekommene Garage. Trotzdem wollen sie bleiben, weil es ihnen so | |
immer noch besser geht als in ihrem Land. | |
Das ist kaum vorstellbar. | |
Ja, aber das ist trotzdem kein Grund für so eine Ghettoisierung und dafür, | |
sie fast wie in einem Bunker zu stapeln. So bleiben sie nur unter sich, | |
lernen die deutsche Sprache nicht und niemand beobachtet, ob die Kinder zur | |
Schule gehen. Vielleicht wäre schon viel erreicht, wenn in jedem Dorf nur | |
zwanzig Leute untergebracht wären, statt 600 an einem abgeschiedenen Ort. | |
Das könnte ein erster Schritt zu einem vernünftigen Miteinander sein. | |
24 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Arne Schrader | |
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