# taz.de -- Museumsdirektorin über koloniale Stücke: „Überraschend unerfor… | |
> Die Direktorin des Überseemuseums, Wiebke Ahrndt, lässt erforschen, wie | |
> in der Kolonialzeit die afrikanische Sammlung erweitert wurde. | |
Bild: Spuren kolonialer Geschichte: Eingangskatalog des Übersee-Museums. | |
taz: Frau Ahrndt, wenn ProvenienzforscherInnen einen Großteil Ihrer | |
Afrika-Sammlung durchforsten, geht das nicht an die Substanz des Museums? | |
Wiebke Ahrndt: Nein, es geht an den Kern dessen, was die Aufgabe eines | |
Museums ist. Denn es ist ja sehr unbefriedigend, große Sammlungsbestände im | |
Hause zu haben – und auf die Frage, woher das kommt und wie es zu uns | |
gelangt ist, nur antworten zu können: Nichts Genaues weiß man nicht. Bis | |
auf einige pittoreske oder besonders grausame Fälle ist die Geschichte des | |
kolonialen Sammelns überraschend unerforscht – dabei ist Sammlungsforschung | |
unsere Hausaufgabe. Das ist der Ausgangspunkt des jetzigen Projekts. | |
Und Restitutionsforderungen bereiten Ihnen keine Sorge? | |
Die sind fast so etwas wie ein Phantom, das nur in der öffentlichen | |
Diskussion immer mal wieder auftaucht. Wir erleben die so gut wie gar | |
nicht: Rückgabeforderungen beziehen sich fast ausschließlich auf sehr | |
spezielle Sammlungsstücke wie menschliche Überreste. Was wir allerdings | |
seitens der Herkunftsgesellschaften erleben, ist der Wunsch, zu wissen: Was | |
habt ihr, woher kommt es, macht es zugänglich, stellt Transparenz her. | |
Diese Forderung ist vollauf berechtigt. | |
Das Wissen wäre ja die Voraussetzung für eine Forderung nach Rückgabe. | |
Selbstverständlich können unsere Recherchen die Frage aufwerfen, wie mit | |
einzelnen Objekten umzugehen ist und die Suche nach einer fairen und | |
gerechten Lösung notwendig machen. Das kann passieren. Und das wir | |
unrechtmäßig erworbene Stücke restituieren würden, ist selbstverständlich. | |
Wichtig ist uns, da Klarheit reinzubekommen. | |
Welche Varianten des Erwerbs gibt es denn? | |
Das ist ja genau die Frage: Wir wissen wenig über die Erwerbskontexte. Und | |
der Bestand, um den es geht, ist sehr groß und stammt aus einem Zeitraum | |
von fast 40 Jahren. Normalerweise betreibt man Provenienzforschung in Bezug | |
auf sehr kleine Sammlungsbestände, die in der Tiefe analysiert werden. Da | |
gehen wir einen anderen Weg: Unsere drei DoktorandInnen begutachten nahezu | |
die Gesamtheit der in der Kolonialzeit aus dem heutigen Kamerun, Tansania | |
und Namibia nach Deutschland gelangten Gegenstände. | |
… etwa 2.500 Objekte! | |
Wir wollen das ausreizen, wie weit man trotz einer sehr lückenhaften | |
Kenntnis und schlechter Dokumentationslage kommt, ob man zu strukturellen | |
Antworten findet, und welchen Einfluss die sehr unterschiedliche Verwaltung | |
der verschiedenen Kolonien auf den Sammlungserwerb hatte. Außerdem ist uns | |
sehr wichtig, die Geber in den Blick zu bekommen: Die klassische | |
Provenienzforschung fokussiert ja stark auf die Sammlerbiografie. Natürlich | |
machen wir das auch, weil man darüber bereits einige Informationen erhält … | |
… aber Sie betreiben auch Feldforschung? | |
Genau. Wenn wir herausbekommen, aus welcher Region das jeweilige | |
Sammlungsstück genau kommt, werden wir in Afrika versuchen, | |
Gesprächspartner zu finden, die sich noch erinnern können oder die durch | |
orale Traditionen Kenntnisse über den jeweiligen Sammler bekommen haben: | |
Oft wird übersehen und über weite Strecken auch in der Forschung | |
vernachlässigt, dass es eben keine einseitige Angelegenheit war. Wir wollen | |
die Akteure der Herkunftsländer, der Geberseite in den Blick bekommen. | |
Und was ist deren Interesse? | |
Neben dem Wissenstransfer ist ein zentrales Anliegen, beteiligt zu sein, | |
dass die Erforschung in Form eines Dialogs stattfindet. Wir haben für unser | |
Projekt entsprechend auch in Afrika Ausschreibungen gemacht, und sind sehr | |
froh, dass ein Doktorand aus Kamerun dabei ist: Das ist eine ziemliche | |
Herausforderung, weil man für die Arbeit hier Deutsch lesen können muss. | |
Und zwar Sütterlin. Auf halber Strecke werden wir auch, dank der | |
Volkswagen-Stiftung, einen Workshop mit KollegInnen aus den | |
Herkunftsländern veranstalten, um die Ergebnisse zu diskutieren. Denn das | |
ist eine ganz klare Forderung: Redet mit uns, nicht über uns. | |
Hat das Sammeln die Produktion der Artefakte beeinflusst? | |
In Bezug auf Ozeanien wissen wir, dass dort massiv für die Europäer | |
produziert worden ist. Das war ein regelrechter Markt. Auch in unseren | |
Afrika-Beständen haben wir Objekte ganz ohne Gebrauchsspuren. Dann ist | |
wahrscheinlich, dass sie direkt für den Sammler hergestellt wurden. | |
… und korrekt erworben? | |
Auch das lässt sich nicht so einfach folgern: Wir wissen von einer Sammlung | |
der Herero, dass sie eine Auftragsarbeit war – die ausgeführt wurde in | |
einem Lager der rheinischen Mission. Ungebraucht heißt nicht automatisch | |
auch freiwillig hergestellt. Einen anderen Hinweis gibt die Art der | |
Gegenstände: Wenn wir zum Beispiel von einzelnen Sammlern eine große Zahl | |
von Waffen haben, stellt sich die Frage, ob das nur Ausdruck seines | |
spezifischen Interesses ist – oder ob sie im Rahmen einer Strafexpedition | |
erbeutet wurden, bei der entwaffnet wurde. Hellhörig wird man natürlich | |
auch, sobald man Objekte hat, die keine Alltagsgegenstände sind, sondern | |
beispielsweise als Herrschaftszeichen dienten oder kultische Funktion | |
hatten. | |
Die sind geklaut? | |
Man wird da hellhörig. Und man muss sich fragen, ob es möglich war, an | |
solche Artefakte auf fairem Wege zu gelangen. Auch dafür gibt es allerdings | |
Beispiele: Es gibt bei Museumsobjekten alle Facetten des Erwerbs von der | |
Schenkung über den legalen Kauf und den betrügerischen Handel bis hin zum | |
Raub. Es gibt die gesamte Spielbreite. Die gilt es zu eruieren, um nicht so | |
zu tun, als könnte hier immer alles klar in Gut und Böse unterteilt werden: | |
Wir haben uns in dieser Frage mit sehr vielen unterschiedlichen Grautönen | |
zu beschäftigen. | |
21 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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