| # taz.de -- Internetzensur in Kamerun: Blackout in Silicon Mountain | |
| > Drei Monate lang gab es für die englischsprachige Minderheit kein | |
| > Internet. Jetzt wird es wiederhergestellt. Doch für wie lange? | |
| Bild: Berlin, Ende Januar: Demonstrant_innen unterstützen die Proteste in Kame… | |
| Drei Monate war das Internet in den englischsprachigen Gebieten weg. Jetzt | |
| hat die Regierung am vergangenen Donnerstag die Wiederherstellung | |
| angeordnet. Das ist eine große Erleichterung. | |
| Die offizielle Regierungsdelegation zur Auflösung der längsten | |
| Internetzensur, die der afrikanische Kontinent bisher erlebte, ist aber | |
| eine erneute Drohgebärde. „Das sind zwar sehr sehr gute Nachrichten, aber | |
| die Regierung hält sich offen, nach ihrer Interpretation der Situation, das | |
| Internet wieder abzuschalten, und unsere Sorge ist natürlich, dass sie dies | |
| schnell eintreten könnte“, sagt Julie Owono. Die gebürtige Kamerunerin und | |
| Leiterin der Afrikasektion der Organisation Internets sans frontièrsbleibt | |
| skeptisch. | |
| ## Die anglofone Minderheit wird marginalisiert | |
| Kamerun, ehemals deutsche Kolonie, wird nach dem Ersten Weltkrieg zu | |
| britischem und französischem Mandatsgebiet erklärt. Heute ist das Land | |
| offiziell bilingual, die anglofone Minderheit, die 20 Prozent der | |
| Gesamtbevölkerung ausmacht, ist jedoch in allen Bereichen des öffentlichen | |
| Lebens marginalisiert. Im November vergangenen Jahres protestieren dagegen | |
| Anwält_innen und Lehrer_innen in Bamenda, der größten anglofonen Stadt | |
| Kameruns. Sie fordern die Einführung des Föderalismus und eine stärkere | |
| Anerkennung der englischen Sprache. Schnell sendete die Regierung Militär | |
| nach Bamenda und die Proteste wurden gewaltsam beendet. | |
| Dieses Vorgehen ließ [1][die Protestbewegung jedoch nur wachsen]. Im | |
| Dezember gingen erneut einige tausend Menschen in Bamenda auf die Straße | |
| und Studierende in Buea begannen einen Streik. Wieder kam es zu | |
| gewalttätigen Ausschreitungen durch das Militär, bei denen acht Menschen | |
| ums Leben kamen. Daraufhin trat die Bevölkerung in Generalstreiks, Schulen | |
| wurden geschlossen, das öffentliche Leben lahmgelegt. | |
| ## Ein radikaler Blackout | |
| Die radikale Antwort der Regierung: ein digitaler Blackout. Alle | |
| Internetverbindungen vom südwestlichen Limbé bis in den Nordwesten nach | |
| Bamenda [2][wurden von den beiden Unternehmen MTN und Orange auf Anweisung | |
| der Regierung abgestellt]. | |
| Die Auswirkungen des Blackouts sind auch für die Wirtschaft verheerend. | |
| Besonders betroffen ist die Stadt Buea im englischsprachigen Südwesten des | |
| Landes. Buea ist ein wirtschaftlicher Hoffnungsträger im Land und wird | |
| aufgrund florierender Start-ups im IT-Sektor und der Lage am Fuße des Mont | |
| Cameroun auch Silicon Mountain genannt. | |
| Während des Blackouts sahen sich die jungen IT-Unternehmer_innen gezwungen, | |
| in benachbarte frankofone Städte zu fahren, um die dortige | |
| Internetverbindung zu nutzen und so ihre Geschäfte halbwegs fortsetzen zu | |
| können. | |
| „Wir schätzen, dass innerhalb von neunzig Tagen ungefähr 4,5 Millionen | |
| US-Dollar Verlust entstanden sind. Für ein Land wie Kamerun, [3][das sich | |
| nach wie vor in einer Wirtschaftskrise befinde]t, ist das sehr viel Geld“, | |
| erklärt Julie Owono. „Einige Menschen im französischsprachigen Teil, zum | |
| Beispiel in Douala, zeigten sich solidarisch, sie haben Büros für die | |
| Unternehmer_innen, die sogenannten Internetflüchtlinge, aus Buea | |
| eingerichtet. Aber die ganz normalen Bürger, die mit ihren Freunden oder | |
| ihrer Familie im Ausland kommunizieren wollen, die waren ja auch | |
| betroffen.“ | |
| ## Kampf gegen Repressionen | |
| Nun haben englischsprachige Kameruner_innen zwar endlich wieder Zugang zum | |
| World Wide Web, aber die Regierung in Yaoundé sucht weiterhin keinen Dialog | |
| mit ihrer englischsprachigen Bevölkerung – im Gegenteil: Nach wie vor | |
| sitzen viele Anwält_innen und Lehrer_innen in Haft und [4][immer wieder | |
| tauchen schockierende Videos von Polizeigewalt] über die sozialen Netzwerke | |
| auf. | |
| „Die kamerunische Regierung versteckt sich hinter dem Argument der | |
| nationalen Sicherheit. Seit 2014 existiert ein Gesetz gegen den | |
| Terrorismus, das der Regierung nun erlaubt, ungezügelt gegen Oppositionelle | |
| vorzugehen. Die Abschaltung des Internets wurde unter dem Argument der | |
| Terrorismusbekämpfung legitimiert“, erklärt Owono. | |
| Auch die Aktivist_innen der international beachteten Kampagne | |
| #BringBackOurInternet sind skeptisch. Sie erinnern an das ursprüngliche | |
| Ziel: Sie kämpfen nicht für das Internet, sondern gegen die Repression. | |
| 26 Apr 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Lipowsky | |
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