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# taz.de -- Protestbewegung in Kamerun: Operation Geisterstadt
> Generalstreiks und Träume von Unabhängigkeit: Seit Monaten befindet sich
> der anglophone Landesteil Kameruns im Aufstand.
Bild: Armee gegen Barrikaden: Geisterstadt Bamenda, 8. Dezember 2016
Abuja taz | „Es herrscht Kriegszustand!“, berichtet James atemlos. Der
Student betreibt eigentlich ein Visual-Art-Studio in Bamenda, Hauptstadt
der kamerunischen Nordwestprovinz. Jetzt hält er sich in der Grenzregion zu
Nigeria versteckt.
Alle Leute hätten Angst, die Häuser zu verlassen, berichtet er über die
Lage in seiner Heimatstadt. Polizei, Gendarmerie und Militär patrouillieren
mal zu Fuß, mal auf Lkws. Seit Beginn der Verhaftungswelle im Dezember sind
gut 250 meist junge Leute in den Gefängnissen von Buea oder der Hauptstadt
Yaoundé verschwunden.
Der Aufstand im anglofonen Westen Kameruns gegen die französischsprachige
Regierung begann im Oktober als Protest von Lehrern und Juristen gegen die
Einstellung frankofoner Kollegen in den anglofonen Strukturen. Unter der
Oberfläche brodelt Unzufriedenheit mit Präsident Paul Biya, seit 1982 im
Amt, schon lange.
Der anglofone Teil Kameruns beklagt Vernachlässigung, Diskriminierung und
Polizeiüberwachung. Zunächst ignorierte Biya die Proteste, dann schickte er
Polizei und Militär.
## Kamerun, ein geteiltes Land
Kamerun entstand 1960 mit der Unabhängigkeit des einst deutschen
Französisch-Kameruns und dem Anschluss des zuvor britischen „Southern
Cameroons“ per Volksentscheid im darauf folgenden Jahr. Bis heute gibt es
für die 20 Prozent der Bevölkerung im Westen der Republik eigene
englischsprachige Schulen und Gerichte und eine eigene Rechtsprechung, die
auf dem britischen Common Law basiert.
Aber Kameruns Zentralstaat spricht zumeist Französisch; dafür ist die
kritische Opposition überwiegend englischsprachig.
1999 rief der gewaltfreie sezessionistische „Southern Cameroons National
Council“ (SCNC) die Unabhängigkeit des ehemals britischen Gebiets unter dem
Namen „Ambazonia“ aus. Als letztes Jahr die Proteste begannen, machte der
imaginäre Staat schnell die Runde auf Facebook und Whatsapp.
„Es gibt sogar eine Fahne und eine Botschaft in Deutschland!“, erzählte die
junge Designerin Marie im Nachbarland Nigeria im Oktober ganz begeistert.
Zeitgleich begann der SCNC mit einer Unterschriftensammlung für ein
Unabhängigkeitsreferendum. Damit geriet der gesamte Protest in den Ruch,
Kamerun aufteilen zu wollen. „Unabhängigkeit ist ein Tabuthema“, erklärt
Student James per Telefon aus seinem Versteck. Seit der SCNC verboten sei,
werde auch jede Bezugnahme auf das Thema verfolgt.
## Gegen „Ambazonia“ wird geschossen
Ambazonia sei ein Traum der Auslandskameruner, aber alle in der Region
wollten die Unabhängigkeit, sagen Angehörige der anglofonen kamerunischen
Diaspora.
In Kamerun selbst sei davon aber keine Rede, sagen Anglofone in Kameruns
Hauptstadt Yaoundé. Die frankofonen Medien berichteten lediglich von
Streiks, dass Verhandlungen laufen und es eine Lösung geben werde.
Aber im Dezember schoss die Polizei erstmals scharf, vier Demonstranten
starben. Im Internet kursieren seitdem Videos von Sicherheitskräften, die
junge Männer in Studentenwohnheimen misshandeln. „Sie töten unsere Leute“,
heißt es im Netz. Mütter schickten ihre Söhne nach Nigeria und forderten
Verhandlungen.
Gesprächspartner der Regierung ist der anglofone Dachverband Cameroon
Anglophone Civil Society Consortium (CACSC). Er fordert keine
Unabhängigkeit, sondern die Rückkehr zum 1974 abgeschafften föderalen
System in Kamerun.
Ihre Anhänger schwört CACSC auf gewaltlosen Widerstand und die „Operation
Geisterstadt“ ein – ein Generalstreik jede Woche montags und dienstags.
## Zivilgesellschaft wird verfolgt
Am 17. Januar reichte es der Regierung. Das Internet in der Region wurde
abgestellt. Felix Agbor Nkongho und Fontem Neba, Präsident und Vize des
CACSC, wurden verhaftet und wegen Terrorismus angeklagt. Darauf steht die
Todesstrafe. Seitdem steuern Exilkameruner über Facebook die Aktionen.
Unabhängigkeit ist jetzt wieder die zentrale Forderung.
Die „Operation Geisterstadt“ geht weiter, auch diese Woche. Zu Hause
bleiben ist die Devise. Es kursieren Bilder von leeren Straßen und Märkten.
„Unsere Unabhängigkeitskämpfer sorgen dafür, dass niemand zur Schule geht
und keiner seinen Laden öffnet“, heißt es aus Bamenda. Selbst Händler aus
Nigeria bleiben an Geistertagen fern.
22 Feb 2017
## AUTOREN
Andrea Stäritz
## TAGS
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