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# taz.de -- Kamerun auf dem Weg zum Bürgerkrieg: Altes Regime und junge „Ter…
> Im anglophonen Westen Kameruns eskaliert die Gewalt zwischen bewaffneten
> Separatisten und der Armee. Die Stabilität steht auf dem Spiel.
Bild: Protest in Bamenda, Kamerun
Brüssel taz | Es ist, sagen kamerunische Beobachter, ein klassischer
Bürgerkrieg niedriger Intensität in einem Land von zentraler Bedeutung für
die Stabilität Afrikas – und nun hat die Regierung ihn auch offiziell
erklärt.
„Kamerun ist Opfer wiederholter terroristischer Angriffe durch eine Bande
von Terroristen, die sich auf eine sezessionistische Bewegung berufen“,
erklärte am vergangenen Donnerstag Präsident Paul Biya, der sich nur selten
zur aktuellen Politik äußert. Er versprach, „alle Mittel“ einzusetzen, um
„diese Verbrecherbande unschädlich zu machen“.
Verteidigungsminister Joseph Beti Assomo kündigte am Samstag an, er werde
die Anweisung seines Staatschefs „bedenkenlos“ umsetzen – „um den gesun…
Teil der Bevölkerung zu beruhigen“.
Ziel der harten Worte, denen jetzt Taten folgen sollen, sind die Anhänger
einer Abspaltung des anglofonen Westteils von Kamerun, dessen symbolische
Unabhängigkeit unter dem Namen „Ambazonien“ am 1. Oktober radikale
Sezessionisten verkündet hatten.
## Gefährlich zugespitzt
Seit am 8. November in Bamenda, der größten Stadt im anglofonen Westen,
eine nächtliche Ausgangssperre verhängt wurde, hat sich der Konflikt
gefährlich zugespitzt.
Zehn Angehörige der Sicherheitskräfte sind seit Anfang November getötet
worden. Am 6. und 7. November wurden drei Gendarmen erschossen – einer an
einer Schule in Bamenda, einer bei der Jagd nach „vermummten Terroristen“,
die eine Hochschule in Brand gesetzt haben sollen, und einer an einer
Straßensperre.
In der Nacht zum 10. November wurde einem Soldaten am Grenzposten Akwem an
der Grenze zu Nigeria die Kehle durchgeschnitten.
Und letzte Woche eskalierte die Lage abrupt: In der Nacht zum 29. November
erschossen Unbekannte vier Soldaten der motorisierten Infanterie in Mamfe
nahe der nigerianischen Grenze; in der folgenden Nacht starben zwei
Polizisten am Grenzposten Otu, nach Armeeangaben bei einem Überfall einer
15 Mann starken bewaffneten Gruppe.
In Bamenda selbst wurde am 20. November nach Polizeiangaben ein Polizist
nachts von einem vorbeifahrenden Motorrad aus angeschossen und verwundet.
Es kam zu Schießereien in mehreren Stadtteilen, ein 23-Jähriger erlag am
nächsten Tag seinen Verletzungen.
## Unabhängiges „Ambazonien“
Die Regierung macht für die Überfälle eine „Southern Cameronns Ambazonia
Consortium United Front“ verantwortlich, Speerspitze der
Unabhängigkeitsbewegung, deren Führer im Exil leben. Ihr bekanntester
Führer, der in Nigeria lebende Informatiker Julius Sisiku Ayuk Tabe,
verneint jede Beteiligung.
Er war es, der sich am 1. Oktober zum Präsidenten des unabhängigen
„Ambazonien“ ausgerufen hatte – ein Name, der vom alten englischen
Kolonialnamen „Ambas Bay“ für die Mündung des Mungo-Flusses in den Atlant…
herrührt.
Das kurzlebige britische Protektorat Ambas Bay wurde 1887, nach nur drei
Jahren Existenz, in die deutsche Kamerun-Kolonie eingegliedert. Diese wurde
nach dem Ersten Weltkrieg in ein französisches und ein englisches
Mandatsgebiet aufgeteilt.
Nach der Unabhängigkeit des französischen Kamerun 1960 wurde 1961 das
englische Mandatsgebiet „Südkamerun“ nach Volksabstimmungen geteilt: die
Südhälfte ging an Kamerun, die Nordhälfte an Nigeria.
Zunächst war Kamerun danach föderal organisiert – eine erneute
Volksabstimmung setzte dem 1972 zugunsten des französischen Zentralismus
ein Ende, und dies wird bis heute bei den Anglofonen als Annexion
abgelehnt.
Von einem „kulturellen Völkermord“ an den anglofonen Kamerunern spricht
Sisiku Ayuk in einer Videobotschaft und reklamiert das Recht auf
Selbstbestimmung, da die kamerunische Zentralmacht alle sprachlichen und
juristischen Eigenständigkeiten des anglofonen Landesteils missachte und
ihn ökonomisch benachteilige.
Jeder fünfte der 25 Millionen Kameruner ist anglofon, aber nur einer von 36
Ministern in der Zentralregierung.
## Viele Demonstranten getötet
Eine erste Serie von Generalstreiks und Protesten führte zu einer
mehrmonatigen Sperrung des Internets, wodurch viele wirtschaftliche
Aktivitäten zusammen brachen. Im August 2017 ließ Präsident Biya mehrere
hundert Gefangene frei und setzte eine Kommission zur Zweisprachigkeit ein,
aber danach nahm die Sezessionsbewegung erst richtig an Fahrt auf: über
50.000 Demonstranten am 22. September, und dann die
Unabhängigkeitserklärung samt der blau-weißen Flagge Ambazoniens am 1.
Oktober, Kameruns Nationalfeiertag.
Soldaten und Polizisten töteten an diesem Tag laut Amnesty International
mindestens 17 Demonstranten; umgekehrt gingen mehrere Polizeistationen in
Flammen auf.
Joshua Osih, Führer der oppositionellen und vor allem im anglophonen Raum
verankerten Social Democratic Front (SDF), wirft den Sicherheitskräften
vor, auf unbewaffnete Demonstranten scharf zu schießen.
Die SDF versucht vergeblich, die Krise im anglofonen Landesteil in Kameruns
Parlament zu thematisieren. Da das nicht gelingt, störten SDF-Abgeordnete
am vergangenen Mittwoch eine Rede des Premierministers mit Pfiffen und
Tänzen.
Seit Oktober 2016 wurden nach Recherchen der „International Crisis Group“
mindestens 56 Personen von den Sicherheitskräften getötet und mehrere
hundert verletzt. „Wegen dieser mörderischen Repression schwellen die Ränge
der Sezessionisten Tag zu Tag an“, so die ICG in einem neuen Bericht.
Die Regierung weist die Vorwürfe zurück und macht die Sezessionisten für
den Tod von über 100 Menschen sowie mehrere Bombenanschläge verantwortlich.
## Sorge bei den Vereinten Nationen
Die Behörden in der Unruheregion greifen zu radikalen Mitteln. Immer wieder
ist der öffentliche Nahverkehr oder auch das Überschreiten von
Distriktgrenzen verboten worden, Armeeverstärkung wurde in die
Unruhegebiete geschickt.
Und am vergangenen Wochenende kursierte ein Erlass, wonach im Kreis Manyu
alle Bewohner einer Anzahl namentlich aufgeführter Dörfer in „sichere
Zonen“ umsiedeln sollten, sonst werde man sie als „Komplizen oder Täter der
andauernden verbrecherischen Vorfälle“ behandeln. Der Erlass wurde nach
Kritik zurückgezogen.
Die Unruhe erreicht sogar die Vereinten Nationen. UN-Generalsekretär
António Guterres hat sich zweimal darüber direkt mit Präsident Biya
unterhalten.
Die Wahlen im Oktober 2018 und der Afrika-Cup im Juni 2019 geraten in
Gefahr, wenn die Krise in Kamerun sich vertieft, warnen Experten.
Denn das Land kämpft bereits seit mehreren Jahren an zwei Fronten gegen
Instabilität: im Osten gegen eindringende Warlords aus der
Zentralafrikanischen Republik, die aus ihrem Bürgerkrieg nicht
herausfindet; und im äußersten Norden gegen die Dschihadisten der aus
Nigeria eingedrungenen Gruppe Boko Haram, die eine Zeitlang auf der
kamerunischen Seite der Grenze Unterschlupf fand.
Beide dieser Krisen haben zahlreiche Flüchtlinge aus den Nachbarländern
nach Kamerun gebracht. Eine dritte Bürgerkriegsfront, diesmal direkt an der
Haustür zur kamerunischen Wirtschaftsmetropole Duala sowie in der Nähe zu
den Ölvorkommen Kameruns und Nigerias, kann das Land nicht gebrauchen.
5 Dec 2017
## AUTOREN
François Misser
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