# taz.de -- taz-Serie Neu-Berlinern: Am Anfang erst mal Heimweh | |
> Vor zweieinhalb Jahren kam er nach Berlin, um Informatik zu studieren. | |
> Für ihre Serie trifft sich Henriette Harris mit Gires Ntchouayang aus | |
> Kamerun. | |
Bild: In Kamerun tanzt man zu Weihnachten, hier stellt man Bäume auf. Gires Nt… | |
Wir schreiben hin und her, um uns zu verabreden. Gires ist höflich und wir | |
siezen uns lange. Jedes Mal, wenn ich seinen Nachnamen schreibe, muss ich, | |
wie wir auf Dänisch sagen, die Zunge gerade im Mund halten. Das tut man, | |
wenn etwas schwierig ist und man sich bei der Ausführung richtig | |
konzentrieren muss. | |
Ntchouayang. So lautet der Familienname von Gires. „Hmmmm, es wird noch | |
schwerer sein ihn auszusprechen“, schreibt er mir, als ich endlich | |
vorschlage, dass wir zum Duzen übergehen, um mich von einer Blamage zu | |
retten. | |
Weil der junge Mann aus Kamerun so ein feines Deutsch schreibt, schlage ich | |
vor, dass wir uns im Café Kauderwelsch an der Freien Universität treffen. | |
An der Uni hat Gires Ntchouayang einen Studienjob im IT-Support. Er sitzt | |
schon da, als ich im Café eintreffe. Der Kaffee ist fair-trade, die Kuchen | |
sehen gut aus und die hübsche Barrista hat einen leichten französischen | |
Akzent. Ich war lange nicht mehr in einer Uni und könnte die Oma von allen | |
hier sein. | |
## Erst mal die Aussprache | |
Zuerst klären wir das mit der Aussprache. „Zuajang“, sagt er mit einem fast | |
unhörbaren leichten nasalen Laut vor dem Z. Er lächelt, als ich versuche es | |
zu sagen, aber korrigiert mich nicht. Gires erzählt, dass er 24 Jahre alt | |
ist und aus dem Dorf Bamena im Westen von Kamerun kommt. Das Dorf liegt in | |
der Nähe der Stadt Bangangté. Am 1. März 2015 kam er nach Berlin. Aber | |
warum eigentlich Deutschland, wenn Französisch die Hauptsprache in Kamerun | |
ist? | |
„Es hat sich in den letzten Jahren verändert“, erzählt Gires. „Die Leut… | |
die die Möglichkeit zum Studieren haben, gehen nun lieber nach Deutschland | |
als nach Frankreich. Einige Bekannte vom Dorf studierten schon in | |
Deutschland. In Kamerun habe ich Deutsch in der neunten und zehnten Klasse | |
gehabt und nach dem Abitur habe ich für sechs Monate einen Deutschkurs | |
gemacht. Dann bin ich hier angekommen und hatte drei Monate einen | |
intensiven Sprachkurs. Letztendlich habe ich die Prüfung bestanden und | |
konnte Oktober 2015 an der Universität anfangen.“ | |
Gires Ntchouayang studiert jetzt Angewandte Informatik im fünften Semester | |
an der Hochschule für Technik und Wirtschaft. Den Job als studentische | |
Hilfskraft beim SFB 980 (Sonderforschungsbereich Episteme in Bewegung) an | |
der FU hat er seit einem Jahr. Sein Deutsch ist hervorragend, er ärgert | |
sich jedes Mal, wenn er ein Wort nicht findet. Manchmal finde ich es auch | |
nicht. | |
Eigentlich hatte Gires eine Zusage für die Technische Universität in | |
Clausthal in Niedersachsen. Aber seine Bekannten aus der Heimat haben ihn | |
überzeugt, nach Berlin zu kommen. Er freut sich immer noch über diese Wahl. | |
„Ich wohne in einem Studentenwohnheim in der Coppistraße in Lichtenberg. | |
Wir wohnen zu dritt in unserer WG. Wir sind zwei aus Kamerun, der andere | |
studiert Maschinenbau, und einer aus Ghana. Ich weiß ehrlich gesagt nicht | |
genau, was er studiert. Mit ihm rede ich Englisch, weil Ghana eine Kolonie | |
vom Vereinigten Königreich und nicht von Frankreich war“, erzählt Gires und | |
unterstreicht, dass es schwierig war, einen Platz in einem | |
Studentenwohnheim zu bekommen. „Das muss man schon sagen.“ Aber er mag es, | |
da zu wohnen. „Es ist wie ein Dorf, und es gibt so viele Studenten aus | |
Kamerun in der Coppistraße, dass die Straße auch Klein-Kamerun genannt | |
wird“, sagt er. | |
## Früh zur Informatik | |
In seinem Leben hatte er bereits früh mit Informatik zu tun. „Schon als | |
kleiner Junge habe ich angefangen, die Computer meiner älteren Brüder | |
auseinanderzubauen. Manchmal habe ich was kaputt gemacht und war dann nicht | |
so populär. Aber mit der Zeit habe ich auch anderen mit ihren | |
Betriebssystemen helfen können und es wurde klar, dass meine Zukunft | |
irgendwie hier liegt“, sagt Gires. | |
Wie es nach dem Studium weitergehen soll, weiß er nicht genau. „Ich möchte | |
meinen Master haben und vielleicht in die Forschung einsteigen. Wenn ich | |
ein gutes Jobangebot bekomme, kann es sein, dass ich nach Kamerun | |
zurückkehre. Aber es muss gut sein“, sagt er. Seine Familie erwartet, dass | |
er mit seiner Ausbildung später seinen Geschwistern beim Studium helfen | |
könnte. | |
In seinem Heimatland war Gires seit der Abreise nach Deutschland nicht | |
mehr. Die Reise ist zu teuer. Aber wenn er seinen Bachelor hat, will er | |
unbedingt zu einem Besuch nach Kamerun. | |
Anfangs wurde immer gefragt, wann er nach Hause komme. „Aber irgendwann | |
haben sie aufgehört zu fragen. Als ich gerade in Deutschland angekommen | |
war, hatte ich ganz viel …“, er sucht das Wort und ich stelle mir vor, dass | |
er Heimweh meint. „Ja, Heimweh! Ich ging zum Deutschkurs, kam nach Hause, | |
wo ich mich wie in einem Hotel gefühlt habe. Das war einsam. Aber mit der | |
Zeit haben sich die Dinge in eine positive Richtung entwickelt. Ich habe an | |
der Uni angefangen, habe Leute kennengelernt“, sagt er. | |
## Der Tanz zu Weihnachten | |
Auch für Weihnachten muss sich Gires mit seinen neuen Freunden in Berlin | |
zufriedengeben. „Dann machen wir traditionelle Gerichte aus unseren Dörfer | |
und trinken Bier und Wein. Wir kochen mit Rindfleisch, rotem Palmöl und | |
Eru, ein Gemüse, das ein bisschen wie Grünkohl aussieht. In Kamerun braucht | |
man nicht unbedingt Christ zu sein, um Weihnachten zu feiern. Weihnachten | |
ist eine Tradition aus der französischen und britischen Geschichte des | |
Landes. Man kocht was Besonderes, isst zusammen und danach geht man in eine | |
Bar und tanzt die ganze Nacht durch. Deshalb sind Weihnachten und Silvester | |
bei uns so beliebt“, grinst er. | |
„Ich fühle mich wohl in Berlin“, sagt er. „Die Atmosphäre ist angenehm,… | |
multikulturelle Aspekt der Stadt ist ein großer Vorteil. Berlin ist wie | |
mein Zuhause. Ich und meine Freunde, wir gehen nicht so viel aus. Wir | |
studieren viel und wenn wir frei haben, treffen wir uns bei uns zu Hause, | |
kochen und essen zusammen. Aber ich gehe gerne ins Kino, und ab und zu | |
gehen wir tanzen in einem Club, wo Afro-Beats und Black Music gespielt | |
werden“, erzählt Gires. | |
Wenn er in Berlin Leute mit afrikanischen Wurzeln trifft, wisse er sofort, | |
ob sie in Deutschland geboren sind. „Ich kann nicht erklären, wie man das | |
weiß. Sie brauchen nichts zu sagen. Man weiß es einfach. So ist das. In | |
Kamerun kommt man viel leichter ins Gespräch mit den Menschen. Im Bus oder | |
in den Läden redet man sofort miteinander. Anfangs wollte ich hier zu jedem | |
Hallo sagen. Aber alle laufen so schnell mit ihren eigenen Sachen im Kopf“, | |
sagt er. | |
In der U-Bahn Richtung Osten fragt Gires, wie es hier ist, Kinder in der | |
Schule zu haben. Ob es so was wie „Mütterabende“ gibt. Ich erkläre, dass … | |
hier Elternabend heißt. Weil auch Väter – nicht so viele wie Mütter, aber | |
immerhin – kommen. „In Kamerun sind die Kinder Frauensache“, sagt er und | |
erklärt, dass seine Familie, wie man auf Französisch sagt, eine famille | |
nombreuse ist. Eine kinderreiche Familie. Sein Vater hat vier Frauen – die | |
Vielehe ist in Kamerun erlaubt – und insgesamt 24 Kinder. „Aber das ist | |
wirklich zu viel. Die Frauen streiten sich oft und dann leiden auch die | |
Kinder“, sagt Gires. „Ich werde mich lieber an das deutsche Modell mit | |
einer Frau und zwei, drei Kindern halten“, sagt er. | |
24 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Henriette Harris | |
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