Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Unabhängigkeitskampf in Kamerun: Willkommen in „Amba-Land“
> In Kamerun kämpft eine Bewegung für ein unabhängiges „Ambazonien“, die
> Regierung schlägt hart zurück. Eine Reise zu den Sympathisanten des
> Aufstands.
Bild: Unterwegs im Rebellengebiet
Südwest-Kamerun taz | „Im Kampf gegen den Terrorismus müssen wir handeln.
Die Separatisten stellen eine terroristische Bedrohung für unser Land dar“,
tönt die kratzige Stimme Paul Biyas aus dem Autoradio. „Deswegen
rekrutieren wir im Januar 5.000 neue Soldaten, die in der anglofonen Krise
für Ordnung sorgen werden.“ Die Botschaft des kamerunischen Präsidenten
löst Gelächter im Wagen aus. „Der alte Mann“, witzelt der Fahrer über den
84-jährigen Präsidenten, der seit 35 Jahren Kamerun regiert. „Die halbe
kamerunische Armee ist doch schon in der anglofonen Zone. Das soll das
Problem lösen?“
Am Ortsausgang der Millionenstadt Douala schlängelt sich das Auto an
Motorrädern, Lastwägen und Taxis vorbei Richtung Landstraße. Die Fahrt
zwischen Feldern und Palmenwäldern geht nach Buea, ein
Universitätsstädtchen im englischsprachigen Teil Kameruns – der Landesteil,
von dem laut Präsident eine terroristische Bedrohung ausgeht, seit dort
Separatisten am 1. Oktober 2017 die Unabhängigkeit von „Ambazonien“
ausriefen.
Seitdem nimmt die Gewalt zu. Es gibt regelmäßig Tote, Tausende Menschen
sind nach Nigeria geflohen. „Die Separatisten haben in Mamfé mindestens
acht Soldaten exekutiert“, weiß ein Reisender. Aus Mamfé kommt der
selbsternannte Präsident Ambazoniens, Sisiku Ayuk Tabe.
## Buea: Wunsch nach Wandel
Die Universitätsstadt Buea liegt idyllisch an den Hängen des 4.000 Meter
hohen Mount Cameroon. Von Krise ist nichts zu spüren. Der Duft von Popcorn
liegt in der Luft, Schulkinder in Uniform laufen neben herausgeputzten
Studierenden. Es ist der Tag nach der Diplomverleihung. Auf den
weitläufigen Wiesen des Campus posieren Studierende in grünem Gewand und
eckigem Hut lächelnd für die Kameras.
Doch unter der Oberfläche brodelt es. Eine Gruppe junger
Ingenieursstudenten ist für Abspaltung. „Hier an der Uni kann man sich
darüber nicht frei äußern“, sagt einer. „Machst du es doch, riskierst du
Knast.“ Er analysiert: „Mit der Gewalt der Regierung gewinnt die
Separationsbewegung an Zustimmung. Am Anfang hat doch keiner von
Unabhängigkeit gesprochen.“ Aber die Regierung ergreife absurde Maßnahmen:
Die blau-weißen Campus-Shuttlebusse mussten auf Gelb umgespritzt werden,
weil Ambazoniens Flagge blau-weiß ist. Studierende würden vom
Sicherheitspersonal angesprochen, wenn sie blau-weiße Kleidung trügen,
erzählt eine Informatikstudentin. „Als englischsprachiger Kameruner bist du
immer Bürger zweiter Klasse“, sagt sie.
Im frankofonen Teil Kameruns habe ein Anglofoner keine Chance, bestätigt
Yanick Fonki, Chefredakteur der englischsprachigen lokalen Zeitung Green
Vision. „Ich habe fünf Jahre in der frankofonen Region gearbeitet. Sie
behandeln dich wie ein Niemand, sie denken, dass sie mehr Rechte haben als
wir. Als ich wieder zurückgekommen bin, habe ich angefangen, mich für
Gleichbehandlung einzusetzen.“ Er macht die Regierung für die zunehmende
Gewalt verantwortlich: „Wäre Biya früher in Dialog mit den Protestierenden
getreten, dann würde er heute keine Verluste auf Seiten der Armee
verzeichnen. Die Separatisten haben ohne Gewalt protestiert. Aber die Armee
hat sie verletzt, zum Teil getötet. Die Gewalt, die jetzt gegen Polizei und
Soldaten angewendet wird, ist ein Spiegel.“
Fonki setzt nach wie vor auf eine Föderalisierung Kameruns, nicht auf
Abspaltung. „Die kamerunische Armee hat Maschinengewehre. Die Ambazonisten
kämpfen mit Macheten. Da fließt unnötiges Blut, das keinen Wandel
herbeiführen wird.“
Seine Forderung ist auch die der wichtigsten politischen Kraft im
anglofonen Landesteil, die Social Democratic Front (SDF), Kameruns größte
Oppositionspartei. „Ich bin nicht für Separation“, sagt in Buea
SDF-Mitglied Nseta Lackban: Ein unabhängiger Staat werde Probleme wie
Korruption nicht beseitigen; die meisten Probleme Kameruns seien
gesamtgesellschaftlich. Bei den Generalstreikaktionen namens „Ghost Town“
(Geisterstadt)“, mit denen 2016 die Proteste begannen, „haben doch in
erster Linie wir selber verloren“, sagt er kopfschüttelnd, „die Wirtschaft
hier in Buea hat extreme Verluste in Kauf nehmen müssen. Unsere Kinder
gehen hier zwar wieder zur Schule, in anderen Regionen aber schon seit fast
einem Jahr nicht mehr. Das kann doch nicht die Lösung sein.“
## Bamenda: Angst und Flucht
Mit dem Nachtbus geht es am Abend weiter nach Norden. Durch stockfinstere,
mit kratertiefen Löchern gefräste Straßen quält sich der Bus durch die
bergige Landschaft, vorbei an Kleinbussen, die an einem besonders steilen
Hang auf der Strecke geblieben sind. Ihre schwachen Scheinwerferlichter
bleiben in der Dunkelheit zurück. Seit Jahrzehnten sei hier nichts an der
Infrastruktur getan worden, erklärt der Busfahrer.
Auch bei besseren Straßenverhältnissen wäre an Schlaf nicht zu denken: Alle
zwei Stunden gibt es Polizeikontrollen: Licht an, alle raus aus dem Bus.
Per Taschenlampe werden Ausweis und Gesicht abgeglichen. Und rund zwei
Stunden nördlich von Buea sind soziale Netzwerke über das Handy nicht mehr
erreichbar.
Nach sieben holprigen Stunden kommt der Bus in den frühen Morgenstunden im
dämmrigen Bamenda an, die größte Stadt der Region. Wer hier Ambazonien
unterstützt, muss vorsichtig sein. Der Anwalt und Aktivist, der schon vor
Sonnenaufgang im Hotel eintrifft, lässt sich weder mit Namen nennen noch
von vorn fotografieren. Er ist Demonstrant der ersten Stunde, er
marschierte 2016 mit Hunderten Kollegen für eine Rückkehr zum Föderalismus.
Fünf Monate musste er dafür ins Gefängnis. Seitdem versteckt er sich.
„Das Ganze ist ein institutionelles Problem“, erläutert er. „Wir haben k…
Problem mit unseren französischsprachigen Brüdern und Schwestern – sie
haben ja auch Probleme mit der Regierung. Aber unsere Systeme sind eben
heute zwei verschiedene, die sich nicht mehr zusammenbringen lassen.“
Jura hat er in Nigeria studiert, dort verbrachte er auch Zeit nach seiner
Freilassung. „Viele der Köpfe der Bewegung sind jetzt in Nigeria. Wir
können dort arbeiten und sprechen die Sprache. Es gibt auch einige
Nigerianer, die sich mit unserem Kampf solidarisiert haben. In einem
Ambazonien-Trainingscamp für Unabhängigkeitskämpfer in der Nähe von Mamfé,
das ich besucht habe, arbeiten auch nigerianische Ausbilder. Genauso wie
auch frankofone Kameruner sich unserem Kampf angeschlossen haben.“
Besorgt ist der Anwalt darüber, dass die Ambazonien-Bewegung nicht
organisiert sei: Jeder handele auf eigene Faust. Es gebe zwar den Southern
Cameroon National Council (SCNC) mit Vertretern in jeder Region. Richtig
organisiert sei aber nur die Diaspora. Einzig in den ländlichen Regionen
sei es noch möglich, heimliche Treffen zu organisieren.
## Batibo: Versteckt im Wald
Zum Beispiel in Batibo, eine kleine Gemeinde 42 Kilometer südwestlich von
Bamenda. Es ist Markttag, Lämmer und Hühner wechseln die Besitzer.
Mit den Worten „Welcome to Ambaland“ grüßt in Batibo der Leiter einer
kleinen Umweltorganisation.. Der Ambazonien-Unterstützern macht sich große
Sorgen: „Seit den Demonstrationen gab es so viele Festnahmen und Verletzte.
Viele Menschen sind in die umliegenden Wälder geflohen, um sich dort zu
verstecken.“ Einer seiner Mitarbeiter wurde von der Polizei erschossen, er
selbst wurde mehrere Male festgenommen und kam nur gegen Geld wieder frei,
berichtet er.
Auf dem Motorrad fährt er in den Wald zum örtlichen SCNC-Repräsentanten,
ein 60-jähriger Pfarrer. Der lebt in einem roten Lehmhaus tief im Wald
versteckt. Involviert ist er in die Unabhängigkeitsbewegung schon seit
September 2016, vor den großen Protesten. „Die Ambazonien-Bewegung hat sich
ja bereits in den Achtzigerjahren gegründet“, erzählt er. „Eigentlich
wollten wir ein Referendum erreichen. Deswegen bin ich von Haus zu Haus
gegangen und habe Unterschriften gesammelt – insgesamt 200 habe ich bereits
zusammen. Als dann der Protest der Anwälte und Lehrer losging und die
Regierung so repressiv geworden ist, hat die Bewegung eine neue Dynamik
erhalten. Die Menschen gingen auf die Straßen und Ambazonien war ihre
Forderung.“
Der alte Pfarrer sieht keine friedliche Lösung mehr. „Ich sage das auch zu
meinen Kindern: Wenn ich jetzt im Kampf sterbe, dann sterbe ich für die
richtige Sache.“ Ambazonien – das ist für ihn ein freies Land, das die
Menschen mitgestalten.
Zum Abschied präsentiert er seine blau-weiße Ambazonien-Flagge und sagt:
„Im Januar muss etwas passieren.“
10 Jan 2018
## AUTOREN
Katharina Lipowsky
## TAGS
Ambazonien
Kamerun
Separatismus
Recherchefonds Ausland
Kamerun
Kamerun
Kamerun
Kamerun
Kamerun
## ARTIKEL ZUM THEMA
Wahlen in Kamerun: Terence floh als Letzter
Kameruns anglophoner Westen ist Kriegsgebiet, Hunderttausende sind auf der
Flucht. Bei den Wahlen nützt das Präsident Biya.
Konflikt im anglophonen Teil Kameruns: Kameruner flüchten nach Nigeria
Gewalt im Westen Kameruns treibt immer mehr Menschen in die Flucht nach
Nigeria. UNO und Regierung befürchten, dass die Gewalt übergreift.
Kamerun auf dem Weg zum Bürgerkrieg: Altes Regime und junge „Terroristen“
Im anglophonen Westen Kameruns eskaliert die Gewalt zwischen bewaffneten
Separatisten und der Armee. Die Stabilität steht auf dem Spiel.
Aktivist über Staatsgründung in Kamerun: „Wir wollen Dialog, keine Gewalt“
Worum geht es der Unabhängigkeitsbewegung, die im anglophonen Teil Kameruns
den unabhängigen Staat „Ambazonien“ ausgerufen hat? Ein Aktivist erklärt.
Sezessionisten in Kamerun: Fahnen schwenken für Ambazonien
Der anglophone Teil von Kamerun will unabhängig werden. Die Regierung des
autoritären Präsidenten Paul Biya schlägt mit aller Macht zurück.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.