| # taz.de -- Binnenvertriebene in Kamerun: Kein Glück in Las Vegas | |
| > Besuch bei Kriegsvertriebenen in Kameruns größter Stadt Douala. Sie | |
| > wissen genau: Ihre Probleme dürften durch die Wahlen nicht gelöst werden. | |
| Bild: Yvonne Kabuoi im Matsch von „Las Vegas“ | |
| Douala taz | „Vorsicht“, warnt Yvonne Kabuoi. „Hier rutscht man leicht | |
| aus“, sagt sie und steigt auf einen Autoreifen, der auf dem Schlammdeich | |
| liegt, um Fußgängern ein kleines bisschen trockenen Untergrund zu geben. | |
| Links und rechts vom aufgeschütteten Wall rinnt Wasser, langsam und zäh. In | |
| der Regenzeit wird „Las Vegas“ regelmäßig überschwemmt. | |
| Das Viertel in Kameruns Hafenstadt Douala hat wenig mit der | |
| US-amerikanischen Glitzerstadt zu tun. Notdürftig zusammengezimmerte | |
| Holzbaracken säumen den aufgeweichten Wall, erreichbar nur über schmale | |
| Balken. Der rutschige Matsch reicht mindestens knöchelhoch. Mit einem Stock | |
| in der Hand testet Yvonne Kabuoi jede Stelle, bevor sie den nächsten | |
| Schritt macht. Sie will um jeden Preis vermeiden, in das bräunliche Gemisch | |
| aus Fluss- und Abwasser zu rutschen. | |
| Warum das Viertel ausgerechnet „Las Vegas“ heißt, kann niemand beantworten. | |
| „Weil hier alle ihr Glück suchen“, wirft eine Bonbon-Verkäuferin im | |
| Vorbeigehen ein und lacht schallend über ihren eigenen Witz. Glück, aber | |
| vor allem Sicherheit, ergänzt Yvonne Kabuoi. | |
| Sie alle sind vor dem [1][Krieg in Kameruns englischsprachigen Provinzen | |
| Nordwest und Südwest] nach Douala geflohen, Kameruns größte Stadt. 400 | |
| Menschen leben in dem informellen Viertel. Die meisten sind Witwen mit | |
| ihren Kindern. Ihre Männer haben sie in der „Krise“ verloren, erzählt | |
| Yvonne Kabuoi. Auch sie ist Witwe und kümmert sich alleine um ihre vier | |
| Kinder. „Es ist eine lange Geschichte“, sagt sie und winkt ab. Seit zwei | |
| Jahren ist sie in „Las Vegas“. | |
| ## Hunderttausende mussten fliehen | |
| Seit 2016 sind die Bewohner der anglophonen Regionen im [2][Kreuzfeuer | |
| zwischen der Armee und separatistischen Gruppen] gefangen, die | |
| Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch spricht von 6.000 Toten, | |
| Hunderttausende mussten fliehen. Sämtlichen Akteuren werden schwere | |
| Verbrechen vorgeworfen, auch sexuelle Gewalt. | |
| „Gerade erst hat eine junge Frau Zwillinge zur Welt gebracht“, erzählt | |
| Kerin Nkogdem Ngwa, Bewohnerin von „Las Vegas“. Die junge Frau war in der | |
| anglophonen Region vergewaltigt worden und floh nach Douala. „Wir sind | |
| gerade dabei, eine Vereinigung zu gründen, und wollen Frauen, denen | |
| sexuelle Gewalt wiederfahren ist, so besser unterstützen“, erzählt die | |
| siebenfache Mutter. | |
| Die Wurzeln des separatistischen Kampfes reichen bis zur Unabhängigkeit im | |
| Jahr 1961 und der Gründung eines einzigen kamerunischen Staates im Jahr | |
| 1972 zurück. Damals wurden die ehemals britischen und französischen Gebiete | |
| vereint. So erklärt es sich, dass bis heute in den Provinzen Nordwest und | |
| Südwest auch heute noch Englisch gesprochen wird, während der Rest Kameruns | |
| Französisch spricht. | |
| Die sprachliche Barriere und kulturelle Unterschiede, gepaart mit dem | |
| Gefühl, konsequent von der französischsprachigen Regierung in Yaoundé | |
| benachteiligt zu werden, waren Teil einer komplexen Gemengelage, die 2016 | |
| dazu führte, dass Proteste ausbrachen, die 2017 schließlich in einen | |
| bewaffneten Kampf mündeten. | |
| ## Im Sumpfgebiet gelandet | |
| Kerin Ngwa floh 2017 aus ihrer Heimatstadt Bamenda, als dort die ersten | |
| Schüsse fielen. Irgendwann hörte sie von unbewohntem Land am Fluss in | |
| Douala, ein Sumpfgebiet, und bat die Besitzer um Erlaubnis, sich hier | |
| niederzulassen. „So ist Las Vegas entstanden“, erzählt sie. Seither wird | |
| sie auch „Mutter der Vertriebenen“ genannt und ist eine Art | |
| Gemeindevorsteherin. Gibt es Konflikte, schlichtet sie, gibt es | |
| Neuigkeiten, ist es ihre Rolle, sicherzustellen, dass alle informiert sind. | |
| Sie haben sich selbst organisiert, schichten Wälle auf – und haben sogar | |
| Geld zusammengelegt, damit endlich eine Stromleitung in ihr Viertel gelegt | |
| wird. | |
| Ein bisschen Unterstützung habe es durch die Menschenrechtsorganisation | |
| „Reach Out“ gegeben, berichten die versammelten Frauen. Die kamerunische | |
| NGO setzt sich für Frauen und Kinder in Konfliktgebieten ein und | |
| unterstützte auch die Witwen von „Las Vegas“. | |
| Doch seit Dezember 2024 ist „Reach Out“ von der Regierung suspendiert und | |
| sämtliche Aktivitäten liegen brach. Vorgeworfen werden der NGO illegale | |
| Finanzflüsse und Terrorfinanzierung: Wer in den anglophonen Regionen tätig | |
| ist, gerät schnell unter Generalverdacht. | |
| Kerin Ngwa und die Witwen von „Las Vegas“ müssen jetzt also selbst sehen, | |
| wie sie klarkommen. „Unser größtes Problem ist, dass wir zwar im Wasser | |
| leben, aber trotzdem kein Trinkwasser haben“, sagt sie und weist auf die | |
| versumpfte Fläche neben dem Weg. Zu sehen ist dort ein Holzverschlag – das | |
| Plumpsklo – das direkt in den Wassergraben führt. Mit dem verschmutzten | |
| Wasser sind Cholera und Malaria nicht loszuwerden. | |
| ## Angst vor den Wahlen und was danach kommen könnte | |
| Neben der Sorge um Schulgebühren, die Gesundheit ihrer Kinder oder der | |
| Frage, wie man das sumpfige Wasser aus den Holzhütten heraushält, gibt es | |
| jetzt ein weiteres Problem: [3][Kameruns Präsidentschaftswahlen] am 12. | |
| Oktober. „Die Erde wird beben“, prophezeit Kerin Ngwa und macht sich | |
| Sorgen, was wohl an dem Tag passieren wird. Douala ist als | |
| Oppositionshochburg bekannt. Die Sicherheitskräfte dürften hart | |
| durchgreifen, wenn es dazu Anlass gibt. | |
| Aus „Las Vegas“ wird an dem Tag wohl niemand das Viertel verlassen. Auch | |
| nicht, um wählen zu gehen. „Das geht uns nichts an“, heißt es einhellig in | |
| der Frauenrunde. „Ob wir wählen oder nicht, die Frage ist doch eher: was | |
| werden wir essen?“ | |
| UPDATE: Am Tag nach der Wahl bestätigt eine der Bewohnerinnen, dass niemand | |
| Las Vegas verlassen hat, um wählen zu gehen. Dort zu wählen war keine | |
| Option: Las Vegas ist eine informelle Siedlung, wo die Leute nicht gemeldet | |
| sind, und eine Wahlkarte lässt sich nur da ausstellen, wo man registriert | |
| ist. | |
| 15 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Helena Kreiensiek | |
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