# taz.de -- Konflikt im anglophonen Teil Kameruns: Kameruner flüchten nach Nig… | |
> Gewalt im Westen Kameruns treibt immer mehr Menschen in die Flucht nach | |
> Nigeria. UNO und Regierung befürchten, dass die Gewalt übergreift. | |
Bild: Simon Egbile ist aus Kamerun nach Nigeria geflüchet. An eine schnelle R�… | |
ADIKPO taz | Die Straße nach Adikpo ist schlecht und holprig. Immer wieder | |
zwingen Polizeiposten zum Anhalten. Drei Stunden dauert die Fahrt aus | |
Benues Provinzhauptstadt Makurdi bis in die Kleinstadt im Süden des | |
Bundesstaats, danach dauert es eine weitere Stunde, um die Flüchtlinge aus | |
Kamerun zu erreichen. Das letzte Stück ist nicht mehr befestigt, was in der | |
bevorstehenden Regenzeit zu großen Schwierigkeiten führen kann. Schon jetzt | |
ist nicht sicher, ob das alte Auto nicht doch in einer der tiefen Pfützen | |
stecken bleibt. | |
Für Simon Egbile ist das Lager bei Adikpo im Moment dennoch der beste Ort | |
zum Leben. Der Kameruner sitzt vor dem Büro am Eingang des Camps, in dem | |
Mitarbeiter des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) Neuankömmlinge | |
registrieren. Er schaut nach Norden, Richtung Berge. Hinter zwei großen | |
weißen Zelten lassen sich ein paar kleine Häuser erahnen, die noch im | |
Aufbau sind. All das erinnert weniger an ein Camp, sondern mehr an eine | |
neue permanente Siedlung. | |
Ein deutliches Signal: Diese Menschen sind gekommen, um zu bleiben. Der | |
Konflikt in der [1][anglophonen Region Kameruns] wird sich lange hinziehen. | |
1.100 Geflohene leben bereits hier in Adikpo auf der nigerianischen Seite | |
der Grenze, laut UNHCR-Büroleiter Thomas Faustini ist Platz für bis zu | |
1.700 Personen. | |
„Wir und die anderen, die uns dominieren“, sagt der 34-jährige Egbile und | |
fängt an zu erzählen, warum er aus Kamerun geflüchtet ist. Der Grund dafür | |
liege in der Kolonialzeit und dem ersten Jahr der Unabhängigkeit, das 1961 | |
aus einer britischen und einer französischen Kolonie die Bundesrepublik | |
Kamerun machte. Schon bald, so erklärt Egbile, ging die Diskriminierung | |
los. Im französischen Teil leben rund 80 Prozent der Einwohner, im | |
englischsprachigen Südwesten an der Grenze zu Nigeria 20 Prozent. Dort wird | |
schon seit Jahren über ungleiche Chancen, Marginalisierung und zunehmende | |
Frankophonisierung geklagt. Simon Egbile will das nicht mehr hinnehmen und | |
fordert: „Wir wollen unsere Unabhängigkeit.“ Es ist das Wort, das früher | |
oder später in jedem Gespräch fällt. | |
Es fallen auch schwere Anschuldigungen. Simon Egbile spricht von | |
erschossenen Landsleuten und nennt die Namen prominenter | |
Unabhängigkeitsbefürworter. „Sie sind verhaftet worden.“ Dass nach Nigeria | |
geflohene Anführer der anglophonen kamerunischen Unabhängigkeitsbewegung | |
verhaftet und an Kameruns Behörden ausgeliefert wurden, ist auf scharfe | |
Kritik bei Menschenrechtsorganisationen gestoßen. | |
Zudem gibt es Gerüchte, dass sich kamerunische Sicherheitskräfte unter die | |
Flüchtlinge mischen. Es ist ein Grund, weshalb der UNHCR entschied, die | |
Flüchtlinge – mittlerweile hat Nigeria nach eigenen amtlichen Angaben mehr | |
als 21.000 Menschen aus Kamerun aufgenommen, nach UN-Angaben einige Tausend | |
mehr – ins Landesinnere zu bringen. „Würden sie in der Nähe der Grenze | |
bleiben, könnte das für Unsicherheit sorgen. Möglicherweise würden Kräfte | |
der kamerunischen Regierung nach ihnen suchen“, erklärt in Nigerias | |
Hauptstadt Abuja Antonio José Canhandula, UNHCR-Repräsentant in Nigeria. | |
Der Transport der Flüchtlinge ist ein logistischer Aufwand. Weiter in | |
Richtung Osten, also Richtung Kamerun, wird die Straße immer schlechter. Es | |
braucht Zeit und ausreichend Fahrzeuge, um die Menschen aus der Grenzregion | |
nach Adikpo zu bringen. Dabei haben sich viele schon tage- und wochenlang | |
im Wald versteckt und anschließend in Grenzstädten wie Abande ausgeharrt. | |
Simon Egbile hatte es schon einmal bis dorthin geschafft, ging dann aber | |
wieder in seinen Heimatort Akwaya auf der kamerunischen Seite. „Ich wollte | |
nach meiner Familie sehen“, sagt er. Doch als er das Haus der Familie | |
erreichte, war es leer. Was genau passiert ist, weiß er bis heute nicht. | |
## Sie hört noch immer die Schüsse auf ihr Kind | |
Lucy Akwo weiß es hingegen ganz genau. Die 30-Jährige sitzt auf einer | |
Holzbank im Schatten. Auf der Flucht wurde ihr ältestes Kind erschossen. | |
Als sie davon erzählt, steigen ihr Tränen in die Augen. „Seitdem bin ich | |
krank.“ Immer wieder hört Lucy Akwo die Schüsse, die ihr Kind trafen. Wer | |
sie abgefeuert hat, weiß sie nicht, und sie wird es auch nicht erfahren. In | |
Adikpo versucht sie, sich abzulenken und um ihre anderen fünf Kinder zu | |
kümmern. Die gehen mittlerweile sogar in die Schule. Auch das zeigt, dass | |
niemand eine schnelle Rückkehr nach Kamerun erwartet. | |
Die magere Frau würde gerne zurück in die Heimat. „Aber nur, wenn es dort | |
wieder sicher ist“, sagt sie. Verlässliche Informationen dazu dringen kaum | |
aus Kameruns Konfliktgebiet nach draußen. Die für den Herbst geplante | |
Präsidentschaftswahl, bei der Präsident Paul Biya, 85, der seit 1982 an der | |
Macht ist, erneut kandidieren will, wird voraussichtlich nicht zu einer | |
Verbesserung der Sicherheitslage beitragen. | |
In das Kamerun, das er verlassen hat, will auch Simon Egbile nicht zurück. | |
„Jetzt gehen? Das wäre doch wie Selbstmord.“ | |
20 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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