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# taz.de -- Büchner aus der Ferne: Der Tod von Dantons Tod
> Ausgehend von Büchners Geschichtsdrama „Dantons Tod“ haben Monika
> Gintersdorfer und Knut Klaßen in Bremen eine Revolutionsrevue entwickelt.
Bild: Übersetzung als Performance: Büchner in Bremen
Was frappiert, ist: Wie heftig die Büchner-Sätze einschlagen. Die Zoten,
seine an de Sade erinnernden erotischen Fantasien und die pessimistischen
Sentenzen, haben Eingang gefunden in die Performance: „Dantons Tod“, wie
Georg Büchners 1835 vollendetes Geschichtsdrama heißt die zwar. Monika
Gintersdorfer und Knut Klaßen haben aber, wie versprochen, mit ihrem
eigenen Team und mit SchauspielerInnen und Tänzerinnen des [1][Theater
Bremen ein „postkoloniales Theaterstück“] entwickelt.
Das unterhält – Premiere war am Donnerstag – abstrakte, oft eher
assoziative Beziehung zu seinem literarischen Ausgangspunkt. Manchmal
scheint er sogar ganz aus dem Blick geraten. Oder anders: Manchmal wirkt
es, als hätte sich das Ensemble ganz vom historischen Erbe emanzipiert.
Und dann bricht es eben doch, gewaltsam und unkontrollierbar wie
Tourette-Sätze, in die spielerisch-bösartigen Reflexionen über
Kolonialismus und Rassismus ein, die im Stile einer Revue aufeinander
folgen. Möchte man nicht drunter springen, sich die Hosen vom Leibe reißen
und sich über den Hintern begatten wie die Hunde auf der Gasse?
## Die übersehene Revolution
Nüchtern ist die Bühne. Dunkel tapezierte Stellwände formen einen Käfig.
Darauf die oft genug deckungsgleichen Jahreszahlen der französischen und
der – in Deutschland meist ignorierten – haitianischen Revolution sowie
historische Abbildungen ihrer Protagonisten.
Ah, Napoleon!, das Porträt erkennt doch jeder. Das des Kaisers Jean-Jacques
I. Dessalines von Haiti, seines karibischen Pendants hingegen die
wenigsten. Von der bedeutenden Freiheitskämpferin Cécile Faitman gibt es
noch nicht einmal eine bekannte Darstellung, die man überhaupt kennen und
hier anpinnen könnte.
Mit Geschichten der Revolution auf Saint-Domingue, ihrer Ursprünge im
Absolutismus – etwa dem 1685 von Louis XIV. promulgierten „Code Noir“,
dessen Titel historisch und seine Intentionen korrekt übersetzend auf
Deutsch „Negergesetz“ lauten müsste – bis hin zum Neokolonialismus der
Gegenwart hat das Team das Drama um den Tod Dantons flankiert, erweitert
und so lange überschrieben, bis Dantons Tod seine Bedeutung verliert,
ausgelöscht ist.
## Mehrfach symbolisch gelyncht
Sie haben sich eingelesen ins Thema, Justus Ritter hält als begeisterter
Oberschüler ein Wikipedia-Referat über die Rolle des Sklavenhandels für den
Reichtum Europas, wobei er mehrfach symbolisch gelyncht wird, selbstredend
unter „an die Laterne!“-Rufen.
Die stammen auch aus Büchners Drama: Dessen Inhalt wird, en français
évidemment, passagenweise zum Beispiel von Franck Édmond Yao alias Gadoukou
la Star, referiert, kommentiert und ironisch mit Gesten und Tanzschritten
ausgemalt. Ein anderes Teammitglied, etwa Karin Enzler, die eine
sandfarbene Jakobinermütze trägt, übersetzt ins Deutsche, oft mit bewusst
groben Entstellungen: Längst gilt diese Spielpraxis als Markenzeichen, oder
eher Masche von Gintersdorfer/Klaßen-Produktionen.
Hier aber erweist sie sich als besonders sinnhaft, weil sie ein Leitmotiv
Büchners – der drängenden Frage nach der Unmöglichkeit des wechselseitigen
Verstehens – mit dem eigenen Anliegen kurzschließt, der Frage nach so etwas
wie Transkulturation, danach wie sich Sklaverei und Revolution
wechselseitig bedingen. Und danach, wie entscheidend die von Saint Domingue
war für die Selbstvergewisserung und Abgrenzung des europäischen Denkens in
Hegels Dialektik von Herrn und Knecht.
## Heroische Frauen verschwunden
Das ist in den besten Momenten Edutainment vom Feinsten: Analytisch klug,
wo es das Verschwinden der heroischen Frauen – von denen dort doch die
ersten Impulse zum Aufstand ausgegangen waren – aus den haitianischen
Annalen mit der Dämonisierung von Marie-Antoinette und der Beseitigung von
Olympe de Gouges überblendet.
Die verlor ihren Kopf, weil sie gefordert hatte, aus den Männerrechten
echte Menschenrechte, gültig auch für Frauen, zu machen. Und mitunter echt
lustig: Fantastisch schamlos spielt Matthieu Svetchine seine den Normen
männlicher Schönheit nicht unterworfene Körperlichkeit aus. Er lässt sich
in den Schluffi Danton verwandeln, den Büchner in die Zwangsjacke des
Geschichtsfatalismus sperrt.
Und er flippt völlig aus, vor Fremdscham, während er, scheinbar wieder ganz
in Matthieu Svetchine verwandelt, über eine Rede von Nicolas Sarkozy
berichtet, die dieser kurz nach seiner Wahl zum Präsidenten in Senegal
gehalten hatte – und wirkt als hätte er Hermann Lübke überbieten wollen.
Großartig auch die Momente der Aneignung: Irene Kleinschmidt, die man sonst
eher als Spezialistin für zurückgenommene Rollen im Sprechtheater
wahrgenommen hat (wenn überhaupt), entwickelt eine ungeahnt intensive
Präsenz in der Imitation der Moves von Gotta Depri.
## Zwingender Sog bleibt aus
Szenen allerdings, Bilder gar werden eher angetippt als ausgespielt. Die
Tanzeinlagen sind hübsch. Und einen zwingenden Sog vermag der bunte Strauß
Revolutionsgeschichten nicht zu erzeugen.
In anderen Gintersdorfer/Klaßen-Produktionen, wie der vor einem Jahr in
Bremen uraufgeführten Performance „Les robots ne connaissent pas l'amour“
erzeugte den gerade der so permanente wie respektlose Rückgriff auf
tradierten Stoff: Furios zertrümmert wurde hier „Die Entführung aus dem
Serail“, die Oper von Wolfgang Amadeus Mozart und Johann Gottlieb
Stephanie, in liebevollem Hass auf diese Vorlage.
Gegenüber Georg Büchners Historiendrama überhaupt eine solche Haltung zu
entwickeln, gelingt nicht so recht: Er gewittert mitunter und sendet
Sprachblitze ins Bühnengeschehen. Aber dann zieht er auch wieder vorüber.
16 Sep 2016
## LINKS
[1] http://www.theaterbremen.de/de_DE/spielplan/dantons-tod.1090428
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Postkolonialismus
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