# taz.de -- Impulse-Festival in Düsseldorf: Fang schon mal an zu kochen | |
> Auf der Suche nach Einmischung: Politiker, Fabrikarbeiter und geflüchtete | |
> Jugendliche sind auf der Bühne und im Video zu erleben. | |
Bild: Szene aus „Der Botschafter“ vom Regieduo Gintersdorf-Klaßen | |
DÜSSELDORF taz | „He killed my Ma, he killed my Pa, I’ll vote for him“, | |
singen und tanzen elf schwarze und weiße Performer beschwingt den | |
Wahlkampfslogan des Warlords Charles Taylor vor, mit dem er 1997 | |
tatsächlich zum Präsidenten von Liberia gewählt wurde. Zuvor hatte er ganze | |
Volksgruppen ermorden lassen und das Land in neue Krieg geführt. | |
Der Song ist der sinnlich-zynische Höhepunkt eines „deutsch-afrikanischen | |
Singspiels“ von Gintersdorfer/Klaßen. „Der Botschafter“ ist eine Hommage | |
an einen schwierigen Berufsstand und führt zugleich klug die neokolonialen | |
Verstrickungen sowie die Hilflosigkeit von Europäern in Westafrika vor. | |
In rasendem Schnellsprech führt Schauspielerin Anne Tismer die (harten) | |
Berufsanforderungen vor, lässig grundiert von dem Musiker Hans Unstern, | |
bevor die Performer dann ihr Material vorspielen: Interviews mit zwei | |
Botschaftern der Elfenbeinküste, anhand derer in Windeseile die | |
Gewaltherrschaften und Putsche der jüngeren Geschichte Westafrikas vor uns | |
ablaufen. | |
## Diplomat im Dilemma | |
Wie soll man sich dazu verhalten als Diplomat aus Europa – lieber vornehm | |
ignorant heraushalten, wie Herr Soutterain, der sich zu Bach-Musik in seine | |
Residenz zurückzog? Oder „kulturell umarmen“, wie es Herr Ritter mit | |
„blutjunger“ guinesischer Frau und sieben Adoptivkindern versucht? Und was | |
macht man, wenn man mit Warlords und korrupten Herrschern kooperieren muss, | |
wenn Auswärtiges Amt und Thyssen-Krupps Wirtschaftsinteressen es so wollen? | |
Fröhlich werden am fundiert recherchierten Abend die Verstrickungen und | |
Kompliziertheiten vorgespielt und – getanzt, alle dürfen mal Diktator oder | |
Botschafter sein, aus dem Französischen übersetzen oder den Vortänzer | |
geben. Wie kann Europa in Afrika überhaupt eingreifen, und mit welchen | |
Konsequenzen? Eins der Dilemmas ist, so zusammengefasst, der Ursprung | |
gewaltiger politischer Probleme von heute. | |
„Der Botschafter“ ist eine von neun Arbeiten der freien Szene, die Florian | |
Malzacher, Leiter des Impulse Festivals, und seine Dramaturgin Nadine | |
Vollmer mit Hilfe eines Beirats aus über 300 Einsendungen ausgewählt haben. | |
Jährlich findet das wichtigste Festival der freien Szene nun wieder statt, | |
in diesem Jahr liegt das Zentrum in Düsseldorf, zwei andere NRW-Städte | |
nehmen teil. | |
In Köln dreht etwa das New Yorker Künstlerduo „Nature Theatre of Oklahoma“ | |
mit eifriger Zuschauerbeteiligung einen skurrilen | |
Retro-Science-Fiction-Film über „Germany 2071“, unter anderem im Archivloch | |
und der endlosen Opernbaustelle – und bearbeitet damit zugleich zwei | |
Traumata der Stadt. | |
## Besetzte Fabriken | |
Das Impulse-Motto 2016 ist einem Satz des britischen Musikers Brian Eno | |
entlehnt: Start cooking, recipes will follow – erst mal anfangen, das | |
Handeln ergibt sich von selbst. Für Malzacher beschreibt es, wie Künstler | |
sich mit ihren Arbeiten zunehmend politisch positionieren und | |
gesellschaftlich einmischen. Selten war das Impulse-Programm – neben den | |
theatralen Haupt-Acts – so diskursiv und multimedial: Audio-Hörspiele, | |
Symposien, Installationen ergänzen das Programm. | |
Im Foyer des Festival-Zentrums im FFT etwa sieht man, etwas versteckt, die | |
3-Kanal-Video-Installation „Occupy, Resist, Produce“ des österreichischen | |
Künstlers und Polit-Aktivisten Oliver Ressler: monatelang hat er mit Dario | |
Azzellini Erfolgsbeispiele selbstverwalteter Fabriken in Rom, Mailand und | |
Thessaloniki gefilmt, die von Arbeitern besetzt wurden, die sich so gegen | |
ihre drohende Arbeitslosigkeit wehrten. | |
Sie geben zugleich Beispiele, wie es gehen kann, kreativ und konstruktiv | |
aus dem sankrosankten System des Kapitalismus auszuscheren. Das Material | |
ist zwar etwas trocken, doch wenn man sich in die Erzählungen vertieft, | |
spürt man den hoffnungsfrohen, unideologischen Geist des Self Empowerments. | |
## Hinter Phrasen schauen | |
Politisch konkret eingegriffen wird bei den „Impulsen“ aber auch. Die | |
israelische Künstlergruppe „Public Mouvement“ inszeniert im Düsseldorfer | |
Rathaus mit Politikern (inklusive AfD-Vertreter) ein Jahr vor der | |
NRW-Landtagswahl die streng formalisierte Debatte „Kunst Macht Politik“. | |
Jeder Vertreter darf in sieben Minuten darüber referieren, welchen | |
Stellenwert die Kultur für seine Partei hat. Und auch wenn das letztlich | |
nach drei Stunden im Ungefähren verläuft, ist doch aufregend, wie direkt | |
sich Zuschauer und Experten an der Hinterfragung politischer Phrasen | |
beteiligen können. | |
Vom Mischen gesellschaftlicher Sphären lebt „Evros Walk Water“ von | |
Rimini-Protokoll. Darin spielt das Publikum selbst – frei nach John Cages | |
dreiminütigem Stück „Water Walk“ – ein Konzert, mit Schlauchboten, | |
Plastikgewehren, Gießkannen und Gongs. Die Anweisungen dazu geben über | |
Kopfhörer 15 Flüchtlingsjungen – in einem Heim im Zentrum von Athen | |
gestrandet – und erzählen nebenbei, woher sie kommen, wie die Flucht war, | |
was sie so für Musik hören und wie sich ihr Alltag heute anfühlt. | |
## Schicksal ist letztlich Zufall | |
Der Gefahr, eins von so vielen Flüchtlings-Rührstücken auf deutschen Bühnen | |
zu werden, entgeht Rimini-Protokoll dadurch, dass sie die Protagonisten | |
durch die Zuschauer vertreten lassen – Schicksal ist letztlich Zufall. | |
Zwar erschließt sich künstlerisch nicht zwingend, warum sie das | |
Cage-Konzert dazu brauchen, um aus dem Alltag geflüchteter Jugendlicher zu | |
erzählen, die über Kopfhörer cool, selbstbestimmt, frech und fröhlich | |
rüberkommen. In deren Leben haben sie aber vermutlich schon etwas zum | |
Positiven gewendet. Nach der ersten Hälfte des Festivals kann man sagen: | |
Nachdem Malzacher die etwas betuliche Preisverleihung abgeschafft hat und | |
engagiert kuratieren lässt, gelingt es den „Impulsen“ zunehmend, sich als | |
anregender Thinktank zu etablieren – darüber, wie Kunst gesellschaftlich | |
eingreifen kann. | |
22 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Marcus | |
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