| # taz.de -- Theaterfestival Impulse in Köln: Ein entschiedenes Jein | |
| > Das Theaterfestival Impulse startet in Köln unter neuer Leitung. Es | |
| > stellt in NRW die freie deutschsprachige Performanceszene vor. | |
| Bild: Performance „Zwei Minuten Stillstand“ von Yael Bartana. | |
| Der neue künstlerische Leiter der „Impulse“, Florian Malzacher, und die | |
| Dramaturgin Stefanie Wenner stellten das Festival unter das Motto „Under | |
| the influence“. Der Wettbewerb ist abgeschafft, und von einem | |
| „Bestentreffen“ wie in den vergangenen Ausgaben, zuletzt geleitet von Tom | |
| Stromberg und Matthias von Hartz, ist auch nicht mehr die Rede. Anders als | |
| bislang sind nicht nur schon fertige Produktionen aus dem deutschsprachigen | |
| Raum eingeladen. | |
| Ein Open Call erlaubte, neben schon existierenden Arbeiten auch solche | |
| einzureichen, die erst im Entstehen waren. Die Folge: Impulse tritt bei | |
| einigen der 14 Festival-Produktionen als Koproduzent auf und hat eine | |
| Arbeit eigens beauftragt. Das ist neues Selbstverständnis und | |
| veranschaulicht Malzachers Vorstellung der „Impulse“ als „Lobbyist der | |
| freien Szene“. | |
| Die Auftragsarbeit von Malzacher und Wenner ging an die in Israel geborene | |
| und in Berlin lebende Künstlerin Yael Bartana – und traf gleich voll ins | |
| Schwarze des Festivalkonzepts. So unterschiedliche Organe wie die Welt und | |
| [1][die taz] hatten Bartanas Konzeptperformance „Zwei Minuten Stillstand“ | |
| schon vor dem eigentlichen Aufführungstermin scharf kritisiert. | |
| Bartana verlegt den israelischen Holocaust-Gedenktag Jom haSho’a nach Köln. | |
| Neben dem Gedenken an den Holocaust und seine Folgen will sie – als | |
| Migrantin – den Rassismus in der deutschen Gesellschaft der Gegenwart, zum | |
| Beispiel die Morde des NSU, diskutiert wissen. Um 11 Uhr sollte die Stadt | |
| zwei Minuten stillstehen. Dazu gab es zwei zentrale Schweigeorte, die | |
| Keupstraße im Stadtteil Mülheim, Ort des NSU-Nagelbombenattentats 2004, und | |
| den Platz vor dem Kölner Dom. | |
| ## Am Dom wurde geschwiegen | |
| Gemessen an den geschätzt höchstens 500 Menschen auf der Domplatte, die | |
| sich beteiligt haben, war die Aktion dort ein Misserfolg. Pünktlich spielte | |
| eine große Gruppe von Blechbläsern einen schrillen zweiminütigen Ton, | |
| abgeleitet von den Sirenen, die am Jom haSho’a in Israel heulen. | |
| Am Dom wurde auch geschwiegen. Aber eine proisraelische Gruppierung | |
| protestierte tanzend und stimmte die Nationalhymne des Landes an. Der | |
| Vorwurf: Instrumentalisierung des Holocaust zu israelkritischen Zwecken. | |
| Später, bei einer Podiumsdiskussion, formulierte der Rassismusforscher Mark | |
| Terkessidis etwas sehr apodiktisch weitere Kritik an Bartanas Projekt. Ihm | |
| seien die politischen Konsequenzen der Aktion völlig schleierhaft. | |
| Allerdings wusste er nichts von den vielfältigen Begleitmaßnahmen des | |
| Projekts. | |
| ## Nachdenken über Rassismus in Deutschland | |
| Es gab um Teilnahme werbende Diskussionen an Schulen oder Gespräche mit der | |
| Interessengemeinschaft Keupstraße, die, so Bartanas Seite, sehr | |
| unterstützend reagiert habe. Vergegenwärtigt man sich das Ausmaß an konkret | |
| geführten Diskussionen über genau den Inhalt der Aktion – Nachdenken über | |
| Rassismus in Deutschland –, fällt eine Parteinahme zugunsten politischer | |
| wie zionistischer Kritik nicht mehr so leicht. | |
| Beim Festivalauftakt in Köln waren mit Gesine Danckwarts Bar-Installation | |
| „Chez Icke“ und Cecilie Ullerup Schmidts und Matthias Mepperlink | |
| choreografischer Lecture „Schützen“ über das Verhältnis von Körper und | |
| Waffe auch zwei Arbeiten zu sehen, die bereits am HAU in Berlin zu sehen | |
| waren. In NRW kannte man „Der (kommende) Aufstand nach Friedrich Schiller“ | |
| von andcompany&co. Das Team zeigt einen lustvoll-wilden Parforceritt durch | |
| die Geschichte der Aufstandstexte und -parolen seit Schillers in dieser | |
| Hinsicht halbgarem „Don Carlos“. | |
| Ausgehend von der Auflehnung der Niederländer vor bald 450 Jahren gegen die | |
| spanischen Herrscher schleudert dieses kraftvolle Kopf- und Körpertheater | |
| Streitschriften wie den „Kommenden Aufstand“ oder die Vorläufer und | |
| aktuellen Versionen von „Occupy“ gut agitatorisch ins Publikum. Man könnte | |
| sagen: Ach was, politisches Theater ohne praktische Folgen! Korrekt. Aber | |
| so muss man Revolte und Vergeblichkeit erst mal auf den Punkt bringen. | |
| ## Überflutung unserer Wahrnehmung | |
| „Teenage Lobotomy“ des Schweizer Theatermachers Christian Carcia brachte | |
| zwei reglos spielende Performer, zwei E-Gitarren, viele Kabel, Effektgeräte | |
| und fette Boxen auf die Bühne. Es geht um die Regulierung und Überflutung | |
| unserer Wahrnehmung durch die optischen Bildmedien. „Seeing ist believing“ | |
| heißt eine der Texteinblendungen. Zu repetitiven und geloopten | |
| Gitarrenklangschleifen laufen im Hintergrund TV-Bilder aus Zeit- und | |
| Kunstgeschichte. | |
| Lacan, Militärparaden, die Ramones – mediale Gehirnwäsche, zu der der | |
| Performer Eduard Mont de Palol unvermittelt von seinem und Garcias | |
| Großvater erzählt. Beide haben gegeneinander im Spanischen Bürgerkrieg | |
| gekämpft, der eine bei den Faschisten, der andere bei den Republikanern. | |
| Ist das nun die Wahrheit und bedeutsam? Im dritten Teil dieses Metakonzerts | |
| versinken die beiden Performer-Gitarristen und nicht wenige Zuschauer im | |
| traumgleichen Mix aus immer dunkelroter werdendem Licht und Sound. Eine | |
| merkwürdige Erfahrung von David Lynch-hafter Qualität. | |
| Was bleibt von Florian Malzachers neuer Inhaltsoffensive für die Impulse? | |
| Gemessen am Kölner Auftakt ein entschiedenes Jein. Der Ansatz, nicht mehr | |
| nur eine Bestenschau zu liefern, sondern inhaltlich nach der Rolle | |
| kultureller Einflüsse auf eigene Identität und Produktion zu fragen, kann | |
| den Blick auf die gezeigten Produktionen durchaus schärfen. Gleichzeitig | |
| wird man das Gefühl nicht los, dass viele der 2013 gezeigten Arbeiten auch | |
| auf den Vorgänger-Festivals von Stromberg und von Hartz hätten laufen | |
| können. | |
| Der Eindruck der ewigen Wiederkehr des variierten Gleichen – aber deshalb | |
| gar nicht Schlechten – ist auch bei diesem Theaterfestival-Beginn nicht so | |
| ganz von der Hand zu weisen. Auf also nach Bochum, Düsseldorf und Mülheim | |
| an der Ruhr, wo es weitergeht. | |
| 2 Jul 2013 | |
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| [1] /Yael-Bartanas-Kunstaktion-in-Koeln/!118800/ | |
| ## AUTOREN | |
| Alexander Haas | |
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