# taz.de -- Hybride-Musik: Geld verschleudern | |
> KünstlerInnen aus Deutschland und der Elfenbeinküste kreuzen den | |
> ivorischen Musikstil Coupé-Décalé mit Electro. Neu ist die Kombination | |
> von Poseur und Politik. | |
Bild: Melissa Logan und Gadoukou la Star bei einem Fashion Videodreh. | |
Auf die Telefonverbindung Berlin-Abidjan ist kein Verlass. Es tutet | |
Ewigkeiten ins Leere. Nach mehreren gescheiterten Versuchen kreischt dann | |
eine Stimme, die klingt aber so weit entfernt, als würde man auf dem Mond | |
anrufen. Das Knistern in der Leitung verwandelt die wenigen übertragenen | |
Worte in unverständlichen Brei. Es ist zum Verzweifeln. | |
Doch mit Glück lassen sich Phasen erwischen, in denen plötzlich alles prima | |
funktioniert. "Hier spricht Franck Edmond Yao" – aka Gadoukou la Star – und | |
schon redet er los: Der 31-jährige Coupé-Décalé-Sänger und -Choreograf | |
erklärt, dass Musik machen ohne Tanzbezug unmöglich ist, "weil unser | |
Publikum tanzt". | |
Nachdem er auf diesen kulturellen Unterschied hingewiesen hat, schwärmt er | |
auch schon von der deutsch-ivorischen Kooperation, aus der das Album | |
"Couper Decaler électronique" entstanden ist: "An der Elfenbeinküste müssen | |
wir den Geschmack unseres Publikums berücksichtigen. Aber bei diesem Album | |
konnten wir uns austoben und frei experimentieren." | |
Coupé-Décalé war von Anfang an eine gewagte Mischung. Im Paris des Jahres | |
2003 wurde die Musik- und Tanzbewegung von einer Gruppe Exilivorer | |
begründet, allesamt DJs, die der Krise in ihrer Heimat entflohen waren. Die | |
Musiker, die sich "La Jet Set" nannten, wurden durch ihren extravaganten | |
Modestil und große Mengen von Bargeld bekannt, die sie ihrem Pariser | |
Publikum jeweils über die Tanzfläche hinweg zuwarfen. Kreativ waren sie | |
auch, was die Tanzschritte angeht. | |
Etwa "Guantánamo", einen Move, der das Tragen von Handschellen imitiert, | |
oder "Grippe aviaire" (Vogelgrippe), am Besten beschrieben durch | |
frenetisches Körper-Schütteln. Sobald die Zuschauer sich von den Schritten | |
und Bewegungen zum Nachtanzen animieren ließen, war der kommerzielle Erfolg | |
des jeweiligen Songs gesichert. | |
## Der Ruch des Kriminellen | |
Der mit Coupé-Décalé zelebrierte Ruhm und sein zur Schau gestelltes | |
hedonistisches, luxuriöses Leben sind offensichtlich, die finanziellen | |
Quelle dieser Prunksucht blieb dagegen unklar. Anfangs wurden in den Songs | |
oft diejenigen besungen, die mit unlauteren Mitteln ein Vermögen erworben | |
hatten. Das hinter der Musik etwas – freundlich ausgedrückt – | |
Kleinkriminelles steckt, war Teil der Inszenierung: Im ivorischen Slang | |
Nouchi bedeutet "couper" betrügen, "décaler" davonlaufen. "Frankreichs | |
Sozialsystem ausnützen und Abflug", wurde oft diese Kombination | |
interpretiert. | |
"Wenn es in Paris regnet, ist es feucht in Abidjan", erklärt Franck Edmond | |
Yao am Telefon. Coupé-Décalé strahlte zurück zu seinen Ursprüngen und | |
eroberte auch die Rue Princesse, Abidjans berühmte Partymeile. Wenn | |
zunächst wenige den Lebensstil der elektronischen Tanzmusik guthießen – er | |
gilt bis heute als Schmuddelkind der afrikanischen Popmusik – avancierte | |
Coupé-Décalé schnell zu einem der populärsten Stile in ganz Westafrika. | |
Die Theaterregisseurin Monika Gintersdorfer, die die deutsch-ivorische | |
Kollaboration in die Wege geleitet hat, ist nur durch Zufall auf diese | |
Szene gestoßen. In Hamburg lernte sie den ivorischen Modedesigner Bobwear | |
kennen, der sie zu Musik- und Tanzshows mitnahm. "Mir gefiel sofort, dass | |
die Musik von Angebern gemacht wird, die bei jeder Gelegenheit rhetorisch, | |
gesanglich und tänzerisch performen können", erzählte sie im Missy-Magazin. | |
Wagemut und Spinnertum, wobei es nie um Perfektion geht, sondern um | |
Behauptung und Stil, das habe sie als Regisseurin beeindruckt. | |
## Wer ist Othello? | |
Seit 2005 arbeiten Gintersdorfer und ihr Projektpartner Knut Klaßen mit | |
ivorischen Künstlern, insbesondere mit Franck Edmond Yao. Anfangs konnte | |
die in ihren Stücken thematisierte Staatskrise an der Elfenbeinküste das | |
deutsche Publikum kaum begeistern – zu komplex, zu gewöhnungsbedürftig der | |
Improvisationsstil der Darsteller. Einen Volltreffer landete das Kollektiv | |
erst 2008 mit dem Stück "Othello, cest qui?", in dem Franck Edmond Yao und | |
die Schauspielerin Cornelia Dörr ihre jeweilige Sicht auf das | |
Shakespearesche Original zeigen. | |
Preis- und Subventionsgelder wurden sofort in den Dialog mit Abidjan | |
reinvestiert. Im April 2010 gelang es Gintersdorfer/Klaßen, in Deutschland | |
beheimatete KünstlerInnen wie etwa Chicks-on-Speed-Bandmitglied Melissa | |
Logan, das deutsch-britische Performance-Kollektiv Gob Squad oder den | |
Musiker Ted Gaier (Goldene Zitronen) zu neuen Kooperationen nach Abidjan | |
einzuladen. Theaterperformances und Dokumentarfilme sind dabei entstanden, | |
aber auch Songs. | |
Darunter ist auch "Totaler Spinner", eine Kollaboration von Sänger Shaggy | |
Sharoof, dem Produzent Elvis Seconde und dem Hamburger Duo Jacques | |
Palminger & Erobique. In "Totaler Spinner" singt Sharoof | |
Coupé-Décalé-Elemente nach – damit seine deutschen Kollegen erst mal | |
verstehen, wo der ivorische Hammer hängt. | |
Die Produktionsbedingungen erwiesen sich für die deutschen Musiker - viele | |
waren zum ersten Mal in Afrika – als Kulturschock. "Ewig mussten wir | |
herumtelefonieren, nach Produzenten suchen, umherfahren, warten, sich | |
verständigen", erzählt Melissa Logan von Chicks on Speed. "Das war | |
körperlich sehr anstrengend." Ihr kam es teilweise sogar gelegen, dass sie | |
kein Französisch versteht, denn "die Jungs waren echt rough. Und die paar | |
Frauen des Coupé-Décalé waren alle gerade auf Tour – oder extreme Divas". | |
Genau diese Poser-Attitüde hingegen gefiel Ted Gaier, der sich an seine | |
eigene Punk-Zeit erinnert fühlt: "Man kommt rein, wird vom DJ begrüßt, | |
spielt den unnahbaren Typ und überlegt ganz genau, zu welchem Song man die | |
Tanzfläche entjungfert", witzelt er. Gaier schenkte die Reise eine | |
Offenbarung: "Unser Verständnis von Beat ist viel offener, aber auch | |
dilettantischer. Der Coupé-Décalé beruht dagegen auf exakt | |
vorgeschriebenen, traditionellen Kodierungen", erzählt er. "Die Ivorer sind | |
in ihrer Arbeitsweise stärker formatiert. Dazu sind wir im Vergleich | |
musikalische Analphabeten." | |
## Politik war ein Tabu | |
In Europa wurde die Kooperation mit Logan und Gaier fortgesetzt, nicht ohne | |
Komplikationen. Bei jeder Gelegenheit wurden zwar neue Songs produziert, | |
wie etwa beim Festival "Rue Princesse" im Berliner Haus der Kulturen der | |
Welt oder während des Donaufestivals in Österreich. Aber so richtig | |
reibungsfrei lief das gemeinsame Musizieren nie. Die in Europa entstandenen | |
Songtexte basierten fast alle auf den von Gintersdorfer inszenierten | |
Theaterstücken, die sich oft auf die angespannte politische Lage der | |
Elfenbeinküste beziehen. | |
Ein Tabu wurde hiermit gebrochen, nämlich dass Coupé-Décalé sich von | |
politischen Diskursen fernzuhalten hat. Dem Sänger Skelly ist es | |
schwergefallen, das Leid seines Volkes musikalisch zu interpretieren, | |
dennoch fehlt seinem Song nichts an der frivolen Originalität und | |
subversiven Frechheit vom Coupé-Décalé. | |
"Hell Before Hell" (Hölle vor der Hölle) bezieht sich auf den | |
liberianischen Diktator Samuel Doe, von dessen Hinrichtung 1990 bald Videos | |
in ganz Westafrika kursierten. Für den Videoclip ließ sich der Sänger auf | |
einem Zahnarztstuhl ablichten. | |
Der ivorische Präsident Laurent Gbagbo wollte 2010 sein Amt nicht aufgeben, | |
obwohl er bei den Wahlen verlor. Die Folge war ein fünfmonatiger | |
Bürgerkrieg, der mehr als 3.000 Todesopfer forderte. Darauf bezieht sich | |
der Song "Place" von Franck Edmond Yao, in dem Menschen im Klubkontext | |
indoktriniert werden, ihren gesellschaftlichen Platz zu verteidigen. Ein | |
Kampf um die beste Positionierung vor dem Spiegel neben der Tanzfläche als | |
Parallele mit der Selbstverliebtheit und dem Sitzfleisch des Präsidenten. | |
An "Hell Before Hell" werkelten und mischten mit: Skelly, Logan, Gaier, | |
Gintersdorfer und Champy Kilo. Für die Ivorer, die ihre Musikerkarriere | |
sonst einzelgängerisch durchboxen, war die kollektive Arbeit | |
gewöhnungsbedürftig. "Es gab oft Diskussionen und Unmut", berichtet Gaier, | |
und fragt vorsichtig: "Wir sind keine Band, das Ganze ist kein Sampler, was | |
ist das eigentlich für ein Format?" | |
Darüber, ob das entstehende Album überhaupt Erfolg haben kann, wurde in der | |
Runde dagegen nie gesprochen. "Die Leute in Europa sind hungriger nach | |
neuen Beats und Klängen", meint Ted Gaier. Auch Franck Edmond Yao zeigt | |
sich zuversichtlich: "Unser Publikum in Abidjan misstraut dem Neuen, aber | |
es vertraut uns. Wir werden es schon für unseren gemeinsamen Sound | |
begeistern." | |
Various Artists "New Black: Couper Decaler Électronique" (Buback/Indigo) | |
12 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Elise Graton | |
## TAGS | |
Politisches Theater | |
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