# taz.de -- NEUES DOMIZIL: Medea im Umzugsstress | |
> Mit einem temporeichen Assoziationskonzert zum Medea-Mythos eröffnen die | |
> Jungen Akteure ihre erste Saison im Brauhauskeller. | |
Bild: Calendal Klose, Nicolai Gonther und Sarah Bongartz spielen Jason, Medea, … | |
So viel Umzug war nie bei den Jungen Akteuren. Das Theaterkontor an der | |
Schildstraße haben sie verlassen. Verlassen müssen? Leiterin Nathalie | |
Forstmann spricht von einer „herzlichen Einladung“ des neuen Intendanten | |
Michael Börgerding, die Theaterschule ab sofort im Brauhauskeller zu | |
beheimaten. „Die Nähe bietet große Vorteile.“ | |
Dass man nun der Moks-Leitung untergeordnet ist, sei keine Degradierung. | |
„Wir haben Möglichkeiten zum Austausch gewonnen“, so Forstmann. Verloren | |
ging indes die Planstelle für Öffentlichkeitsarbeit und alle Orga-Kram. Die | |
Jugendlichen aber haben ihren Umzugsfuror für die diesjährige | |
TANK-Produktion genutzt. | |
Dieses Format (TANK = Trotz aller negativer Kritik), in dem junge | |
Theatermacher selbstständig einen Theaterabend entwickeln, gibt’s seit | |
Gründung der Jungen Akteure. Diesmal hat Regisseurin Franziska Faust die | |
Leitung übernommen. Das Stück, das sie mit Dramaturgin Jasmin Schädler und | |
einem Ensemble von sieben SpielerInnen entwickelt hat, heißt „Für immer, | |
Medea“ – und Umzugsutensilien geben das Bühnenbild ab. | |
Die Titelheldin zieht allerdings nicht freiwillig um: Die Königstochter aus | |
Kolchis verrät ja ihren Vater und tötet den Bruder, um dem geliebten | |
Fremdling Jason das Goldene Vlies zuzuschanzen. Das Paar muss dann ganz | |
schnell umziehen, landet in Korinth, wo Jason Medea verlässt. | |
Die bedingungslos Liebende wird bedingungslos Hassende, tötet die Neue | |
ihres Ex sowie die eigenen Kinder. In der Literatur wird Medea seither | |
dämonisiert, psychologisiert, verteidigt oder auch als Heldin des | |
Feminismus gefeiert. gefeiert. Ein Mythos. Was der in ihnen auslöst, zeigen | |
die Jungen Akteure – als temporeiches Assoziationskonzert. Warum ist die | |
Welt so schlecht, wird gefragt, was bedeutet uns Theater, wie muss ein | |
guter Vater sein, wozu Eifersucht, wer will Inhalt wenn’s Bespaßung gibt, | |
hat das Mutter-Vater-Kind-Lebensmodell ausgedient? Party-Gesprächsfetzen, | |
Facebook-Geplauder. | |
Charmant, ernsthaft, pointiert und mit betont lockerer Witzigkeit wird sehr | |
viel an-, nichts so richtig aufgerissen: So wie beim Erkunden des | |
Brauhauskellers durch die neu eingezogene Theaterspiel-WG könnte es zugehen | |
beim Einrichten der ersten eigenen Wohnung. Regisseurin Faust setzt dabei | |
ästhetisch auf das, was die Bremer Tanz-Artists in Residence, Monika | |
Gintersdorfer und Knut Klaßen, vorgeführt haben: Wegfall der Grenzen | |
zwischen Alltag und Theater, gespielt wird in direkter Ansprache zum | |
Publikum, Rollen sind trotz aller ironischen Distanz stets die eigenen. | |
Mythos- und Geschichtswissen sowie die Kunst funktionieren als | |
Energiequellen zum nachdenklichen Reden – über sich selbst. Und wenn der | |
Kopf neugierig vor sich hin arbeitet, soll der Körper nicht faulenzen. So | |
wird „Medea“ auch gesungen und getanzt: chorisch stampfend à la | |
Einar-Schleef, wedellustig als Eurythmie-Darbietung, mit schlagerrosa | |
Popchoreografie. | |
Ja, der Abend könnte wohl auch „Hamlet“ heißen, „Ghandi“, oder„Occu… | |
ich“: Es geht jugendlich-lässig und herzig anregend um geistige und | |
emotionale Umzugsbewegungen – letztlich als eine Expedition zur großen | |
Frage: Wie wollen wir leben? | |
23 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
## TAGS | |
Postkolonialismus | |
Moks | |
Bremen | |
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