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# taz.de -- Kolonialverbrechen an Herero und Nama: Scharfer Protest
> Deutschland erkennt den Völkermord an Herero und Nama an und spricht von
> einer Einigung mit Namibia. Herero-Führer lehnen die Vereinbarung ab.
Bild: „Paramount Chief“ der Herero, Vekuii Rukoro, bei einem „Reparation …
Berlin taz | Die Bundesrepublik Deutschland erkennt erstmals offiziell den
Völkermord an, den deutsche Truppen ab 1904 im heutigen Namibia an den
Völkern der Herero und Nama begangen hatten, um einen Aufstand gegen die
Kolonialherrschaft im damaligen Deutsch-Südwestafrika niederzuschlagen.
„Wir werden diese Ereignisse jetzt auch offiziell als das bezeichnen, was
sie aus heutiger Perspektive waren: ein Völkermord“, erklärte das
Auswärtige Amt in Berlin am Freitag. „Im Lichte der historischen und
moralischen Verantwortung Deutschlands werden wir Namibia und die
Nachkommen der Opfer um Vergebung bitten.“
Aus deutscher Sicht sind damit die mehr als fünfjährigen Verhandlungen
zwischen Deutschland und Namibia über eine Anerkennung des ersten
Völkermords des 20. Jahrhunderts und dessen Konsequenzen zu einem guten
Ende gekommen. Man habe eine „Einigung über den gemeinsamen Umgang mit dem
dunkelsten Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte“ erzielt, führt das
Auswärtige Amt aus.
Zum Inhalt der Einigung heißt es: „Als Geste der Anerkennung des
unermesslichen Leids, das den Opfern zugefügt wurde, wollen wir Namibia und
die Nachkommen der Opfer mit einem substanziellen Programm in Höhe von 1,1
Milliarden Euro zum Wiederaufbau und zur Entwicklung unterstützen. Bei
dessen Gestaltung und der Umsetzung werden die vom Völkermord betroffenen
Gemeinschaften eine entscheidende Rolle einnehmen. [1][Rechtliche Ansprüche
auf Entschädigung] lassen sich daraus nicht ableiten.“
Bereits vergangene Woche hatte der deutsche Verhandlungsführer Rupert
Polenz (CDU) erklärt, man habe sich geeinigt. Worauf genau, sagte er aber
nicht, und die getroffene Vereinbarung ist nach wie vor nicht
veröffentlicht. Nach namibischen Berichten wurde die Einigung am 15. Mai
erzielt, zum Abschluss der neunten deutsch-namibischen Verhandlungsrunde.
## Erster Schritt
In Namibia sind die Reaktionen zurückhaltend bis ablehnend, und von einer
endgültigen Einigung ist nicht die Rede. Von einem „ersten Schritt“ sprach
Alfredo Hengari, Sprecher von Namibias Präsident Hage Geingob.
Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP sage Hengari am Freitag: „Die
Anerkennung Deutschlands, dass ein Völkermord begangen wurde, ist der erste
Schritt in die richtige Richtung“. Zwei Tage zuvor hatten ihn lokale Medien
mit der Mitteilung zitiert, die „Sache“ sei im Kabinett behandelt worden
und „der Präsident wird über die erste Phase des Prozesses Bericht
erstatten und mit den betroffenen Gemeinschaften Schritte diskutieren“.
Die betroffenen Gemeinschaften – [2][Namibias Herero und Nama, also die
Nachkommen der Überlebenden des Völkermords] – lehnen das bisherige
Verhandlungsergebnis scharf ab und haben Proteste im Parlament angekündigt,
sollte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Namibia reisen, um das
Abkommen zu unterzeichnen.
„Deutsches Völkermordangebot, eine Beleidigung'“ titelte am Freitag
Namibias führende unabhängige Tageszeitung Namibian. Laut namibischen
Presseberichten sollen die 1,1 Milliarden Euro aus Deutschland über 30
Jahre gestreckt werden und lediglich in bereits bestehende staatliche
Entwicklungspläne der namibischen Regierung einfließen.
## Nicht von der Regierung vertreten
Hauptproblem ist, dass wichtige Führungspersönlichkeiten der Herero und
Nama, die in Namibia der politischen Opposition zuneigen, sich nicht von
der namibischen Regierung vertreten sehen und sich von den Verhandlungen
mit Deutschland ausgeschlossen fühlen. Das Auswärtige Amt sagt, „Vertreter
der Gemeinschaften der Herero und Nama waren auf namibischer Seite in die
Verhandlungen eng eingebunden“. Wie Kritiker anmerken, heißt „eingebunden�…
allerdings nicht, dass sie auch mit dem Ergebnis „einverstanden“ waren.
Die beiden Dachverbände der traditionellen Herero- und Nama-Führer, die
Ovaherero Traditional Authority (OTA) und die Nama Traditional Leaders
Association (NTLA), lehnten das Verhandlungsergebnis bereits am Mittwoch
auf einer Pressekonferenz ab, da es lediglich eine Versöhnung zwischen zwei
Regierungen darstelle, aber nicht die betroffenen Gemeinschaften
einschließe und keine Reparationen beinhalte. „Dies genügt nicht für das
Blut unserer Ahnen“, sagte der „Paramount Chief“ der Herero, Vekuii Rukor…
„Wir werden bis zur Hölle gehen und wieder zurück, um zu kämpfen.“
Rukoro war 2015 nach Deutschland gereist, um seine Forderung nach
Entschädigung offiziell zu präsentieren, war aber nicht offiziell empfangen
worden. Die Bundesregierung hat Direktgespräche mit den betroffenen
Gemeinschaften immer abgelehnt und gesagt, ihr Verhandlungspartner sei
Namibias Regierung. Sie hat auch immer wieder darauf geachtet, dass aus
einer Anerkennung des Völkermordes keine „Rechtsfolgen“ entstehen, also
juristische Ansprüche auf Entschädigung.
Aus Angst vor solchen finanziellen Konsequenzen hatte sich bis jetzt die
Bundesregierung vor einer offiziellen Anerkennung gedrückt. 2004 hatte die
damalige Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) als
erstes deutsches Regierungsmitglied überhaupt bei einem Namibia-Besuch das
Wort „Völkermord“ für die Ereignisse von 1904 verwendet, was dann aber
folgenlos blieb.
## Position unverändert
Zed Ngavirue, der Verhandlungsführer der namibischen Regierung bei den
Gesprächen mit Deutschland, wies die Herero-Vorwürfe zurück. Es sei immer
klar gewesen, dass Deutschland „nicht in der Lage ist, unsere Verluste
wiedergutzumachen“, sagte er laut namibischen Presseberichten. „Die
Deutschen haben auf das reagiert, was wir auf den Tisch gelegt haben.“
Präsidentensprecher Hengari sagte, die offizielle Position Namibias bleibe
unverändert: „Deutschland muss anerkennen, dass ein Völkermord stattfand,
danach muss es eine Entschuldigung geben, und dann Reparationen für die
betroffenen Gemeinschaften.“
In Deutschland erklärte die Aktivistenvereinigung „Berlin Postkolonial“,
die sich für die Aufarbeitung deutscher Kolonialverbrechen einsetzt, die
Vereinbarung werde keine Versöhnung stiften, sondern „Frustration und
Unfrieden“. Nach wie vor erkenne Deutschland den Völkermord in Namibia
nicht völkerrechtlich – also mit einer Wiedergutmachungspflicht – an,
„vielmehr stellt es seine Leistungen gegenüber Namibia als freiwillige
Hilfsaktion dar“.
28 May 2021
## LINKS
[1] /Genozid-an-Herero-und-Nama/!5702260
[2] /Kommentar-Deutschland-und-die-Hereros/!5592723
## AUTOREN
Dominic Johnson
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