# taz.de -- Völkermord an Herero und Nama: Entschuldigung genügt nicht | |
> Deutschland erkennt den Völkermord an den Herero und Nama in Namibia an. | |
> Was fehlt, ist eine „moralische und materielle Wiedergutmachung“. | |
Bild: Bundesaußenminister Maas gibt Deutschlands Anerkennung des Völkermords … | |
Namibia und Deutschland haben Medienberichten zufolge ein | |
[1][„Versöhnungsabkommen“] unterzeichnet. Demnach entschuldigt sich die | |
deutsche Regierung für den kolonialen Völkermord von 1904 bis 1908. Das | |
Abkommen umfasst Zahlungen von mehr als einer Milliarde US-Dollar – zahlbar | |
über einen Zeitraum von 30 Jahren – sowie die öffentliche Anerkennung des | |
Völkermords. | |
Erwartungsgemäß haben traditionelle Führer der OvaHerero und Nama, darunter | |
auch Befürworter der Verhandlungen, diese „Versöhnung“ öffentlich als | |
unzureichend und beleidigend abgelehnt. Der volle Text der Vereinbarung | |
liegt noch nicht öffentlich vor. Gerüchten zufolge will Bundespräsident | |
Frank-Walter Steinmeier nach Namibia reisen und vor dem Parlament eine | |
Entschuldigung aussprechen. | |
Das wäre der zweite Versuch einer deutschen Regierung, Reue für die | |
Verbrechen an den OvaHerero und Nama zu demonstrieren. Schon 2004 | |
entschuldigte sich die damalige Ministerin für Wirtschaftliche | |
Zusammenarbeit, [2][Heidemarie Wieczorek-Zeul, bei einer Rede in Ohamakari | |
in Waterberg]. Allerdings schwächte Berlin die Entschuldigung damals ab: | |
Die Ministerin habe nicht für die Regierung gesprochen, hieß es. | |
Ironischerweise bot die Bundesregierung damals der namibischen Regierung | |
einen sogenannten Sonderfonds an, um an die betroffenen Gemeinschaften | |
„Sozialhilfen“ als eine Art Wiederaufbau oder Wiedergutmachung zu | |
verteilen. Die Gelder sind bis heute nicht verbucht. In den Gebieten der | |
meisten betroffenen Gemeinschaften gibt es keine wesentlichen | |
wirtschaftlichen Fortschritte. Sie sitzen weiter auf dem Trockenen. Eine | |
wirksame Entschuldigung muss vier Ansprüchen genügen. | |
## Betroffene Gemeinden sitzen auf dem Trockenen | |
Erstens: Der Täter muss das begangene Verbrechen vollumfänglich anerkennen. | |
Zweitens: Er muss erklären, warum und wie sein Verhalten den Opfern Schaden | |
zugefügt hat. Um Vertrauen zu schaffen und eine Versöhnung zu ermöglichen, | |
muss er garantieren, dass es keine Wiederholung der Verbrechen geben wird. | |
Drittens: Es muss einen ehrlichen Ausdruck von Reue geben. Und viertens: Es | |
muss eine Wiedergutmachung gezahlt werden. | |
Eine Entschuldigung ohne Entschädigung ist aus Sicht der Opfer | |
bedeutungslos, denn es geht bei Reparationen darum, die Würde der Opfer | |
wiederherzustellen. Wenn wir die Entschuldigung der Ministerin aus dem Jahr | |
2004 anhand dieser Kriterien beurteilen, stellt sie die Nachkommen der | |
Opfer des in den Jahren 1904-08 von Deutschen verübten Völkermords nur | |
bedingt zufrieden. Sie erfüllt die ersten beiden Kriterien und teilweise | |
das dritte. Aber sie scheiterte am vierten. | |
Heute wiederum sieht es so aus, dass die Bundesregierung die | |
Entschuldigungsformel von 2004 neu auflegt und zusätzlich zur Zahlung von | |
Sozialhilfe als Entschädigung bereit ist. Und sie behauptet, der | |
Vernichtungsbefehl des Generals Lothar von Trotha gegen die OvaHerero und | |
Nama sei nach damaligen Maßstäben kein Völkermord gewesen, nur nach | |
heutigen. | |
Steinmeier und sein namibischer Amtskollege Hage Geingob verstehen nicht, | |
worum es geht, wenn wir, die Betroffenen, die Wiederherstellung unserer | |
Würde als von der Erinnerung und den Narben der Verbrechen gezeichnete | |
Völker einfordern. Wiederherstellung unserer Würde heißt Entschädigung für | |
unser gestohlenes Land und Rekonstruktion der dem Völkermord zum Opfer | |
gefallenen soziokulturellen und ökonomischen Aspekte unserer | |
Gesellschaften. | |
Wie Wieczorek-Zeul in ihrer Rede richtig sagte, wurden unsere Ahnen ihres | |
Landes beraubt, Frauen wurden in die sexuelle Sklaverei gezwungen, Menschen | |
wurden wahllos getötet, in Konzentrationslagern interniert und zur | |
Sklavenarbeit beim Bau von Eisenbahnen, Hafenkais in Swakopmund und | |
Gebäuden in ganz Namibia gezwungen. | |
## Konrad Adenauer als Vorbild | |
Bundespräsident Steinmeier sollte sich Konrad Adenauer zum Vorbild nehmen, | |
der 1951 dem Appell jüdischer Organisationen und Israels folgte. | |
[3][Adenauer erklärte vor dem Bundestag]: „Im Namen des deutschen Volkes | |
sind unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und | |
materiellen Wiedergutmachung verpflichten … | |
Die Bundesregierung ist bereit, gemeinsam mit Vertretern des Judentums und | |
des Staates Israel, der so viele heimatlose jüdische Flüchtlinge | |
aufgenommen hat, eine Lösung des materiellen Wiedergutmachungsproblems | |
herbeizuführen, um damit den Weg zur seelischen Bereinigung unendlichen | |
Leides zu erleichtern.“ | |
In gleicher Weise sollte Deutschland heute im Fall der OvaHerero und Nama | |
eine Wiedergutmachungskommission bilden, die messbare Kriterien über die | |
Auswirkungen des Völkermords auf die Nachfahren der Opfer ermittelt, und | |
einen Wiedergutmachungsfonds einzurichten, der ihre Gemeinschaften | |
wiederherstellt. Ein solcher Fonds sollte unabhängig von Namibias Regierung | |
sein, die systematisch Geld in die nördlichen Regionen lenkt. | |
Wir bedauern die selektive „moralische und historische Verantwortung“, die | |
die Deutschen den Opfern ihrer Völkermorde je nach Rasse und Ethnizität | |
zukommen lassen. Eine Entschuldigung muss moralische und materielle | |
Wiedergutmachung an den OvaHerero und Nama beinhalten. Keine noch so hohe | |
Summe von Sozialhilfe kann das Leid unserer Völker aufwiegen. | |
Präsident Steinmeier sollte seine Entschuldigung nicht im namibischen | |
Parlament äußern, sondern im Bundestag, damit das deutsche Volk seinen | |
verschwiegenen Völkermord kennenlernt und versteht. Anschließend ist er in | |
Namibia willkommen, um die OvaHerero und Nama zu treffen und sich bei ihnen | |
zu entschuldigen. Wenn nicht, kann er mit dem namibischen Präsidenten und | |
dem namibischen Parlament Urlaub machen. Unser Kampf aber wird weitergehen. | |
Wir sind geduldig. | |
Aus dem Englischen von Dominic Johnson | |
30 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Namibia/!t5210809 | |
[2] http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Namibia/100-jahre.html | |
[3] https://www.konrad-adenauer.de/quellen/erklaerungen/1951-09-27-regierungser… | |
## AUTOREN | |
Jephta Nguherimo | |
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