# taz.de -- Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus: Mahnmal der Arroganz | |
> Der Umgang mit Raubkunst in Museen und die Aufarbeitung des Völkermords | |
> in Namibia zeigen die Halbherzigkeit der kolonialen Erinnerungspolitik. | |
Bild: Eine „substanzielle“ Zahl von Benin-Bronzen will Deutschland zurückg… | |
Vor wenigen Tagen feierten sich die Bundesbeauftragte für Kultur und | |
Medien, Monika Grütters, und Außenminister Heiko Maas noch selbst für den | |
„Wendepunkt in unserem Umgang mit der Kolonialgeschichte“ (Maas), da man | |
zusammen mit Kulturpolitiker:innen der Länder und | |
Museumsverantwortlichen beschlossen habe, in den nächsten Jahren einige | |
[1][Benin-Bronzen] nach Nigeria zurückzugeben. | |
Eine grundsätzliche Einigung über den Umgang mit problematischem | |
Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, ein Bekenntnis zur bedingungslosen | |
Restitution gar, unterblieb auch am Ende einer Legislaturperiode, an deren | |
Anfang man die Aufarbeitung des kolonialen Erbes vollmundig ins | |
Regierungsprogramm geschrieben hatte. Nachdem man das Thema lange | |
unterschätzt zu haben scheint, setzte man zum Befreiungsschlag in letzter | |
Minute an, um die Eröffnung der ethnologischen Sammlungen im Berliner | |
[2][Humboldt Forum] doch noch irgendwie zu retten. | |
Man tat dies allerdings mit Einschränkungen: So sollte nur ein | |
substanzieller Teil aus Benin zurückgegeben werden, ohne zu spezifizieren, | |
wer bestimmt, wie groß dieser Teil ist, oder wer die Stücke auswählt. Das | |
öffnet Tür und Tor für einen Kuhhandel, in dem einen Kompromiss erzwingen | |
kann, wer am längeren Hebel sitzt. Das mag der Logik des diplomatischen | |
Tauziehens um Agrarsubventionen und Fischereirechte folgen, dem sensiblen | |
Thema des Umgangs mit Unrecht und Trauma der Vergangenheit ist es nicht | |
angemessen. Der versuchte „Befreiungsschlag“ folgt dem bekannten Muster, | |
nur zuzugestehen, was man gar nicht mehr leugnen oder abwenden kann. Es ist | |
noch nicht die richtungsweisende Politik, die über den Einzelfall hinaus | |
klare Maßstäbe schafft. | |
Im Fall kolonialer Sammlungen dauerte es gerade mal eine Woche, bis der | |
nächste prominente Fall von kolonialem Raub im Humboldt Forum die | |
Öffentlichkeit erreichte: Das Luf-Boot, geraubt in Deutsch-Neuguinea, wie | |
der Historiker Götz Aly demonstrierte. Und wieder sind die Verantwortlichen | |
überrascht, bekunden ihr Vertrauen in die Selbstaufklärungsfähigkeit von | |
Humboldt Forum und Museen und versuchen zur Tagesordnung überzugehen. | |
Dabei werden sich die Fälle noch häufen, sind die Magazine der | |
ethnologischen Museen doch voller Objekte aus kolonialen Kontexten. | |
Koloniale Kontexte sind aber immer problematische, denn Kolonialismus war | |
ein strukturell rassistisches Unrechtssystem, geprägt durch Gewalt und ein | |
extremes Machtungleichgewicht. Deshalb sollte die Grundannahme immer sein: | |
Die Objekte wechselten nicht fair und freiwillig den Besitzer, es sei denn, | |
dies kann nachgewiesen werden. Solange keine Provenienzforschung vorliegt, | |
die das Gegenteil beweist, muss man von unfairen Erwerbsumständen ausgehen. | |
Originell ist nun die Verteidigung des Humboldt Forums: Man wolle das Boot | |
nach wie vor zeigen, jetzt halt als „Mahnmal der Schrecken der deutschen | |
Kolonialzeit“. Macht dieses Beispiel Schule, dann bedeutet es das Ende der | |
Restitution als Versuch, historisches Unrecht wiedergutzumachen. Jede(r) | |
behält, was er/sie hat, und erklärt es flugs zum Mahnmal. Wissen die | |
Verantwortlichen im Humboldt Forum eigentlich, was sie da sagen und | |
fordern? Nicht das Luf-Boot würde so zum „Mahnmal der Schrecken der | |
deutschen Kolonialzeit“, sondern das ganze Humboldt Forum endgültig zum | |
Mahnmal der (nach-)kolonialen Arroganz, in der in Berlin entschieden wird, | |
wessen und wie man gedenkt. Dabei bräuchte es wirklich ein | |
Kolonialismusmahnmal in Deutschland, etwa einen Gedenkort für den ersten | |
Genozid des 20. Jahrhunderts, verübt an den Herero und Nama in | |
Deutsch-Südwestafrika. Für ein Denkmal für die Opfer des Kolonialismus gibt | |
es aber keinen Gipfel im Kanzleramt, keine Bund-Länder-Initiativen. | |
Am Samstag kam die Nachricht, Deutschland und Namibia hätten eine Einigung | |
in den Verhandlungen über den Völkermord an den Herero und Nama erzielt und | |
wollten diese in den nächsten Wochen durch die Außenminister beider Länder | |
in Windhuk unterzeichnen lassen, mit einer offiziellen Entschuldigung durch | |
Bundespräsident Steinmeier als Ziel. Das ist erfreulich und überfällig. | |
Es wird nun darauf ankommen, wie genau die finanzielle Seite des Abkommens | |
ausgestaltet wurde, und ob [3][Herero und Nama] als Nachkommen der Opfer | |
damit zufrieden sind. Die heimlichtuerische Art, in der die Verhandlungen | |
bisher geführt wurden, und der Ausschluss eines Teils der Herero und Nama | |
aus den Verhandlungen sind eine ernstzunehmende Hypothek. Vertan ist auch | |
die Chance, in der deutschen Gesellschaft eine breite Debatte darüber zu | |
führen, wie man mit dem historischen Unrecht und dem Erbe des Kolonialismus | |
umgehen will. Dies muss nun nachgeholt werden durch Bildungs- und | |
Aufklärungsarbeit in Namibia und in Deutschland. | |
Allerdings böte eine breit akzeptierte Einigung über die Aufarbeitung des | |
ersten deutschen Genozids auch eine Chance. Gleichzeitig mit der Einigung | |
zu den Benin-Bronzen lenkt sie den Blick darauf, dass sich die Verbrechen | |
des Kolonialismus nicht auf den Raub von Objekten beschränkten, sondern | |
auch die Ausbeutung, Unterdrückung, Ermordung von Menschen beinhaltete. Für | |
eine echte Dekolonialisierung reicht es nicht, Objekte zurückzugeben und | |
Kunst zu verteilen – es gilt, Wohlstand und Lebenschancen zu teilen. | |
Vielleicht wäre jetzt der Moment, beide Themen sichtbar zu verbinden. Warum | |
nicht den Schlüterhof mit Sand aus der Omahekewüste auffüllen, wo deutsche | |
Kolonialtruppen 1904 die Herero zugrunde gehen lassen wollten, oder die | |
Barockfassade mit Stacheldraht brechen, der an die damaligen | |
Konzentrationslager erinnert? Wenn es um Aufklärung über die Schrecken der | |
deutschen Kolonialzeit ginge, könnte das Humboldt Forum das Luf-Boot | |
entfernen und dennoch ein Mahnmal sein. | |
16 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
jürgen Zimmerer | |
Jürgen Zimmerer | |
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