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# taz.de -- Kolonialgeschichte einmal anders: Rudolf, ein früher Weltbürger
> Ungewohnt verspielt erzählt das Hamburger MARKK deutsche
> Kolonialgeschichte. So will es Jugendliche und Familien erreichen.
Bild: Bootsschmuck vor 1905, anonym, aus Duala oder Umgebung, Holz bemalt
So poppig die Ausstellung „Hey Hamburg, kennst Du Duala Manga Bell?“ ist,
kündet der geknüpfte Galgenstrang als wiederkehrendes Symbol doch vom
gewaltsamen Tod des Duala-Königs Rudolf Duala Manga Bell. Die „für junge
Menschen“ konzipierte Ausstellung bewegt sich zwischen bunter Verspieltheit
und der Dokumentation einer außergewöhnlichen Biografie. Für das Hamburger
Museum am Rothenbaum ist dieser Ansatz ein Experiment.
Wohl 1873 wurde Manga Bell an der Küste Westafrikas auf dem Gebiet des
heutigen Kamerun in die einflussreiche Bell-Familie geboren, die ihm eine
Ausbildung in Deutschland ermöglichte. Seit 1884 war Kamerun deutsche
Kolonie; die an der Küste ansässigen Duala arrangierten sich damit und
schufen sich als Händler, Lehrer oder Missionare ein Auskommen. 1908 wird
Manga Bell zum „Oberhäuptling“ der Bell ernannt – ein von den Deutschen
eingeführtes Amt, wie auch anders.
Zwei Jahre später war die Stimmung in der Kolonie umgeschlagen. Die
Deutschen planten den Ausbau des Hafens in der Wirtschaftsmetropole Duala.
Entgegen vertraglicher Vereinbarungen sollten die Duala dafür an den
Stadtrand umgesiedelt werden. Das bedeutete nichts anderes als Enteignung
und Vertreibung. Es war der Gipfel einer Reihe von Verordnungen, welche die
Duala und weitere Ethnien in Kamerun schon Jahre zuvor empfindlich
getroffen hatten. Mit Jahresbeginn 1914 setzte das Kolonialgouvernement
seine Pläne um.
Um dies zu verhindern, hatte sich Manga Bell über die Presse an die
Öffentlichkeit im deutschen Kaiserreich gewandt, hatte Petitionen
eingereicht und sich von deutschen Anwälten vertreten lassen. Damit war er
zu einer ernstlichen Gefahr für die politische Ordnung in der Kolonie
geworden.
## Angeklagt des Hochverrats
1914 droht in Europa der Krieg und Gerüchte werden laut, Bell suche nun die
Unterstützung des Erzfeindes England. Belege gibt es dafür nicht. Dennoch
werden Manga Bell und dessen Vertrauter Adolf Ngoso Din eilig des
Hochverrats angeklagt und am 8. August 1914 gehängt. Drei Tage lang wird
Bells Körper zur Abschreckung aufständischer Kameruner am Galgen hängen.
In der Ausstellung wird dies in einem großformatigen Comic des Künstlers
Karo Akpokiere erzählt. Es ist das narrative Rückgrat in einer sonst
nichtlinearen Ausstellung, die mit kurzen Texten auskommt und auf
multisensorische Zugänge setzt.
Neben Alltagsgegenständen oder Kleidungsstücken aus der Museumssammlung
finden sich überraschende Zeugnisse wie eine Tonaufnahme aus dem Berliner
Lautarchiv von 1934. Zu hören ist Viktor Bell, der ein Lied über koloniale
Lohnarbeit vorträgt. Weitaus spielerischer geht die Audioinstallation des
ARK-Kollektivs vor. Selbstreflexive Fragen zur Funktion des Museums können
die Besucher*innen mit Samples von Soulnummern und groovenden
Percussion-Beats unterlegen. Die Sogwirkung dieses immer wieder neu
erschaffenen Hörspiels ist enorm.
Das Leben Manga Bells eignet sich laut Kuratorin Suy Lan Hopmann deshalb
als Zentrum der Ausstellung, weil in den erhaltenen Zeugnissen – etwa ein
Foto Manga Bells während eines Karnevalsumzugs im süddeutschen Aalen – ein
Mensch fassbar wird, der als früher Kosmopolit unserer Gegenwart nicht weit
entfernt scheint.
## Die Geschichte von Maria Mandessi Bell
„Er war in vielen Welten zu Hause. Das ist ein guter Anknüpfungspunkt für
eine postmigrantische Gesellschaft, gerade in den Städten“, so Hopmann.
Aber auch die kaum bekannte Geschichte von Maria Mandessi Bell wird
erzählt. Als Manga Bell hingerichtet wird, ist sie gerade 19 Jahre alt.
Später wird sie sich als Intellektuelle im politisch-künstlerischen Umfeld
der Négritude-Bewegung etablieren und eine Brücke weit hinein in das 20.
Jahrhundert schlagen.
[1][Im hochpolitisierten Diskurs um das koloniale Erbe Deutschlands] ist
die Ausstellung ein Gewinn, weil sie politische Steilvorlagen ausschlägt,
auf Appelle an das Gewissen ihrer Besucher*innen verzichtet und sich
stattdessen auf die Kernfrage „Wer war Duala Manga Bell?“ konzentriert.
Konzeptuell ist das Experiment gelungen. Nun muss sich zeigen, ob die
Ausstellung und der aufwendig gestaltete Begleitkatalog ihr junges
Zielpublikum auch erreichen.
20 May 2021
## LINKS
[1] /Postkoloniale-Vernetzung-in-Afrika/!5640972
## AUTOREN
Fabian Lehmann
## TAGS
Koloniales Erbe
Museum
Kamerun
Schwerpunkt Stadtland
Hamburg
Deutscher Kolonialismus
Restitution
Museum
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