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# taz.de -- Postkoloniale Vernetzung in Afrika: Wo sind die Deutschen?
> Auf Einladung des Goethe-Instituts in Kamerun diskutieren afrikanische
> Künstler über Kolonialismus. Positionen aus Europa sind nicht dabei.
Bild: Performance von Schulkindern nach einem Workshop mit Dolly Nwafo und Eric…
In Togo ist die Geschichtsschreibung ausschließlich auf den Präsidenten
ausgerichtet“, sagt Comicautor Koffivi Assem. Er sitzt im Schatten eines
mächtigen alten Baums im Innenhof der „Alten Villa“ in Kameruns Hauptstadt
Jaunde. Über die Außenmauer dringt Autolärm herein, dazwischen munteres
Vogelgezwitscher – ein Zeltdach schützt die Anwesenden vor Sonne und kurzen
tropischen Regenschauern. Assem bezieht sich auf Alexandre Dumas und
erklärt, warum er daran glaubt, dass sich mit Kindern die Geschichte
verändert.
Zusammen mit anderen gibt er in der Edition Ago in Lomé (Togo) Comics für
den französischsprachigen Markt heraus. Im Innenhof der „Alten Villa“
präsentiert er seine als Hardcover erschienenen Graphic-Novel-Bände.
Zunächst hätten sie nordamerikanische Superhelden aus dem Marvel-Verlag wie
Spiderman, Daredevil oder Iron Man für das afrikanische Publikum
adaptiert und in Heftchenform publiziert. Die neuen, sorgfältig
hergestellten Bücher erzählen jetzt von der kolonialen, aber auch der
vorkolonialen Zeit Togos.
„Wenn du so vom Westen beeinflusst bist, wo bleibt denn dann bei dir das
Afrikanische?“, will einer aus dem Publikum wissen. „Ich nutze die
Einflüsse und die koloniale Vergangenheit als eine Art Sprungbrett“,
antwortet Assem. Für den 1980 geborenen togolesischen Comicautor ist dies
kein Widerspruch. „Natürlich unterliege ich verschiedenen Einflüssen. Dumm
wäre es doch nur, wenn ich nicht darum wüsste.“
Popkulturell geprägt, hält Assem nicht viel von einer Rückbesinnung auf
angeblich gute und reine afrikanische Traditionen. Kolonialismus und
Globalisierung haben neue Gesellschaften hervorgebracht, so Assem. Das sei
eine Tatsache, mit der man produktiv umgehen müsse. Man könne sie nicht
einfach leugnen. Eine Meinung, die allerdings nicht alle auf dieser
einwöchigen Tagung in Jaunde teilen.
## Europäer und Afrikaner
Christian Etongo etwa, Performancekünstler aus Kamerun, möchte sich in
seiner Arbeit nur auf ursprüngliche afrikanische Kunsttraditionen beziehen.
Er lese auch nichts von Ausländern über Afrika, sagt er in einer
Diskussionsrunde im Filmvorführsaal Sita Bella des
Kommunikationsministeriums. Das klingt hart für europäische Ohren. Etongo
zieht auch eine ungebrochene Linie von der deutschen Kolonialherrschaft zum
heutigen „Neokolonialismus“ in Kamerun.
Und erregt damit Widerspruch im Publikum. Eine kamerunische Journalistin
fragt provokativ: „Christian, warum kritisierst du nicht unsere heutige
Regierung? Die Europäer sind doch schon lange weg.“
Das deutsche Kaiserreich war von 1884 bis 1914 Kolonialmacht in Kamerun,
ohne hier [1][einen Völkermord wie in Namibia] zu begehen. Danach kamen
Franzosen und Briten. Seit 1960 ist das westafrikanische Land unabhängig –
und hat erst zwei Präsidenten gesehen (ähnlich wie in Togo übrigens). Der
jetzige, Paul Biya, regiert seit 1982. Jaunde wurde 1889 als
Versorgungsposten des wilhelminischen Deutschland gegründet. Am Ende der
kaiserlichen Kolonialherrschaft zählte es wenige tausend Einwohner. Heute
sind es bald 4 Millionen.
Sollen „die Ausländer“, die früheren Kolonialisten, für die heutige
Ungleichheit in dem Land verantwortlich sein? Dafür, dass in dem an
Bodenschätzen reichen Land in Städten wie Jaunde kein öffentliches
Nahverkehrssystem existiert, sauberes Trinkwasser knapp ist und Slums in
die Innenstädte hineinreichen?
## Bloß keine Bevormundung
Etongo, der auch schon vor dem Bismarck-Denkmal in Berlin eine
kolonialkritische Performance inszenierte, wirkt bei solch Nachfragen im
Kinosaal Sita Bella etwas ratlos. Wahrscheinlich sind vielen wie ihm die
komplexen postkolonialen Realitäten Afrikas viel bewusster, als sie es
zunächst formulieren. Im öffentlichen Raum Kameruns gibt es kaum Platz für
Kunst und Kultur. Doch die Anklägerposition angesichts der einladenden
wohlhabenden weißen Europäer scheint bei dem Thema dann auch ziemlich
naheliegend.
Über 90 Kunstschaffende aus sieben afrikanischen Staaten sind auf Einladung
des Goethe-Instituts eine Woche lang in Jaunde zusammengekommen. Da es eine
Vernetzung auf dem Kontinent kaum gibt, sollen sie so die Gelegenheit
bekommen, sich über ihre unterschiedlichen Perspektiven auf die deutsche
Kolonialgeschichte auszutauschen. Das aufwendige Goethe-Großevent trägt den
etwas schleppend klingenden Titel „The Burden of Memory“, die Last der
Erinnerung.
Offenbar traut man sich nicht, die Erinnerungsarbeit positiv als Chance zu
postulieren. Angesichts der bis heute oft ungesühnten Verbrechen des vom
[2][Hohenzollern-Clan geführten Deutschen Kaiserreichs] (man denke nur an
den Maji-Maji-Krieg 1905–1908 im heutigen Tansania oder den Genozid an
Herero und Nama 1904–1908 im heutigen Namibia) eine nachvollziehbare
Haltung.
Die Goethe-Instituts-Leiter Daniel Stoevesandt (Namibia) und Fabian
Mühlthaler (Kamerun) legten als Veranstalter die Gestaltung von
Diskussionen, Ausstellungen und Konzerten zudem in die Verantwortung
afrikanischer Kuratorinnen. Man wolle einen Schritt zurücktreten, die
Debatte ermöglichen, aber nicht bevormunden, so die Institus-Direktoren.
## Frage der Hautfarben
Die mit dem US-Diskurs vertraute Nontobeko Ntombela aus Südafrika sollte
die Einbindung der namibischen Position garantieren, Princess Marilyn
Douala Manga Bell die des Gastgeberlandes Kamerun und Rose Jepkorir die der
Beteiligten aus dem früheren Deutsch-Ostafrika (Tansania, Ruanda und
Burundi). Per Konzept abwesend auf den Podien: die Deutschen. Einzig
eingeladener Künstler aus Deutschland ist der im Schwarzwald aufgewachsene
Philipp Kojo Metz, der im Stammbaum einen ghanaischen Vater vorzuweisen
hat.
Interessanterweise droht dann gerade an der Frage der Hautfarben die
Veranstaltungswoche fast zu kippen. Die vom US-Diskurs stark beeinflusste
südafrikanisch-namibische Fraktion besteht darauf, dass es eine entlang der
Hautfarbe erfahrene historische Sensibilität und Sozialisation gibt. „Der
Kolonialismus hat uns unserer Würde beraubt“, sagt die Künstlerin und
Sozialwissenschaftlerin Molemo Moiloa aus Südafrika. Auch nach Ende des
Apartheidregimes wirke die „spirituelle Verunsicherung“ bis heute spürbar
nach. „Die Kolonialisten sind unter uns“, so Moiloa.
Nach Versöhnung über die Hautfarben hinweg, wie sie Nelson Mandela und der
seit 1994 regierende ANC einst vertraten, klingt das nicht wirklich. Die
namibische Tänzerin und Choreografin Trixie Munyama polemisierte gegen den
Holocaust-Diskurs in Deutschland. Über die Vernichtung der Juden in Europa
sei genug geredet worden, über den deutschen Kolonialismus in Afrika und
den Genozid in Namibia nicht.
Vor dem subjektiv namibischen Hintergrund eine verständliche, wenn auch
unzutreffende Aussage. Doch Personen, die über die Brüche in der deutschen
Geschichte (Kaiserreich, Revolution, Weimarer Republik, Nationalsozialismus
und Holocaust, BRD/DDR, 1989) und die damit verbundenen
Auseinandersetzungen über eine antifaschistische Erinnerungskultur Auskunft
hätten geben können, waren nicht zugegen.
## Auf den nackten Hintern
Die Trennung nach Hautfarben beim Diskutieren irritierte auch zunehmend
diejenigen, die sie eigentlich zu verantworten hatten. Sind die Weißen sich
etwa hier zu fein, mit den Afrikaner*innen zu debattieren? Die Handvoll
vom Goethe-Institut als Beobachter*innen eingeladenen Pressevertreter aus
Deutschland, viele von ihnen hellhäutig, sehen sich vorwurfsvollen Blicken
ausgesetzt.
Als sich auch der 1946 in Douala geborene Historiker und aus altem
Herrschergeschlecht stammende Prinz Kum’a Ndumbe III. den Vorwürfen der
Deutschen, hier ignoriert zu werden, anschließt, sieht sich Daniel
Stoevesandt, Goethe-Instituts-Leiter in Namibia, veranlasst, vermittelnd zu
intervenieren. Die afrikanischen Kuratorinnen selbst hätten entschieden,
die Woche in Jaunde der innerafrikanische Vernetzung zu widmen. Ein
Zwischenschritt, mehr nicht. Schon im nächsten Jahr würden weitere und
anders konzipierte Veranstaltungen folgen. Die Information genügt, um die
Gemüter wieder zu beruhigen.
Prinz Kum’a Ndumbe III. stellt ein Forschungsprojekt vor, dass er seit 1981
betreibt. In der Edition AfricAvenir erscheint Ende November der 20.
Quellenband mit transkribierten Gesprächen von Zeitzeugen der deutschen
Kolonialherrschaft. Die Aufnahmen mit den letzten noch lebenden Zeitzeugen
wurden in den 1980ern gesichert.
Sie erzählen, so der Prinz, zum Beispiel davon, wie die Deutschen die
Schulpflicht einführten: „Sind die Kinder nicht zur Schule erschienen,
wurde ihren Vätern öffentlich auf den nackten Hintern geschlagen.“ Und wenn
sich die Einheimischen geweigert hätten, den Deutschen Arbeitskräfte zu
stellen, seien „wahllos Männer herausgegriffen und ermordet worden.
## Afrozentrik versus Universalismus
Kum’a Ndumbe III. wurde in Frankreich und der Bundesrepublik ausgebildet.
Er gehört zur frühen Generation der postkolonialen afrikanischen
Intellktuellen. Er spricht über die 1960er und 70er Jahre, über Sartre und
die Zeitschrift Les Temps Modernes. Es war die heroische Phase, als viele
durch Rückbesinnung auf „afrikanische Werte“, den Afrozentrismus,
Anhaltspunkte für gerechtere Gesellschaften zu finden meinten.
Während er von dem Verlauf der Kolonialgeschichte erzählt, ist für viele
Jüngere das Wort „Rassismus“ der alles entscheidende Begriff. Die junge
namibische Konzeptkünstlerin Nelago Shilongoh etwa konstatiert eine bis
heute wirkmächtige rassistische Idee der „White Power“. Sie spricht von der
anhaltenden Ausbeutung der schwarzen Frau durch den weißen Mann und dem
Kampf für die Rechte der Gays.
Das Bild von der Diskussion in Jaunde bleibt insgesamt vielfältig. Koku
Nonoa etwa, ein 1979 in Togo geborener Kulturwissenschaftler und
Theaterperformer, bezieht sich ausdrücklich auf Peter Weiss’ „Ästhetik des
Widerstands“, auf die Schrift eines weißen Deutschen also. Man dürfe sich
nicht selbst limitieren: „Heute, im Global Village, haben wir alle Zugang
zu Wissen; lasst uns dies nutzen, die Grenzen überwinden.“
Ähnlich argumentiert der jüngere kamerunische Historiker Jean Baptiste
Nzogue von der Universität Douala, der deutlich zu erkennen gibt, wie wenig
er von den oftmals verklärenden afrozentrischen Ursprungsmythen hält. Vor
der Selbstethnisierung warnt auch Freddy Sabimbona. Der humorvolle
Theaterregisseur und Schauspieler veranstaltet in Burundi im Februar das
Festival „Buja sans tabou“.
## LGBT in Afrika
Er sieht die Mitverantwortung der historischen Kolonialmächte für die
Konstruktion von Feindschaften wie der zwischen Hutu und Tutsi und für
den Völkermord im benachbarten Ruanda. Was die Bereitschaft angehe, seinen
Nachbarn umzubringen, könne man aber nicht nur mit dem Finger auf Europa
zeigen. Sabimbona misstraut generell der Suche nach ethnischen „Wurzeln“
und all den nationalistischen Rückbesinnungen: „Wir haben nur drei Ethnien
in Burundi und Ruanda und killen uns dennoch gegenseitig – ihr in Kamerun
angeblich 300, wo soll das hinführen?“
Im Abschlussgespräch mit dem namibischen Performer Nashilongweshipwe
Mushaandja sagt der eigens nach Jaunde angereiste Generalsekratär des
Goethe-Instituts, Johannes Ebert, er fühle sich als Bundesdeutscher „nicht
schuldig, aber in Verantwortung für die Geschichte“. Mushaandja gab
sympathischerweise zu erkennen, dass er sich als Künstler durch die ganze
Thematik manchmal überfordert fühle.
Als bekennendes Mitglied der LGBT-Gemeinde sucht er auch einen
antiautoritären und popkulturellen Kunstbegriff zu verteidigen. Treffend
wohl auch sein selbstironischer Kommentar, dass Goethe durch die
Themensetzung und in Ermangelung innerafrikanischer Auftraggeber nun eine
Flut an kritischer Kolonialkunst ausgelöst habe. Worauf der Generalsekretär
antwortete, das könne sein, aber es gebe vielleicht Schlimmeres.
25 Nov 2019
## LINKS
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[2] /Hohenzollern-und-Nationalsozialismus/!5628218
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
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