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# taz.de -- Reise zu ethnologischen Museen: Eine Chance der Gesellschaft
> Vor dem Neubau des Stuttgarter Linden-Museums schaute sich eine
> Delegation ethnologische Museen in Paris, Köln und Brüssel an.
Bild: Skulpturen vor dem Afrika Museum Tervuren suchen die Auseinandersetzung m…
Diese Türen öffnen sich nur für ganz wenige. Überall Sicherheitsschleusen,
peinliche Sauberkeit und Ordnung, graue Katakomben mit künstlichem
Tageslicht. Die Männer, die im weitläufigen Depot des „Musée du quai Branly
– Jacques Chirac“ afrikanische Instrumente und Skulpturen verpacken,
arbeiten aus gesundheitlichen Gründen nur drei Tage. Vorsichtig polstern
sie die Kisten der Objekte aus, die als Leihgaben für Ausstellungen von
Paris in die ganze Welt gehen. Sie sind entgiftet, fotografiert und
inventarisiert.
Das Allerheiligste, die Räume mit den Regalen voller Skulpturen, Textilien
oder Kunsthandwerk, darf auch die Delegation aus Stuttgart nicht betreten,
die sich über Neubauten ethnologischer Museen informieren will. Nur
einzelne Kuratoren können in Ausnahmefällen in der Sammlung sondieren,
prinzipiell endet auch für Wissenschaftler der Weg in einem der verglasten
Präsentationsräume.
Von solcher Perfektion kann Inés de Castro nur träumen. Doch will sie gar
nichts kopieren. So besteht die Direktorin des Linden-Museums Stuttgart auf
Arbeitsplätzen im Depot: wegen der Zeitersparnis, aber auch, damit sich die
Gäste ein besseres Bild von der Sammlung machen können.
Sie führt mit Petra Olschowski, der Staatssekretärin im
baden-württembergischen Ministerium für Forschung, Wissenschaft und Kunst,
eine Delegation an, die an drei Tagen drei Museen in Paris, Brüssel und
Köln besucht. Die kulturpolitischen Sprecher aller Fraktionen im Landtag
und im Gemeinderat Stuttgart erfahren aus erster Hand, warum es im 2006
eröffneten Musée du quai Branly die einzigartige, auf Stelzen hochgedockte
Architektur von Jean Nouvel sein musste, warum man im Königlichen Museum
für Zentral-Afrika in Tervuren bei Brüssel dem kolonialzeitlichen Altbau
einen gläsernen Funktionsbau an die Seite gestellt hat und warum es in Köln
fünfzehn Jahre gedauert hat, bis der nüchterne [1][Zweckbau des
Rautenstrauch-Joest-Museums] für das Publikum zugänglich war.
## Schubkraft für ein neues Konzept
Die Entscheidung für einen Neubau des Stuttgarter Völkerkundemuseums ist
seit 2012 beschlossene Sache, doch geriet das Projekt wegen der
Standortfrage ins Stocken. Petra Olschowski will gemeinsam mit den
politisch Verantwortlichen die Sache mit neuer Energie vorantreiben. Die
Entscheidung für den Standort bestimme nicht nur die Architektur des neuen
Museums, sondern tangiere auch dessen konzeptionelle Ausrichtung. Inés de
Castro am Ende der Reise: „Wir haben uns sehr viel angeschaut, jetzt
sollten wir uns für Stuttgart etwas Neues ausdenken und gemeinsam eine neue
Konzeption erarbeiten.“
Was da im Südwesten beispielhaft vorgemacht wird, erinnert daran, dass Sinn
und Zweck von Prestigebauten wie das von Kulturstaatsministerin Monika
Grütters durchgesetzte Museum des 20. Jahrhunderts am Berliner Kulturforum
inhaltlich begründet und kommuniziert werden müssen. Dabei geht es nicht
nur um die Summen, die investiert werden, sondern auch um Inhalte und den
Nutzen für alle. Wie in Frankreich im Fall des Musée du quai Branly können
Museumsbauten auch weltanschauliche Paradigmenwechsel einläuten. Für den
Präsidenten Jacques Chirac war das neue Museum eine Verbeugung vor den
Kunstwerken der Weltkulturen, die er auf eine Stufe gestellt sehen wollte
mit den Meisterwerken Europas.
Was in Paris vor mehr als zwanzig Jahren vor sich ging, hat durchaus mit
den Stuttgarter Plänen zu tun. Petra Olschowski räumt dem Neubau des
Linden-Museums unter den Landesmuseen „erste Priorität“ ein. „Ich glaube,
dass gerade diese Sammlung uns ermöglicht, die komplizierten Fragen an
unsere Gesellschaft anders zu stellen“, sagt die Staatssekretärin, die den
Museen im Südwesten ähnliche Impulse gibt wie die Bundeskulturstiftung in
ganz Deutschland.
Es gehe im Fall des Völkerkundemuseums darum, die eigene Kultur mit
Erzählungen von anderen Kontinenten in Kontakt zu bringen. „Da haben wir
die Chance für uns als Gesellschaft, die Vielfalt, die wir leben, noch mal
anders erfahrbar zu machen.“
## Zusammenarbeit mit den Herkunftsgesellschaften
[2][Solche Vorstellungen hegt Inés de Castro] seit Langem. Die Ethnologin,
die den Posten der Sammlungsleiterin im Berliner Humboldt Forum abgelehnt
hat, wünscht sich aber auch ein „spektakuläres Gebäude wie in Paris, das
auch Menschen attraktiv finden, die mit Ethnologie erst mal nicht so viel
zu tun haben“. Sie setzt zugleich, angeregt vom belgischen Afrikamuseum,
auf die Zusammenarbeit mit den Herkunftsgesellschaften, mit der Diaspora,
mit kulturellen Vereinen und Initiativen vor Ort. Konzerte, Tanz, Vorträge
und Diskussionen sollen das zukünftige Haus zum Teil der Stadtkultur
machen.
Ein Neubau führe automatisch dazu, dass sich das ganze Haus neu aufstelle,
sagt der Gründungsdirektor des neuen Rautenstrauch-Joest-Museums. In Köln
mündeten die Überlegungen in den 10er Jahren in eine Kulturen
vergleichende, thematische Konzeption der Dauerausstellung. Für Inés de
Castro spricht nach der Reise auch vieles für eine geografische Gliederung,
die der stellvertretende Sammlungsleiter Emmanuel Kasarhérou im Musée du
quai Branly die einfachste, neutrale Ordnung nannte.
Doch selbst in Paris sind die Grenzen zwischen den Kontinenten offen.
Thematische Inseln durchbrechen die Gliederung der Ausstellungslandschaft.
Hinein gelangen die Besucher über einen geschlängelten Pfad, der in einen
mit Leder ausgekleideten Hohlweg übergeht, ausgestattet mit Informationen
in Brailleschrift nebst Tastreliefs.
## Bruch mit der herrschaftlichen Attitüde
Barrierefreiheit, zeitgemäße Konservierung und Vermittlung braucht jedes
Museum. Aber was macht heute das ethnologische Museum so interessant? Es
erzählt von Europa und der Welt, vom eurozentrischen Blick und den
Kategorisierungen einer zeitweise von Rassentheorien infizierten
Wissenschaft.
Die Wände des um 1900 errichteten kolossalen Ausstellungspalais in Tervuren
sind mit aufwendig restaurierten thematischen Kartierungen und
romantisierenden Landschaftsbildern geschmückt. Allegorische Figuren in
einer mehrstöckigen Rotunde feiern den Kolonialismus als zivilisatorische
Wohltat. Zwar sorgen künstlerische Interventionen für die Brechung dieser
veralteten Anschauungen, doch überwölbt die herrschaftliche Attitüde des
Gebäudes mühelos alle museografischen Anstrengungen.
Wie eine solche Gemengelage nun in Ausstellungen darzustellen ist – und die
Verantwortung Europas für den Kolonialismus –, darauf gibt es keine
einfachen Antworten. Im [3][Linden-Museum startet derzeit das Linden LAB,]
eine von der Bundeskulturstiftung ermöglichte Folge von experimentellen
Projekten. Es ist erstaunlich, welche Aktivität das Museum entfaltet,
obwohl es aus allen Nähten platzt. Fünf Jahre könnten sie noch durchhalten,
sagt Inés de Castro und meint damit die Rohrbrüche, die mangelnden Arbeits-
und Ausstellungsräume und die engen, technisch schlecht ausgerüsteten
Depots mit winzigen Arbeitsflächen.
Auch solche Räume hat die Delegation besichtigt, hat einen Blick in die
Fächer des handbetriebenen Regalsystems geworfen, wo auch eine Handpuppe,
die einen Kolonialisten mit Tropenhelm und in beigefarbenem Anzug
darstellt, auf ihre Wiederentdeckung wartet. Die Transparenzoffensive
bewirkt vielleicht mehr als hundert Seiten Gutachten. Die Abgeordneten aus
Stadt und Land schütteln die Köpfe über den schäbigen Lastenaufzug, die
improvisierte Lagerung wertvoller Objekte und die gemietete, eine Million
Euro verschlingende, keineswegs nachhaltige Kälteanlage im Hof, ohne die
[4][die aktuelle Sonderschau „Azteken“] nicht möglich gewesen wäre.
27 Jan 2020
## LINKS
[1] /Afropolis-im-Koelner-Rautenstrauch-Joest-Museum/!5128561
[2] /Delegationsreise-nach-Namibia/!5577096
[3] https://www.lindenmuseum.de/sehen/ausstellungen/lindenlab/
[4] /Aztekenschau-in-Stuttgart/!5629082
## AUTOREN
Carmela Thiele
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