# taz.de -- Kulturpolitikerin Petra Olschowski: „Wir wollen die Strukturen be… | |
> Coronakrise, Soloselbständige, Restitution, Change-Management: Ein | |
> Gespräch mit der baden-württembergischen Staatssekretärin Petra | |
> Olschowski. | |
Bild: Debatten angestoßen: geschlossenes Kino in Stuttgart | |
taz: Frau Olschowski, Sie waren gerade mitten in einem zweijährigen | |
Dialogprozess über die Kulturpolitik der Zukunft in Baden-Württemberg, an | |
dem von der Staatsgalerie bis zur Blasmusik alle beteiligt wurden. Dann kam | |
das Coronavirus. Wie hat die Krise diese Debatte verändert? | |
Petra Olschowski: Viele Themen werden durch die Erfahrung, die wir gerade | |
machen, verstärkt. Allerdings muss man sagen: Wir ergreifen gerade | |
Maßnahmen im Kampf gegen Covid-19, die wir nie ergreifen wollten. Und das | |
verändert die Debatte natürlich. Aber auch ich glaube, es gibt im Moment | |
keine sinnvolle Alternative zur Schließung weiter Teile des | |
gesellschaftlichen Lebens und damit auch der Kultureinrichtungen. | |
Wir haben aber gleich im März diesen Dialog um das Coronathema ergänzt. | |
Diese Gespräche haben mir noch einmal klargemacht: Es gibt gerade in so | |
schwierigen Situationen einen großen Unterschied zwischen den gut | |
abgesicherten Kulturinstitutionen und den vielen Soloselbstständigen in der | |
freien Szene. | |
Das ist eigentlich keine ganz überraschende Erkenntnis. | |
Einerseits nicht. Aber wir reden in der Politik eben fast immer nur über | |
die institutionalisierte Szene. Es gibt eine Hilflosigkeit bei jenen | |
Künstlerinnen und Künstlern, die nicht über einflussreiche Verbände | |
organisiert, aber besonders von dieser Krise betroffen sind. Die wissen | |
dann nicht sofort, welche Telefonnummer sie anrufen müssen. Sie haben eine | |
kleinere Lobby. Wir müssen nach der Krise jene stärker in den Blick nehmen, | |
die am Ende im freien Feld und in kleinen Ensembles das liefern, was den | |
Kulturbetrieb am Laufen hält: die Kunst. | |
Was stellen Sie sich da zum Beispiel vor? | |
Die Kulturförderung hat Förderprogramme, die auf Institutionen ausgerichtet | |
sind. Sie hat den einzelnen Künstler [1][nicht im Blick.] Das hat auch | |
haushalterische Gründe. Aber aus der aktuellen Erfahrung heraus werden wir | |
zum Beispiel künftig, wenn Projektmittel beantragt werden, angemessene | |
Künstlerhonorare erwarten. | |
Wir müssen aber auch bundesweite Reformen auf den Weg bringen, etwa bei der | |
Künstlersozialkasse, oder wenn es um die Frage der Mindest- und | |
Ausfallhonorare in der Kulturbranche geht. Bisher sehen die üblichen | |
Verträge so etwas oft nicht vor. Gute Erfahrungen wurden jetzt auch mit | |
Stipendienprogrammen gemacht. Ich glaube gar nicht, dass man ganz viel | |
zusätzliches Geld zur Verfügung stellen muss. Aber man muss schauen, wohin | |
und wie das Geld fließt. | |
Was war das eigentliche Ziel des Dialogs, den sie angestoßen haben? | |
Wir wollten gemeinsam Themen weiterentwickeln, die unsere | |
Kultureinrichtungen, ob groß oder klein, professionell oder ehrenamtlich, | |
zukunftsfähig machen. Und wir wollten dabei über Spartengrenzen hinaus | |
denken. Wir haben schon während des Dialogs angefangen, einiges umzusetzen. | |
Zum Beispiel bei der Digitalisierung von Museumsangeboten. | |
Die Museen waren anfangs nicht so begeistert. Aber wir haben ein Programm | |
aufgestellt, das sie nicht nur finanziell gefördert, sondern auch | |
begleitende Workshops geboten hat. Dadurch sind unsere Museen heute | |
wesentlich weiter als vor zwei Jahren. Und wir haben das Thema durch feste | |
Stellen langfristig abgesichert. | |
Das größte Projekt ist das Kompetenzzentrum für kulturelle Bildung, an das | |
sich Institutionen wenden, wo sie sich beraten und helfen lassen können. | |
Hier werden praktische Erfahrung, Forschung, bundesweite Vernetzung, | |
Weiterbildung gebündelt. | |
Eine Art Consulting für kulturelle Einrichtungen? | |
Der Dialog hat mir auch gezeigt, dass sich die Einrichtungen mit | |
notwendiger Veränderung schwerer tun, als ich zunächst gedacht habe. Es | |
fällt vielen nicht so leicht, neue Modelle für kulturelle Institutionen zu | |
denken. | |
Dafür gibt es Gründe. Ein Grund ist: Wir suchen Leitungspersonal ja oft | |
nach künstlerischen Kriterien aus, und das ist auch gut so. Aber plötzlich | |
müssen sie Personal führen und Change-Prozesse initiieren. Es gibt in der | |
Kultur nur wenige Weiterbildungsangebote für Leitungspersonal. | |
Ich habe selbst mal eine Kunstakademie geleitet und habe das auch nicht | |
gelernt. Man fühlt sich da oft allein. Ich finde, wir müssen solchen | |
Führungspersonen Angebote zur Seite stellen. Da müssten wir mehr tun. | |
Nach den vergangenen fünf Jahren als Staatssekretärin mit grünem | |
Parteibuch: Gibt es eine ausgesprochen grüne oder nur gute oder schlechte | |
Kulturpolitik? | |
In Baden-Württemberg besteht in der Kulturpolitik eine große Übereinkunft | |
aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD. Trotzdem gibt es unterschiedliche | |
Schwerpunkte. Ich würde sagen: Unser Kulturdialog ist grüne Kulturpolitik. | |
Es ist ein Format, an dem sich mehr als 1.200 Menschen beteiligt haben, bei | |
dem wir als Ministerium oft auch nur Teilnehmer waren. Es war ein offener | |
Dialog, bei dem es auch ums Zuhören ging. | |
Auch der Ansatz, jetzt die freie Szene zu stärken und nicht die | |
Institutionen zu vergrößern, ist typisch grün, würde ich sagen. | |
Der ländliche Raum, in dem ja vieles in der Freien Szene stattfindet, war | |
nicht immer eine Domäne der Grünen. | |
Nein, aber da haben wir sehr dran gearbeitet. Wir haben gesehen, dass die | |
Mischung aus Ehrenamt und wirklich hochprofessioneller Kunst zum Teil ja | |
noch viel mehr unseren Vorstellungen entspricht. Es geht uns nicht nur um | |
Leuchtturmprojekte, obwohl wir die auch brauchen. Wir wollen die Strukturen | |
insgesamt verstehen und stärken und in Bewegung versetzen. | |
Baden-Württemberg hat als eines der ersten Länder mit der Restitution Ernst | |
gemacht und im Frühjahr 2019 zwei wichtige Objekte der Nama aus dem Bestand | |
des Linden-Museums zurückgegeben. | |
Ja, die [2][Rückgabe der Witbooi-Bibel] an Namibia war für andere | |
Bundesländer und den Bund sicher auch ein Beispiel, an dem man sehen | |
konnte, wie so etwas gehen kann und wo es im Detail auch hakte. Ich glaube | |
übrigens, dass unser Umgang mit der Restitution von Kulturgütern aus | |
kolonialem Kontext auch ein Beispiel grüner Kulturpolitik ist. | |
Was die Rückgabe von Beutekunst im Nationalsozialismus angeht, gibt es eine | |
große Übereinkunft im Landtag – mit der genannten Ausnahme. Was den | |
Kolonialismus angeht, würde ich sagen, dass wir diejenigen sind, die das am | |
stärksten vorantreiben. | |
Was ist seitdem passiert? | |
Wir haben die Namibia-Initiative gegründet und damit eine dauerhafte | |
Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen und Kultureinrichtungen unserer | |
beiden Länder geschaffen. Seitdem gibt es gemeinsame Forschungsprojekte und | |
eine digitale Plattform für die Bestände der Museen, über die gemeinsam | |
geforscht werden kann. Wir haben auch andere Fakultäten im Boot, deren | |
Kompetenz uns hilft, die Herkunft etwa von menschlichen Schädeln zu | |
bestimmen, die wir in unseren Sammlungen haben. | |
Im vergangenen Jahr haben wir human remains an Australien zurückgegeben. | |
Daran arbeiten wir weiter. Es gibt aber gerade auch eine Ausstellung im | |
Linden-Museum zur Rolle Württembergs im Kolonialismus. Man kann sagen, dass | |
es eher beunruhigend ist, was hier erforscht worden ist. Da steht uns der | |
allergrößte Teil der Arbeit noch bevor. | |
Nämlich? | |
Die Debatte über die rechtlichen Grundlagen der Rückgabe und ob wir | |
grundsätzlich bereit sind, auch für uns wertvolle Kulturgüter aus | |
zweifelhafter Herkunft zurückzugeben, wenn es verlangt wird. Diese Debatte | |
ist noch nicht ausdiskutiert, und da gibt es unterschiedliche Auffassungen | |
in den Parteien. | |
Ein Einwand ist ja, dass ein so komplizierter Prozess wie mit Namibia | |
angesichts der Mengen an Objekten kolonialer Herkunft nicht möglich ist. | |
Warum denn nicht? Wir haben aber immer gesagt, Rückgabe ist eine | |
Möglichkeit, es gibt auch viele andere Wege, über das begangene Unrecht | |
miteinander ins Gespräch und Handeln zu kommen. Das kann auch bedeuten, ein | |
Objekt bleibt erst mal in Deutschland, ist digital zugänglich, kann | |
verliehen und von Wissenschaftlern der Herkunftsländer bearbeitet werden – | |
wenn das von dort so gewünscht wird. Insgesamt ist es eine kräftezehrende | |
und komplizierte Aufgabe. | |
Die Frage ist, wer es kompliziert macht. | |
Es ist nicht nur die deutsche Seite, die es kompliziert macht. Da kommt | |
viel zusammen. Selbst bei Rückgaben stehen sie vor Grundsatzfragen wie der, | |
an wen sie zurückgeben. An den Staat, an eine Familie oder eine | |
Volksgruppe? Die Erfahrung haben wir bei den Verhandlungen mit Namibia | |
gemacht. Selbst dann, wenn alle das gleiche Ziel haben, nämlich Rückgabe, | |
bleibt es kompliziert. | |
Wichtig dabei ist, dass wir dranbleiben und Rückgabe grundsätzlich möglich | |
gemacht wird, auch bei Objekten, die wegzugeben einem Museum wirklich | |
wehtut. | |
20 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Benno Stieber | |
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