| # taz.de -- Debatte um deutsche Kolonialgeschichte: Von Gebeinen und Leichen im… | |
| > Wie sollen Museen mit Leichenteilen umgehen? Die Grünen luden zu einem | |
| > Gespräch über Kolonialismus und Erinnerungskultur ein. | |
| Bild: Schädel in Vitrinen anlässlich der Rückgabe von Gebeinen nach Namibia | |
| Zahlreiche Objekte befinden sich im Besitz deutscher Museen, deren Herkunft | |
| äußerst zweifelhaft ist. Über schleppende Restitutionsverfahren, über die | |
| Rückgabe geraubter Kunst an NS-Opfer gab es immer wieder erregte | |
| Diskussionen. Der spektakuläre Fall Gurlitt brachte zuletzt Bewegung in die | |
| Sache. Viele Institutionen sehen sich seither veranlasst, den rechtmäßigen | |
| Erwerb ihrer Sammlungsobjekte zu überprüfen – und nicht erst nach Anzeigen | |
| tätig zu werden. | |
| Im Zuge solcher Debatten geriet auch die Phase des deutschen Kolonialismus | |
| bis 1918 stärker in den Fokus. Die dem Nationalsozialismus vorausgehenden | |
| wilhelminischen Rassenkundler hatten auch menschliche Gebeine in den | |
| Asservatenkammern ihrer Sammlungen eingelagert. Sie hätten gerne den | |
| Nachweis erbracht, dass das Gehirn eines Menschen aus Tansania im | |
| Durchschnitt kleiner sei als das eines stattlichen Europäers aus dem | |
| deutschen Kaiserreich. | |
| Die Aktivisten Mnyaka Sururu Mboro und Christian Kopp von Berlin | |
| Postkolonial wiesen bei einem Fachgespräch der Grünen im Deutschen | |
| Bundestag darauf hin, dass sich immer noch Tausende Gebeine aus dieser Zeit | |
| in den Kellern der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) befänden. | |
| Darunter abgeschlagene Köpfe von Maji-Maji-Kämpfern. Sie seien nach dem | |
| fehlgeschlagenen Aufstand gegen das deutsche Kolonialregime im damaligen | |
| Deutsch-Ostfarika hingerichtet worden. Und bis heute seien die Köpfe nicht | |
| an die späteren Nachfahren oder den tansanischen Staat zurückgegeben | |
| worden. | |
| Für Mnyaka Sururu Mboro wäre dies, inklusive eines offiziellen | |
| Schuldeingeständnisses einer deutschen Regierung, ein erster Akt, um die | |
| damaligen Vorgänge angemessen in Erinnerung zu rufen: in der Kolonialzeit | |
| begangene Verbrechen zum Teil einer erweiterten deutschen Erinnerungskultur | |
| werden zu lassen. | |
| ## Die Erwerbskontexte sind oft unklar | |
| Die grünen Politiker*innen Kirsten Kappert-Gonther und Erhard Grundl, die | |
| zu dem Fachgespräch geladen hatten, beabsichtigen genau dies. Sie wollen | |
| aus der Opposition heraus entsprechende Gesetzesinitiativen vorbereiten. | |
| Mit Leichenteilen und Gebeinen in musealen Kellern müsse endlich Schluss | |
| sein. Außerdem solle eine zentrale Institution zur Erforschung der | |
| Geschichte des deutschen Kolonialismus entstehen. So weit, so klar. | |
| Doch weniger leicht stellte sich die Debatte dar, sofern es sich nicht um | |
| die Rückgabe von Fetischen oder menschlichen Gebeinen in den kolonialen | |
| Sammlungen drehte. Bei den kulturellen Artefakten wird es oftmals | |
| wesentlich komplizierter. Die Erwerbskontexte und ihr rechtlicher Status | |
| sind oft völlig unklar. | |
| Lars-Christian Koch, frisch berufener Direktor für die Sammlungen im | |
| Humboldt-Forum, stellte in dem Fachgespräch der Grünen seine Absicht dar, | |
| künftig einen Schwerpunkt auf die Erforschung von Erwerbskontexten und | |
| Herkunftsgeschichten der Objekte der Sammlungen zu legen. | |
| ## Scharfe Kritik am Humboldt-Forum | |
| Die öffentliche Kontextualisierung müsse selbstverständlich im Konzept der | |
| Ausstellungen des Humboldt-Forums beinhaltet sein. Einigen, darunter | |
| Bénédicte Savoy, ging das in der Diskussion erwartungsgemäß nicht weit | |
| genug. Sie berät den französischen Präsidenten und übte öffentlich scharfe | |
| Kritik am Humboldt-Forum. „Es muss alles zurückgegeben werden, was | |
| zurückverlangt wird“, sagt sie. | |
| Doch das klingt viel einfacher, als es in Wirklichkeit häufig ist. Sophie | |
| Schönberger, Juristin von der Universität Düsseldorf, erörterte ebenso wie | |
| Petra Olschowski, Staatssekretärin aus dem grünen Baden-Württemberg, | |
| konkrete verfahrensrechtliche Problematiken. „Nicht unproblematisch“, meint | |
| Schönberger, sei auch, dass sich mitunter ganze Gruppen von den jeweiligen | |
| Regierungen nicht repräsentiert sähen. Aspekte, die das Fachgespräch nur | |
| streifen konnte. | |
| Doch vielleicht ist Savoys moralische Maximalforderung auch aus anderen | |
| Gründen gar nicht so sinnvoll. Statt über eine Re-Nationalisierung der | |
| Bestände könnte man auch über eine Errichtung transkontinentaler Museums- | |
| und Forschungsstrukturen nachdenken, die unterschiedliche Perspektiven | |
| berücksichtigen und von den wohlhabenderen Gesellschaften stärker | |
| finanziert werden würden. | |
| 17 Nov 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Fanizadeh | |
| ## TAGS | |
| Kolonialismus | |
| Restitution | |
| Schädel | |
| Deutscher Kolonialismus | |
| Restitution | |
| R2G Berlin | |
| Restitution | |
| Hamburger Bahnhof | |
| Kunstausstellung | |
| Afrika | |
| Deutscher Kolonialismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Umgang mit menschlichen Überresten: Die Ahnen sollen zurückkehren | |
| Dass in Berlin lagernde Schädel aus Kolonialzeiten identifiziert wurden, | |
| ist ein Erfolg der Zivilgesellschaft. Nun fordern die Nachfahren sie | |
| zurück. | |
| Kulturpolitikerin Petra Olschowski: „Wir wollen die Strukturen bewegen“ | |
| Coronakrise, Soloselbständige, Restitution, Change-Management: Ein Gespräch | |
| mit der baden-württembergischen Staatssekretärin Petra Olschowski. | |
| Berlins koloniale Vergangenheit: Ein Denkmal muss her | |
| R2G will sich der kolonialen Vergangenheit Berlins stellen. Bei der | |
| Opposition ruft das reflexhafte Abwehrkämpfe hervor. | |
| Restitution von geraubten Körperteilen: Kein Objekt, kein Kunstwerk | |
| In München wird der Leichnam eines Aborigines an sein Volk zurückgegeben. | |
| Er lag fast hundert Jahre in einem Museumsdepot. | |
| Ausstellung in Berlin: Von Äpfeln lernen | |
| Antje Majewski widmet sich im Hamburger Bahnhof in Berlin den Ökosystemen | |
| der Welt. Die postkoloniale Perspektive gelingt mit Leichtigkeit. | |
| Ausstellung zu Kolonialismus: Schöne Löwen statt Kontext | |
| Die Ausstellung der Schirn Kunsthalle Frankfurt hatte die Chance, sich mit | |
| deutschem Kolonialismus zu befassen. Doch daran scheitert sie. | |
| Rückgabe von Gebeinen aus Kolonialzeit: Die Schuldfrage | |
| Vor über 100 Jahren wurden Gebeine der im Kolonialismus ermordeten Herero | |
| und Nama geraubt. Einige werden jetzt zurückgeführt. | |
| Koloniale Objekte und Gerechtigkeit: Es war ein Völkermord | |
| Das Deutsche Reich hat einen Völkermord an den Herero und Nama begangen. | |
| Das sagt Ruprecht Polenz bei einem Symposium. |