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# taz.de -- Ausstellung in Berlin: Von Äpfeln lernen
> Antje Majewski widmet sich im Hamburger Bahnhof in Berlin den Ökosystemen
> der Welt. Die postkoloniale Perspektive gelingt mit Leichtigkeit.
Bild: Issa Samb & Antje Majewski: „Rue Jules Ferry 17“, Still aus dem HD-Vi…
Nur noch Eukalyptus und Soja würden auf brasilianischen Feldern wachsen,
erzählt ein Indigener vor Antje Majewskis Kamera. Er sitzt auf der Straße
vor Reihen polierter Autos. Die Natur müssten die Menschen erst wieder
kennenlernen. Die Autos, wie auch der industrielle Landbau auf geraubten
indigenen Gebieten, stehen für Profit und Wachstum, jene Mantras von
Kolonialismus und Kapitalismus, die auch das Verhältnis des Menschen zur
Natur verändert haben.
In einer großen Ausstellung nun will Majewski es künstlerisch neu
sortieren. Dafür hat sie KollegInnen aus Brasilien, China, Frankreich,
Kolumbien, Kamerun, Polen, dem Senegal und Ungarn eingeladen. Was leicht
hätte zu Kitsch oder Fingerzeig-Dokumentarismus verkommen können, ist ein
bemerkenswertes Projekt, in dem Poesie auf Wahrheitspolitiken trifft.
Darauf, dass es poetisch wird, bereitet schon der Titel „How to talk with
birds, trees, fish, shells, bulls and lions“ vor, eine Frage, auf die keine
Anleitung folgt. Der vergangenes Jahr verstorbene senegalesische Künstler
und Dichter Issa Samb hat sie bei einem Gespräch mit Majewski in den Sand
geschrieben. Er war Kopf des 1973 in Dakar gegründeten Laboratoire
Agit’Art, das sich mit dem philosophischen Konzept einer eigenständigen
Schwarzen Kultur, der „Négritude“, befasst und Kunst als politisches
Werkzeug versteht. Majewskis in Videoarbeiten dokumentierte Begegnungen mit
Samb wurden zum Ausgangspunkt der Ausstellung.
Die Natur spielte für Samb eine zentrale Rolle. Ökosysteme seien voller
Geschichten, Wissensarchive, aus denen wir lernen können, wenn wir nur
zuhören, glaubte er. Poesie und politische Aktion waren für ihn keine
Widersprüche. Daran, dass das Poetische politisch ist, lässt auch die
Ausstellung keine Zweifel. Den Gesprächen mit Samb stellt Majewski Gemälde
und Zeichnungen aus dem Laboratoire Agit’Art gegenüber, auf denen uns
Fische, Elefanten und mythische Wesen begegnen. Eine Wand hat Majewski mit
aus literarischen Werken kopierten Seiten tapeziert, die der polnische
Konzeptkünstler Paweł Freisler ihr vorgeschlagen hat: als Korrektur zum
Unesco-Weltdokumentenerbe, das für den Senegal bisher nur kolonial geprägte
Werke vorsieht.
## Äpfel und Feminismus passen gut zusammen
Wie Samb ist Freisler ein Wegbegleiter Majewskis, die ihre Arbeit als
Auseinandersetzung mit anderen verstanden wissen will. In einem Auszug aus
einem langjährigen E-Mail-Dialog zwischen ihr und Freisler geht es um einen
erkrankten Apfelbaum in dessen Garten. Der Apfel als Kunstobjekt und
Beispiel für die durch Reduktion auf kommerziell verwertbare Sorten
bedrohte Biodiversität stand schon im Mittelpunkt des von Freisler
inspirierten Projekts „Apple. An Introduction (Over and Over and Once
Again)“, für das verschiedene Gruppen Apfelbäume in Städten gepflanzt
wurden.
Die Äpfel wurden zum Anstoß für Community-Building und ökologisches
Experimentieren. Majewski kollaborierte dafür mit der polnischen Kuratorin
Aleksandra Jach, die ihr nun auch bei der Realisierung der Ausstellung im
Hamburger Bahnhof zur Seite stand.
Dass Äpfel und Feminismus gut zusammen- und Unterdrückung im Patriarchat
und die Zerstörung der Umwelt Hand in Hand gehen, belegen Majewski und Jach
mit ihrer Vision der „Eco-Feminist Anarchy“, abgekürzt E.F.A. Diese
ökofeministische Bewegung ist gerade im Entstehen begriffen und daher erst
als Emblem in der Ausstellung vertreten.
Anarchistische Metaphern findet Majewski auch in der eigenen Nachbarschaft
im Berliner Stadtteil Wedding: Nachdem dort eine Schrebergartenanlage
demoliert und abgetragen wurde, hielt sie per Video fest, wie die Pflanzen
frech und üppig wieder aus dem Boden brachen. Neben den Videos fügte
Majewski ein großes Gemälde der Pflanzen in ihre Installation „E.F.A. im
Garten“ (2015); dazu Holzelemente der abgerissenen Schuppen, deren Spitzen
mit den Farben der E.F.A., Pink, Grün und Schwarz, bemalt sind.
## Ökonomischer Kontext
Programmatisch für die Kommune auf ökologischer Mission steht in der
Ausstellung auch das polnische Projekt „Flow“. Die mobile Künstlerresidenz
will die Weichsel erfahrbar machen, einen von Europas letzten wilden
Flüssen. Ein Teil des hölzernen Segelboots, mit dem die KünstlerInnen den
Fluss entlangschippern, ist nun im Ausstellungsraum nachgebaut, mit
Fotografien, Videos, Objekten, Gedichten und Tagebüchern, in denen sie
Begegnungen mit Flora und Fauna verarbeiten.
Wie auf den Reisen selbst wird das Boot zur Bühne für Performances, und so
dringen im Hamburger Bahnhof etwa live gespielte Trommelklänge in die
anderen Räume, lullen die Arbeiten dort ein, wie um sie zu einer großen
Geschichte zu verweben. Carolina Caycedo etwa beschäftigt sich gleich
nebenan in Zeichnungen, Videos und einem Künstlerbuch mit Wasser als
Gemeinschaftsgut und dem Eingriff in Flussläufe durch Dämme – und richtet
den Blick auf das Alltagsleben der an den Ufern lebenden Gemeinden.
Neu ist weder die Annäherung der Kunst ans Leben noch an die politische
Aktion. Doch Majewskis Ansatz ist erfreulich zeitgenössisch. Während
Biennalen und Museen die postkoloniale Perspektive meist bemüht vorführen,
gelingt sie hier selbstverständlich und im größeren Kontext von Ökonomie
und Ökologie.
Raum für Details bleibt trotzdem. Majewskis neueste Gemälde etwa folgen in
drei großen Formaten der Evolution eines Stocks: vom Haufen geschnittener
Zweige über einen Bambusbesen, den eine Frau auf einer Straße hinter sich
herzieht, hin zu einigen an die Wand gelehnten Plastikbesen, die massenhaft
in asiatischen Fabriken unter schwersten Bedingungen, vor allem von Frauen,
für den westlichen Markt produziert werden.
19 Nov 2018
## AUTOREN
Sabine Weier
## TAGS
Kunstausstellung
Hamburger Bahnhof
Postkolonialismus
Ökologie
Feminismus
Kunstausstellung
Kolonialismus
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