# taz.de -- Koloniale Objekte und Gerechtigkeit: Es war ein Völkermord | |
> Das Deutsche Reich hat einen Völkermord an den Herero und Nama begangen. | |
> Das sagt Ruprecht Polenz bei einem Symposium. | |
Bild: 6.685 Jahre sei die Welt alt, da habe König Johann II. den Befehl gegebe… | |
Die Debatte um die deutsche Verantwortung für die Untaten der deutschen | |
Kolonialmacht an Nama und Herero unter dem Befehlshaber Generalleutnant | |
Lothar von Trotha im damaligen Deutsch-Südwest-Afrika krankte lange Zeit | |
daran, dass Kanzlerin, Bundespräsident und Bundestag davor | |
zurückschreckten, den Völkermord als solchen zu bezeichnen. | |
Dabei hatte von Trotha die vollständige Vernichtung der Aufständischen in | |
Deutsch-Südwestafrika nicht nur angestrebt, sondern in seinem berüchtigten | |
Vernichtungsbefehl auch angekündigt: „Innerhalb der Deutschen Grenze wird | |
jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme | |
keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück | |
oder lasse auch auf sie schießen.“ Deutsche Truppen ermordeten zwischen | |
1904 und 1908 mehr als 85.000 Herero und Nama. | |
Am Freitagabend machte Ruprecht Polenz, der Sondergesandte der | |
Bundesregierung für die deutsch-namibische Vergangenheitsbewältigung, | |
deutlich, dass der Begriff des Völkermords in den Gesprächen zwischen | |
Nambia und Deutschland nicht mehr umstritten ist. Man arbeite derzeit an | |
einem gemeinsamen Text, der als Grundlage für Resolutionen beider | |
Parlamente dienen soll. Dort werde der Völkermord auch als solcher benannt. | |
Bereits im Jahr 2015 hatte sich diese Entwicklung abgezeichnet, als das | |
Auswärtige Amt verlauten ließ, für die Bundesregierung gelte als politische | |
Leitlinie nun der Satz: „Der Vernichtungskrieg in Namibia von 1904 bis 1908 | |
war ein Kriegsverbrechen und Völkermord.“ | |
## Der Herrschaftsanspruch von João II. | |
Ruprecht Polenz saß am Freitag auf dem abschließenden Podium eines | |
Symposiums im Schlüterhof des Deutschen Historischen Museums in Berlin, bei | |
dem über die Wappensäule von Cape Cross gesprochen wurde. Sie befindet sich | |
seit der Kolonialzeit in deutschem Besitz. Die Säule hielt einst den | |
Herrschaftsanspruch des portugiesischen Königs João II. über das Land fest. | |
Als das Gebiet Teil der Kolonie „Deutsch-Südwest-Afrika“ geworden war, lie… | |
Kaiser Wilhelm II. ein eigenes Herrschaftszeichen errichten. Heute wird die | |
Säule in der Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums gezeigt, | |
nicht in der Abteilung Kolonialzeit, sondern unter der Rubrik | |
„Entdeckungen“. Namibia hat im vergangenen Jahr einen Anspruch auf die | |
Wappensäule bekundet. | |
## Eine gerechte und faire Lösung | |
In der Diskussion am Freitag diente die Säule gewissermaßen als Index für | |
die vielfältigen Probleme im Umgang mit dem kolonialen Erbe für Museen und | |
die betroffenen Gesellschaften. Erst in den vergangenen Jahren hat sich | |
allmählich ein Bewusstsein herausbildet, dass es sich tatsächlich um | |
Probleme handelt, die einer Antwort harren. Um „Koloniale Objekte und | |
historische Gerechtigkeit“ sollte es gehen. | |
Moderatorin Julia Voss stellte die Frage, ob es im Prozess der | |
Verhandlungen über den Umgang mit geraubten Kulturgütern aus Afrika einer | |
neuen „Washingtoner Erklärung“ bedürfe. In der „Washingtoner Erklärung… | |
hatte man sich 1998 darauf geeinigt, eine „gerechte und faire Lösung“ für | |
die Rückgabe von NS-Raubkunst zu finden, gerade wenn den geschädigten und | |
ihren Erben juristische Mittel nicht (mehr) zur Verfügung stehen. | |
## Normative Gründe | |
Der Philosoph Lukas H. Meyer antwortete, eine solche Erklärung könne | |
hinsichtlich der Verfahren und Prozesse einiges leisten, und eben die | |
Verfahren und Prozesse, das Wie, seien sehr wichtig. Es stelle sich | |
außerdem die Frage, ob es richtig sei, dass die Beweislast in einem Fall | |
wie der Säule bei Namibia und nicht umgekehrt beim Museum und bei | |
Deutschland liege. Für ihn ist die Sache klar: Die Säule sollte | |
zurückgegeben werden. | |
Meyer wendet sich auch gegen einen bloß juristischen Blick auf die | |
umstrittenen Artefakte. Wer rein juristisch argumentiere, verkenne, dass es | |
normative Gründe geben kann, die im Einzelfall für die Rückgabe sprechen, | |
und verlängere daher das Unrecht. Daher müsse auch über Reparationen | |
gesprochen werden. | |
## Essentialismus der Rückgabekampagnen | |
Der Historiker Sebastian Conrad wies darauf hin, dass den Rückgabekampagnen | |
ein Essentialismus zugrunde liegt, nämlich die Idee, dass kulturelle | |
Artefakte als bestimmten Gemeinschaften zugehörig begriffen würden. So | |
valide dieses Argument sei, müsse man es doch in der gegenwärtigen | |
Situation „in Klammern setzen“, also hintan stellen. Sonst blieben die | |
Dinge, um die es geht, bis in alle Ewigkeit in London, Paris und Berlin. Es | |
sei gerechtfertigt, Objekte zurückzugeben, insbesondere, wenn die | |
Gemeinschaften aus denen sie stammen, diese zurückfordern. | |
Winani Thebele-Kgwatalala steht auf demselben Standpunkt, wenn es | |
ausdrückliche Rückgabeforderungen gibt. Die Chefkuratorin und Leiterin der | |
Abteilung Ethnologie des Botswana National Museums wirft aber ein, dass man | |
angesichts von Streitigkeiten und Animositäten die Idee, komplette Bestände | |
rückzuführen, für den Moment zurückstellen könne, um stattdessen fürs ers… | |
die Zusammenarbeit zwischen Ländern, Museen und Forschungseinrichtungen in | |
den Vordergrund zu stellen. | |
## Feedback der Gemeinschaften | |
Denn es gehe darum, das Bewusstsein zu verändern und sich im Zuge dessen | |
vor allem um das Feedback der Gemeinschaften zu bemühen, aus denen die | |
fraglichen Objekte stammen. Auch die Besucher von Museen seien manchmal | |
besser über bestimmte Artefakte informiert als die Museen selbst und | |
könnten Aufklärung leisten. | |
Die Deutschen tendieren dazu, die Aufarbeitung der Kolonialzeit mit einem | |
Imperativ der Erinnerung zu verknüpfen, der sich in der historischen und | |
gesellschaftlichen Aufarbeitung der NS-Verbrechen herausgebildet hat. Nicht | |
von ungefähr ist Ruprecht Polenz als Sonderbeauftragter für die | |
„deutsch-namibische Vergangenheitsbewältigung“ zuständig. | |
Doch Thebele-Kgwatalala stellt infrage, ob Erinnerung im gemeinsamen | |
Prozess das Entscheidende sei. Ausgleich, Versöhnung und Abschluss seien | |
den betroffenen Communities, Familien und Individuen oft viel wichtiger. | |
9 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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